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Sam sieht mich amüsiert mit hochgezogener Augenbraue an. "Was war das denn?"

"Mein Stichwort mal schnell auf die Toilette zu gehen bevor das Essen kommt", antworte ich grinsend und stehe auf.

Sam wirft mir einen enttäuschten Blick zu. "Wo muss ich hin?", frage ich ihn unbeirrt.

"Frag doch deine Freundin", gibt er spitz zurück. Ich rolle mit den Augen.

Mit einer kurzen Handbewegung deutet Sam hinter mich. "Du musst einmal quer durch den Raum. Da vorne führt eine schwarze Tür zu einem kleinen Flur und die erste Möglichkeit rechts ist dann die Herrentoilette."

Ich nicke ihm kurz zu und folge Sams Beschreibung zu den Toiletten. Als ich nach kurzer Zeit die schwarze Tür zu dem kleinen Flur wieder aufstoße, steht plötzlich Esmeralda vor mir. Mein Herz beginnt, etwas schneller zu schlagen, während ich sie überrascht ansehe.

"Herr Klingenthal, ich wollte Sie noch etwas fragen", spricht sie mich ganz direkt an. Dass sie sich tatsächlich meinen Namen gemerkt hat, schmeichelt mir mehr, als ich zugeben will.

Es kommt mir nicht mal wirklich komisch vor, dass sie mich vor der Toilette abpasst. Wahrscheinlich hat sie eine Möglichkeit gesucht, ungestört mit mir unter vier Augen zu sprechen.

"Nur zu", ermuntere ich sie freundlich. Ob sie gestern doch etwas gesehen hat und das jetzt loswerden will?

"Sie haben mir nicht geantwortet", beginnt sie. Irritiert kneife ich meine Augen leicht zusammen.

Was meint sie?

"Haben sie Anna Karenina gelesen?"

Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und mein ganzer Körper entspannt sich merklich.

"Ja, habe ich. Und du? Wie weit bist du?" "Ich bin beim sechsten Teil", erklärt sie. "Also bald durch", schlussfolgere ich. Sie nickt zustimmend.

"Wer ist deine Lieblingsfigur?", frage ich sie interessiert.

"Levin", antwortet sie wie aus der Pistole geschossen.

Überrascht mustere ich sie kurz. Ich hätte eher mit einer Hauptfigur oder einer weiblichen Protagonistin als Antwort gerechnet, aber dass sie Levin wählt, wundert mich.

"Wieso Levin?"

"Ich mag es, dass er seinen Trost des Schmerzes in dem Alltäglichen findet, damit kann ich mich identifizieren. Eine meiner Lieblingsszenen ist die, wo Levin mit den Arbeitern auf dem Feld das Gras per Hand mäht. Es ist eine schwere, körperliche Arbeit, aber er findet dadurch innere Ruhe und obwohl es das Anstrengendste ist, was er je getan hat, erfüllt es ihn mit tiefster Zufriedenheit. Das gefällt mir."

Dass mir nicht der Mund offen stehen bleibt, ist alles. Ich habe Esmeralda vieles zugetraut, aber eine solche kluge, durchdachte und tiefgründige Antwort bestimmt nicht.

Obwohl ich mich immer bemühe nicht in Stereotypen zu denken und niemanden vorzuverurteilen, bemerke ich just in diesem Augenblick, dass ich Esmeralda aufgrund ihrer Familie schon ein Stück weit unterbewusst fehlende Bildung oder Intelligenz unterstellt habe, doch sie hat mit wenigen Sätzen mein ganzes Bild von ihr wieder einmal gedreht.

"Das ist wirklich sehr tiefgründig", gebe ich zu. "Ich mag Levin auch."

Sie sieht mich zufrieden an, schenkt mir ein Lächeln und zupft an ihrem kurzen Shirt herum, sodass mein Blick auf ihre nackte Haut gelenkt wird. Ich vergrabe unsicher meine Hände in den Hosentaschen um nicht nervös mit meinen Fingern zu spielen und wende meinen Blick schnell wieder ab.

"Ich muss dann mal wieder nach vorne, bevor mich noch jemand vermisst", verabschiedet sie sich entschuldigend und verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist.

Esmeralda - Smaragdgrüne Augen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt