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"Festnehmen?", wiederholt Nelu schockiert. "Und dann?"

Ich schiebe den Tacker mit dem schwarzen Kunststoffgehäuse betreten vor mir auf dem Tisch herum.

"Erstmal bleibst du eine Nacht bei uns im Polizeigewahrsam und morgen früh werden wir dich an eine Jugendvollzugsanstalt überführen. Wir benachrichtigen gleich deine Eltern und dann musst du die 40 Tage absitzen, es sei denn, jemand begleicht die Strafe für dich doch noch komplett bei der Staatsanwaltschaft. Hast du niemanden, der das für dich tun kann?"

Nelu schüttelt resigniert den Kopf.

Ich raufe mir durch meine kurzen Haare. Dass seine Eltern sich nicht darum gekümmert haben, die Geldstrafe zu bezahlen oder wenigstens eine Ratenzahlung zu vereinbaren, als das noch möglich war, macht mich betroffen und ich frage mich, woran das liegt. Ist die Sprachbarriere Schuld, weil die Schreiben zu umständlich formuliert sind? Hat Nelu nicht offen mit ihnen kommuniziert? Oder war es schlichtweg Desinteresse, wie Corneliu Serafin es schon so oft an den Tag gelegt hat, wenn es um die Straftaten seiner Kinder ging?

"Wo komme ich denn hin?", fragt er mit belegter Stimme und seine runden braunen Augen glänzen verdächtig. Am liebsten würde ich ihn tröstend in den Arm nehmen, so leid tut er mir, auch wenn ich weiß, dass er an der Situation auch nicht ganz unschuldig ist.

Ich nehme den Haftbefehl noch einmal an mich und lese ihn prüfend quer. "In die Jugendarrestanstalt Düsseldorf", teile ich ihm dann mit.

Für einen quälend langen Moment herrscht Schweigen zwischen uns, bis ich vorschlage: "Ich werde jetzt deinen Vater informieren. Hast du nochmal seine Handynummer für mich?"

Ich hätte sie mir wirklich abspeichern sollen, geht mir durch den Kopf, während Nelu mir wieder sein Handy hinhält und ich die elfstellige Nummer in unser Bürotelefon eintippe.

Corneliu Serafin reagiert mit einer solchen Gleichgültigkeit auf die Nachricht, die ich ihm überbringe, dass ich kurz davor bin, auszurasten. Wie bereits von seinem Sohn prophezeit, macht er keine Anstalten, das Geld irgendwie aufzutreiben und selbst auf meine Nachfrage hin, ob er die Summe nicht begleichen könnte, um seinem Sohn diese Erfahrung zu ersparen, druckst er nur herum, dass er kein Geld hätte.

Es fällt mir schwer, mich zu beherrschen und ruhig und professionell zu bleiben. Um meine Wut zu kompensieren, ramme ich meine rechte Hand unter dem Schreibtisch so fest in das Polster meines Bürostuhles, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten.

Als ich aufgelegt habe, schielt Sam auf die Uhr. "Willst du ihn runterbringen? Adonis kommt gleich zur Vernehmung, ich bleibe dann hier und warte auf ihn."

"Von wollen kann keine Rede sein", denke ich, doch ich spreche es natürlich nicht aus. Stattdessen nicke ich schweigend und erhebe mich schwerfällig von meinem Stuhl.

Nelu und ich gehen bei Wolf vorbei, dem ich kurz Bescheid gebe, dass ich den Jungen nun ins Untergeschoss begleite, bevor wir unseren Weg durch das karge Treppenhaus fortsetzen.

"Kann ich noch irgendwas für dich tun?", frage ich ihn, als wir die letzten Treppenstufen erreicht haben. Auch wenn ich noch nie in einer solchen Situation war, kann ich mich problemlos in den Sechzehnjährigen reinversetzen. Er muss sich schrecklich fühlen, voll von Ängsten, Bedenken und Zweifeln.

"Könnten Sie bitte meine Schwester Esmeralda anrufen und informieren? Sie macht sich immer so schnell Sorgen um mich", bittet er mich kleinlaut. Wieder glänzen seine dunklen Augen feucht in dem grellen Neonlicht der Wandlampe.

Sofort nicke ich, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was das für mich bedeutet und welche meiner Wunden ein Gespräch mit ihr wieder aufreißen kann. "Du musst mir nur ihre Nummer geben, dann rufe ich sie an. Oder willst du das selbst machen?"

Esmeralda - Smaragdgrüne Augen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt