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Auf dem Weg nach unten habe ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Ich nehme die Treppenstufen extra langsam, eine nach der anderen, um das Gespräch so lange wie möglich herauszuzögern.

Ich habe mir noch keine Gesprächstaktik zurecht gelegt, will meinen Vater aber nicht noch länger auf mich warten lassen. Nach allem was er heute für mich getan hat, empfinde ich das als unhöflich und respektlos. Außerdem währt die Wahrheit sowieso am längsten.

Mein Vater sitzt auf der Couch und hat ein Glas und eine Bierflasche vor sich auf dem Wohnzimmertisch stehen. Sein schlanker Körper steckt noch in einer dunkelgrauen Anzugshose, er hat das Jacket und die Krawatte jedoch abgelegt und sein hellblaues Hemd aufgeknöpft.

"Heute kein Wein?", frage ich und ziehe damit seine Aufmerksamkeit auf mich. "Nein, Mama hatte keine Lust", antwortet er und sieht mit seinem schiefen Grinsen trotz der graumelierten Haare gleich einige Jahre jünger aus.

"Willst du auch ein Bier?", bietet er mir an. Ich überlege kurz. Ich muss heute nicht mehr weg. Eigentlich wollte ich mit Nedim zum Boxen, aber er hat spontan abgesagt und ich war so geschafft von dem Tag, dass ich alleine auch nicht gehen wollte.

"Eins würde ich nehmen", antworte ich daher. Kann ja nicht schaden, meine Nerven ein bisschen zu beruhigen und eine entspannte Atmosphäre zu schaffen.

Ich will mich schon zur Küche wenden, da winkt mein Vater ab und bedeutet mir, mich auf die Couch zu setzen. Er holt mir ein Bierglas, eine Flasche Becks, das Mama immer nur für Louis und mich kauft, und zwei Untersetzer für den Glastisch, damit meine Mutter ihn nicht umbringt.

Ich lasse mich auf die weiche, dunkelbraune Ledercouch in L-Form fallen und nehme meinem Vater dankend die Flasche und das Glas aus der Hand. Ich schütte die goldgelbe Flüssigkeit ein, die so kalt ist, dass das Glas beschlägt.

"Also, mein Junge. Was ist los bei dir?"

Ich greife umständlich in die Hosentasche meiner hellgrauen Jogginghose und ziehe vier glattgebügelte, grüne Hunderter heraus. First things first. "Danke Papa", sage ich und umarme ihn kurz, nachdem ich ihm das Geld gegeben habe.

"Schon gut", antwortet er und legt die Scheine unbeachtet auf den Glastisch. "Erkläre mir lieber den Hintergrund der Aktion."

Ich atme tief durch. "Dann muss ich aber etwas weiter ausholen. Denn dass der Junge mir leid tut und ich ihn mag, wird dir nicht reichen, richtig?"

Mein Vater richtet die schwarze Brille auf seiner Nase und seine hellen Augen funkeln mich belustigt an. "Absolut richtig."

"Gut, ich versuche dir die Wahrheit zu erzählen, ohne zu viel internes zu verraten. Du weißt ja, dass wir an dieser rumänischen Großfamilie dran sind. Die Familie hat acht Kinder vom Grundschulalter bis Anfang zwanzig. Bei unserem ersten Einsatz waren wir in ihrem Haus und ich habe die obere Etage kontrolliert und dort in ihrem Zimmer eine junge Frau angetroffen. Sie war ganz anders, als man es in diesem asozialen Umfeld erwartet hätte. Das Haus war dreckig, Müllberge und Ratten vor der Tür, kaum wer dort, der nicht mehrfach vorbestraft ist und sie mittendrin: klug, höflich, adrett gekleidet, beschämt über meine Anwesenheit und mit Anna Karenina in der Hand."

"Und das war zufällig Esmeralda, nicht wahr?"

"Du bist halt nicht ohne Grund Oberstaatsanwalt", kommentiere ich seine treffsichere Schlussfolgerung schmunzelnd. "Die junge Frau war Esmeralda. Zwischen uns hat schon im ersten Moment die Chemie gestimmt. Ich hatte gleich einen Zugang zu ihr, doch irgendwann ist ihr Vater in das Zimmer geplatzt und sie ist nahezu eingefroren. Aus der offenen, fröhlichen Frau wurde in dem Bruchteil einer Sekunde ein verängstigtes, kleines Mädchen. Und das Verhalten wiederholte sich jedes Mal, wenn ich sie sah. Sobald ihre Familie im Spiel war, war sie ein komplett anderer Mensch.
Einige Tage später wurden wir wegen einer Massenschlägerei zum Hauptbahnhof gerufen, in die einer ihrer Brüder, nennen wir ihn einfach Hades, verwickelt war und der Kleine, Nelu, der mit der Geldstrafe, ist zwischen die Fronten geraten und hat ordentlich was abbekommen. Ich habe gerade mit ihm gesprochen als Esmeralda angerannt kam und vor lauter Sorge um ihren jüngeren Bruder fast weinend vor uns stand.
Während Nelu von den Sanitätern versorgt wurde, habe ich sie beruhigt, mit ihr gesprochen und ihre Hand gehalten. Hades hat das mitbekommen und ist beinahe ausgerastet. Im Nachhinein hat sie wegen der Sache dann auch noch richtig Ärger Zuhause bekommen. Ich habe mir geschworen, mich von ihr fern zu halten, ich habe es mit aller Kraft versucht, aber ich bin ihr immer wieder über den Weg gelaufen, nicht nur beruflich sondern auch privat und sie hat jedes Mal das Gespräch und meine Nähe gesucht.
Das letzte Mal, als ich sie dann in der Disco getroffen habe, ist es so geendet, dass wir die Nacht miteinander im Hotel verbracht haben."

Esmeralda - Smaragdgrüne Augen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt