Keine 24 Stunden später sitze ich wieder neben Sam im Büro in der Frühschicht. Wie immer ist es um diese Zeit gespenstisch ruhig auf der Wache und auch auf den Straßen, weshalb wir die freie Zeit für Backgroundchecks, Recherche und klassische Schreibtischarbeit nutzen, die sonst an trubeligen Tagen unberührt liegen bleibt.
Sam hat einen Haufen bunter Fotos vor sich liegen, die er sich aus dem Zentralen Melderegister, einem elektronischen Register des Bundesministeriums für Inneres, welches mit den Daten der örtlichen Meldebehörden gefüttert wird, gezogen hat.
"Was genau hast du mit den ganzen Bildern jetzt vor? Serafin-Memory?", frage ich und werfe ihm einen interessierten Blick zu.
"Nein, das sind die Platzkarten für eure Hochzeitsfeier", erwidert er frech und wackelt grinsend mit den dunklen Augenbrauen.
Meine Mundwinkel rutschen herunter und mein Herz setzt einen Schlag aus. Sam scheint das nicht zu bemerken, denn er kommt zu mir herüber und legt mir ein DIN A5-großes Bild von Esmeralda vor die Nase. "Dieses Foto habe ich natürlich doppelt ausgedruckt, damit du dir ein Exemplar über dein Bett hängen kannst", stichelt er weiter.
Ich werfe einen Blick auf das biometrische Foto, dass die junge Frau mit den langen brünetten Haaren und den prägnanten Augen zeigt. Sie gehört zu den schätzungsweise 3% der Menschheit, die selbst auf einem solchen unvorteilhaften Bild wunderschön aussieht.
Ich reagiere nicht auf Sams Spitzen, sondern schlucke nur hart und studiere das gestochen scharfe Foto von Esmeralda Millimeter für Millimeter.
"Nick?", erklingt Sams dunkle Stimme fragend. Als ich aufschaue, sieht er mich ernst an. Seine blauen Augen wirken besorgt. "Was ist los mit dir?"
"Nichts, wieso?", lüge ich, räuspere mich und bemühe mich darum, "normal" auszusehen, auch wenn es dafür schon zu spät ist. Sam kennt mich, und er hat mich längst durchschaut.
Lässig setzt er sich auf die Ecke meines Schreibtisches und nimmt mich ins Visier. "Sag", fordert er mich mit Nachdruck auf.
Ich seufze leise. "Zuerst die gute oder die schlechte Nachricht?"
"Die Gute", antwortet Sam emotionslos und sieht mich aufmerksam an.
"Das mit Esmeralda und mir, was auch immer es war, ist endgültig vorbei, bevor es richtig angefangen hat."
Überrascht sieht mein Arbeitskollege mich an. Seine blauen Augen glitzern vor Neugierde, obgleich in seiner Mimik auch eine tiefe Skepsis liegt. "Ich bin ganz Ohr."
Ich brauche einen Augenblick, um mich zu sammeln und meinen ganzen Mut zusammen zu nehmen. "Ich habe sie am Samstag in der Disco getroffen und die Nacht mit ihr verbracht."
Sams Augen weiten sich überrascht und er schüttelt ungläubig den Kopf. "Ich dachte, in deinem Leben gibt es für gewöhnlich keine Frauen und du kannst nicht flirten und dann reißt du dir innerhalb von Tagen ausgerechnet sie auf? Wieso, verdammt? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du bist einfach ein Sadist."
Ich raufe mir durch meine kurzen, dunkelblonden Haare. "Ich habe wirklich keine Ahnung. Sie war in demselben Club wie ich, wir haben beide was getrunken und sind uns zufällig vor den Toiletten über den Weg gelaufen und ins Gespräch gekommen."
"Und dann hast du sie mit nachhause genommen und flachgelegt?", fragt er trocken und mit zusammengezogenen Augenbrauen, während er eine Falte aus seinem Hemd streicht.
"Nein", revidiere ich postwendend Sams Annahme mit entschlossener Stimme. "Es hat ganz unschuldig mit einem unverfänglichen Gespräch angefangen, dass wir dann statt vor den Toiletten im Außenbereich fortgesetzt haben. Da es dort zu laut war und wir beide die Sorge hatten, dass uns jemand zusammen erwischt, haben wir uns entschlossen, woanders hinzugehen. Wir haben uns für ein Hotel entschieden und dort die ganze Nacht geredet."
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Esmeralda - Smaragdgrüne Augen
RomanceDas erste, was ich sehe, sind ihre strahlenden Augen. Smaragdgrün, funkelnd wie zwei Edelsteine. Einmal mehr bin ich froh, dass meine Uniform mich nicht nur vor Wind und Wetter schützt und mir eine gewisse Autorität verleiht, sondern dass sie den Po...