"Mordlust sagst du?" Amaury strich sich über sein Kinn - nun deckte Hannah ihn wiederum. "Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könntest du Recht haben, Kostas. Tatsächlich waren diese Kreaturen eher darauf aus, mich umzubringen anstatt mir meine Seele zu rauben." Hannah schoss dicht an den Spiegeln vorbei, damit das Licht stärker reflektiert wurde. "Mutmaßlich unterscheiden sie nicht zwischen den Seelen - ein König ist für sie wie ein Bauer. Allerdings erkennen sie, wer besondere Fähigkeiten hat und diese Personen schalten sie zuerst aus." Gedanklich verknüpfte ich die getätigten Aussagen. "Dann zeigt ihr Versuch, uns töten zu wollen, dass sie erkannt haben, welche Bedrohung wir für sie darstellen." Sollte einer von uns sterben, hätten sie ein Hindernis weniger. Mit einem bewusstlosen Gruppenmitglied hingegen wären wir nur bestrebter, sie zu vernichten, um die geraubte Seele zurückzuholen. "Diese Biester sind intelligent", stellte ich fest. "Vielleicht besteht wirklich eine Möglichkeit, mit der sie sich kommunikativ mit ihrem Erschaffer austauschen können." Kasimir meldete sich zu Wort: "Erinnert ihr euch daran, wie sich meine Seelenabsorption anfühlte?" Auf meinem und Helenas Gesichtern erschienen Fragezeichen. Kostas und Hannah hingegen blickten sich mit großen Augen an. "Natürlich!", riefen sie wie aus einem Mund. "Als Mik nach seiner vermeintlichen Entführung noch bei den Drachen und Helena war, hat Kasimir uns beiden von seinen Erfahrungen mit den Schatten erzählt. Nach der Absorption besteht scheinbar eine psychische Verbindung zwischen den geraubten Seelen. Eventuell kennt der Erschaffer einen Weg, um ohne Absorption mit diesem 'Bewusstsein' zu interagieren." Davon zu sprechen, dass wir mittlerweile alles über diese dunklen Kreaturen wussten, wagte ich keinesfalls, allerdings fügten sich bereits einige Puzzleteile zusammen. "Hervorragende Arbeit!", lobte Magnus. Kopfschüttelnd konzentrierte ich mich wieder vollkommen auf das Kampfgeschehen.
Es fühlte sich an, als würden Tausende von Nadeln in meine Lungen stechen. Kostas lag mit seiner Vermutung richtig: Die Schatten wollten uns tatsächlich mit ihren Krallen aufschlitzen.
Jetzt, wo ich insbesondere auf ihre Bewegungen achtete, fiel es mir auf. Ihre Angriffe waren sogar willkürlich und zielten auf wichtige Stellen unserer Körper ab. Sie schienen auch Taktiken zu verfolgen, wie der Versuch unsere Beine wegzuziehen, um uns zu Fall zu bringen.
"Bei welcher Entwicklungsstufe befinden wir uns?", fragte der König lautstark. "Fünf oder Sechs." Dabei war ich mir nicht sicher gewesen, diese Stufen haben wir noch nicht häufig genug gesehen.
"Magnus, kannst du in unserer näheren Umgebung irgendeine Besonderheit feststellen?", rief Hannah. "Die Entwicklungsstufen müssen doch wohl irgendwann mal ausgereizt sein und das wiederum könnte bedeuten, dass wir zum Ende des Tunnels gelangen - wo auch immer das ist."
Magnus zog sich kurzerhand zurück, kniete nieder, legte seine Hand auf den Grund und schloss die Augen. Ich war auf seine Erkenntnis gespannt und wurde zeitgleich nervös.
Augenblicke verstrichen, als plötzlich die Stimme des Erdbändigers ertönte. "Etwas weiter vorne erstreckt sich ein großer Raum." Erleichterung schoss durch meinen Körper. Hoffentlich befand sich in diesem Raum wirklich, was wir suchten: Die Quelle der Schatten.
In diesem Moment der Unachtsamkeit erwischte mich ein Schatten mit seinen Krallen am Arm - Kostas hatte mich rechtzeitig weggezogen, sodass es nur daraus hinausgelaufen war. "Du stehst an der Front, da solltest du besser aufpassen", belehrte er ruhig. "Tut mir leid", gab ich reumütig zu. Mein Verlobter seufzte und widmete sich wortlos meinem Arm. Mithilfe seines Wassers kühlte und wusch er die Wunde. Schließlich verband er sie noch hastig, drückte mir noch schnell einen Kuss auf die Lippen und eilte zurück in die Formation. Schwach lächelnd blickte ich auf den Arm und bewegte ihn. Ein leises Zischen verließ aufgrund des Schmerzes meine Lippen - vermutlich hätte ich die Wunde mit Feuer verschlossen, hätte Kostas dann allerdings einen ungewollten Herzinfarkt beschert.
Kopfschüttelnd begab auch ich mich wieder zurück in die Formation und konzentrierte mich erneut auf den Kampf.
Plötzlich, als wir dachten, dass wir die Oberhand hätten, vibrierte der Steinboden unter unseren Füßen und brachte uns ins Schwanken. "Was zum Henker passiert gerade?", rief die Königstochter, bemüht, sich weiterhin die Schatten vom Leib zu halten. Magnus stützte sich an Felsen ab. "Irgendein schweres Gewicht hat das Gestein erschüttert."
"Wir müssen das Schlimmste befürchten", erwiderte Rasmus und ging voran. Vor uns eröffnete sich ein gewaltiger Raum. Im Zentrum erstreckte sich ein Strudel aus purer schwarzer Magie. Daraus stieg ein Schatten empor - größer noch als ein ausgewachsener Drache. Nach Luft schnappend beobachtete ich das Geschehen mit Entsetzen.
"Willkommen", rief plötzlich eine tiefe Stimme, die Kostas neben mir zusammenzucken ließ. "Ich wusste, dass ihr eines Tages den Weg zu meinem bescheidenen Heim finden werdet."
Rasmus und Amaury entglitten jegliche Gesichtszüge. Ein hoch gewachsener Mann trat hinter dem Strudel hervor und wies dem riesigen Schatten mit einer Handbewegung irgendwas an, das ich nicht ganz deuten konnte.
Vermutlich bestätigte dies unseren Verdacht, dass der Schöpfer mit diesen dunklen Kreaturen kommunizieren kann.
Ohne ihn jemals getroffen zu haben, war mir klar, dass wir dem Bruder des Königs gegenüberstanden.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Hannah ihre Fäuste ballte. "Bruder, lange ist es her", stellte der dunkle Magier fest. Amaury gab ein abwertendes Geräusch von sich. "Spar dir deine Kräfte. Nettigkeiten hast du verwirkt." Unverzüglich wich das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht unseres Gegenübers. Er strich sich über sein Kinn und ließ seinen Blick über Hannah gleiten. "Wie ich sehe, hat sie keinerlei Schäden von dem... Vorfall davongetragen." Hohn und Enttäuschung schwangen in seiner Stimme mit. Hannahs Kiefer spannte sich an. Sie war beunruhigend gefasst, als sie sprach: "Wagt es nicht, den Mord an meiner Mutter zu erwähnen."
Dieses Grinsen fand den Weg zurück auf seine Lippen. "Meine liebe Nichte, wie hätte ich Eurer geehrten Königin etwas Böswilliges antun können? Unschuldig, bis gegenteiliges bewiesen wurde." Bevor Hannah nun doch vorschnellen konnte, hielt ich sie an der Schulter fest. "Beenden wir es, damit der gewohnte Alltag sich wieder in Valaria einfinden kann", verkündete ich. "Wir haben schließlich noch unsere Krönung, die vorbereitet werden möchte", fügte Kostas provokant grinsend hinzu. Kurz blitzte Zorn in den Augen des dunklen Magiers auf. "Du kleiner...", begann er und stürmte augenblicklich auf Kostas zu. Amaury schritt mit einem Schwert in der Hand ein. Auch der riesige Schatten setzte sich schwerfällig in Bewegung, woraufhin der Erdboden vibrierte.
Das war dann wohl die Ursache gewesen.
Helena, Cuno und ich nahmen uns dieser monströse Kreatur an, während der Rest den Bruder des Königs bekämpfte. Geschickt wich ich den Schlägen des Schattens aus und parierte sie. Mein Feuer schien jedoch nur wenig Wirkung zu zeigen. Helena erging es ähnlich. Frustriert schnaufend zog Helena schwungvoll eine Art von Draht aus einer ihrer Taschen und warf mir das Ende zu. "Wenn wir ihm nichts anhaben können, bringen ihn wir wenigstens zum Fallen", rief sie entschlossen. Der Draht in meiner Hand erwärmte sich und schnell stellte ich fest, dass dies von der Feuerbändigerin ausging, woraufhin ich ihrem Beispiel folgte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der dunkle Magier weitere, kleinere Schatten heraufbeschworen hat. Konzentrier dich. Die Anderen kümmern sich schon darum. Helena nickte mir kurz zu. Cuno unterbrach seine Ablenkung und bereitete den Angriff vor. Die ältere Frau und ich schnellten derweil vorwärts und versuchten, den Draht um den Schatten zu wickeln. Als er tatsächlich für einen kurzen Moment stillstand, feuerte Cuno seine Lichtkugeln ab. "Das Erwärmen hätten wir uns ersparen können. Er scheint wirklich einzig und allein auf grelle Lichter zu reagieren", erklärte Helena. Der Schatten riss sich los. "Nochmal!", brüllte Cuno über den Tumult hinweg. Erneut warf mir die Feuerbändigerin das Drahtende zu, stürmte diesmal allerdings direkt vorwärts. Wir wiederholten diese Herangehensweise noch einmal, bevor der Schatten sich nicht mehr einfangen ließ. "Er lernt verdammt schnell hinzu", murmelte ich und musste im nächsten Moment dem Tritt der Kreatur ausweichen.
Als er wieder zum Stehen kam, vibrierte der Erdboden erneut. Helena riss es sogar von den Füßen und hätte Cuno sie nicht mit einem Licht-Schild beschützt, hätte der Schatten sie gnadenlos getötet. Der dunkle Magier nutzte den Moment meiner Unachtsamkeit, um sich in unseren Kampf einzumischen und mich mit einer Druckwelle rücklings gegen die Steinwand zu schleudern. Beim Aufprall schnappte ich nach Luft und gab nach meiner Landung auf dem Boden ein schmerzerfülltes Stöhnen von mir. Kostas rief erschrocken meinen Namen und eilte zu mir. Er schuf einen Wall aus Wasser um uns und mit Kasimirs Hilfe wurde daraus eine massive Eisschicht. "Wir haben keine Zeit dafür. Cuno und Helena kämpfen alleine gegen den Schatten", protestierte ich ächzend und richtete mich angeschlagen auf. "Ich versichere mich nur schnell, dass du keine allzu schweren Verletzungen davon trägst", erwiderte mein Verlobter unberührt. Er ließ einen dünnen Film von Wasser über meinen Körper fließen, um meine Wunden am Rücken zu reinigen und zu kühlen. Ich dankte ihm und rappelte mich endlich wieder auf. "Pass auf dich auf", bat ich Kostas noch, bevor ich das Eis auftaute und meinen Platz im Kampf gegen den Schatten einnahm.
Helena hatte ihr Bestes geben, um eine bestmögliche Ablenkung für Cunos Angriffe darzustellen, doch scheinbar hatte auch sie während meiner kurzen Abwesenheit Treffer einstecken müssen. Erbarmungslos schoss ich Feuerbälle auf die gewaltige Kreatur und wich ihren Angriffen aus - die Schmerzen in meinem Rücken ignorierend. Rasmus löste sich aus dem Kampf gegen den Magier und schloss sich uns an. "Lasst uns diese Monstrosität endlich zur Strecke bringen", spornte er uns an. Helena formte daraufhin ihre Linie aus Feuer und ich zog die Aufmerksamkeit des Schattens auf mich. Die beiden Magier gelangten derweil hinter die Kreatur und schufen einen grellen Lichtball. Als ich mir sicher war, dass sich der Schatten nun vollends auf mich konzentrierte, rief ich lautstark "Jetzt!". Daraufhin stürmten Cuno und Rasmus synchron los und drückten das Licht in den Rücken der dunklen Kreatur. Ohrenbetäubende, schmerzerfüllte Schreie ertönten und ich kniff instinktiv die Augen zusammen, um nicht von der Intensität des Lichts geblendet zu werden. Als die Lautstärke und die Helligkeit abnahmen, blickte ich mich um. Aus dem sich auflösenden Körper des Schattens schossen unzählige Lichtblitze.
Die Seelen kehrten zu ihren eigentlichen Hüllen zurück.
Nun standen wir vollständig dem dunklen Magier gegenüber. Doch auf seinem Gesicht erblickte ich zuwider meiner Erwartungen keine aufsteigende Furcht, sondern puren Hass, der mir wie bissige, umzähmbare Flammen entgegenschlug.
"Du könntest nicht einmal um dein Leben betteln", sprach der König, "da deine Existenz eine konstante Bedrohung des Königreichs und seiner Bewohner ist."
Der dunkle Magier schnalzte abwertend mit der Zunge. "Dann werde ich deiner Beschreibung von mir wohl gerechnet werden, solange ich noch hier stehe und atme."
Nach diesen Worten hatte mein rationales Denken ausgesetzt.
Der Magier streckte seinen Arm gen Kostas aus und schoss einen aus Schatten bestehenden Dolch aus seiner Handfläche ab. Ich war ohne zu zögern losgestürmt, um Kostas aus der Angriffslinie zu ziehen, während Hannah zeitgleich ein Schwert aus Licht formte.
Anschließend wurde alles schwarz....
Tot.
Daran bestand für mich kein Zweifel.
Ich bin bei dem Versuch, Kostas zu retten, gestorben.
Dies wusste ich bereits in der Sekunde, als ich die Augen aufschlug und meine Wahrnehmung anders war - leichter, schummrig.
Ihre panischen Stimmen klangen dumpf und weit weg. Kostas rüttelte schreiend an meinem regungslosen Körper, doch ich merkte es gar nicht.
Ich konnte nicht einordnen, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging.Hannah
Ich schnappte heftig nach Luft, immer und immer wieder, konnte nicht begreifen, was sich gerade abspielte.
Ich hatte den dunklen Magier erstochen und war an Ort und Stelle auf die Knie gesunken. Das blutbefleckte Lichtschwert lag vor mir auf dem Boden - ich hatte den Zauber noch nicht wieder aufgelöst.
"Kind, hörst du mich?" Rasmus riss mich aus meiner Trance und zog mich auf die Beine. "Es ist vorbei. Du hast es beendet."
Kopfschüttelnd verarbeitete ich seine Worte. Mein Blick fiel auf Marik, auf Kostas, auf die gesamte Szenerie.
"Nein. Ich war zu spät", erwiderte ich - noch immer heftig atmend. Meine Stimme klang rau, doch trotzdem gefasst. "Es gibt noch eine letzte Aufgabe für mich."
Langsam schritt ich auf den toten Thronfolger zu und kniete neben ihm nieder.
Kostas sah auf, blickte mich unschlüssig an und war sich sichtlich unsicher, ob er mich darum bitten oder davon abhalten sollte. Ich lächelte schwach in dem Wissen, dass ich Marik ohnehin zurückholen würde.
Mein Vater ließ sich neben mir nieder und zog mich in seine Arme. "Wir alle sind stolz auf dich. Auch wenn ich wünsche, du würdest es nicht tun." Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und dachte an das Gesicht meiner Mutter, das ich nur von Porträts kannte. Hoffentlich würde sie mit dem Tod des dunklen Magiers nun endlich ihren Frieden finden. Eine Familie hatten wir wohl nie sein können.
Zögerlich löste ich mich von meinem Vater, als Magnus zu uns herantrat.
"Prinzessin", hauchte er zittrig. Er neigte sich zu mir und küsste meine Stirn.
"Lebt wohl", erwiderte ich und blinzelte die aufkommenden Tränen weg.
Ich wandte mich an Kostas und schloss ihn in die Arme. "Möge unser Valaria unter eurer Herrschaft heller als je zuvor erstrahlen."
Nach diesen Worten zog ich mich zurück, richtete meine Handfläche auf Marik und schloss meine Augen. Eine völlig neue Wärme durchströmte meinen Körper und verließ ihn über meine Hände.
Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt.
Mit einem Lächeln im Gesicht und diesem letzten Gedanken schlief ich ein.
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Schatten || Kostory FF
FanficSie scheinen aus dem Nichts zu kommen: Dunkle Gestalten, die alles zu verschlingen drohen. Kaum etwas ist anfangs über sie bekannt, doch eines ist sich jeder bewusst: Wenn diese Wesen nicht aufgehalten werden, wird alles Leben ausgelöscht.