Kostas
"Wäre es eigentlich möglich, jemanden eine verschlüsselte Nachricht zu senden, dessen genauen Standort man nicht kennt?", fragte ich Rasmus. "Meines Erachtens nach... ja, jedoch würde ich es ungern versuchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der eigentliche Empfänger den Brief erhält, ist sehr gering", antwortete der alte Magier.
Enttäuscht seufzte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich mit dem Rücken gegen die eine Wand des Raumes.
"Mik geht es sicherlich gut. Schließlich ist er außerhalb der Burgmauern aufgewachsen", die Königstochter lächelte leicht.
"Die Drachen beschützen Feuerbändiger im Ernstfall mit ihrem Leben", fügte Rasmus hinzu, der mittlerweile über unsere Situation aufgeklärt worden war. "Wie wäre es, wenn wir uns erneut dem Bruder widmen?"
Hannah klatschte erfreut mit ihren Händen und nickte. "Einverstanden. Wann können wir jedoch mit einer Antwort des Königs rechnen?", hakte die Königstochter nach. "Dies hängt allein von Eurem Vater ab, Eure Majestät", erwiderte Rasmus.
Seufzend stieß ich mich von der Wand ab und setzte mich auf eine Holzbank vor dem Fenster des Zimmers.
"Was möchtet ihr noch über den Bruder wissen?"
"Warum ging er ins Schattenreich?", kam es von mir und ich blickte durch das Glas hinaus.
"Das ist eine Frage, auf die ich leider keine sichere Antwort habe", befürchtete der alte Magier. "Es sind viel Gründe möglich - Vergeltung, Gier nach Macht, unentdeckte Kräfte und Fähigkeiten. Noch dazu wissen wir zu wenig über das Schattenreich selbst."
"Welche Ursache passt am besten zum Bruder?" Die Königstochter saß aufrecht auf ihrem Stuhl, die Hände ordentlich im Schoß - so tat sie es nur, wenn sie besonders interessiert und aufmerksam war.
"Speziell die Gier nach Macht. Höchstwahrscheinlich möchte er die Krone an sich reißen", antwortete Rasmus grübelnd.
"Das klingt wohl am naheliegendsten", erwiderte ich.
"Warum", Hannah war offensichtlich skeptisch, "beraubt man Körper ihrer Seelen, wenn man letztendlich über sie herrschen möchte?"
"Sobald Seelen in ihren Körper zurückkehren, erinnern sich die Menschen anfangs an nichts. Würde man sie in diesem Zustand manipulieren, würden sie einem bedingungslos folgen", erklärte Rasmus.
"Deine Theorie ist es also, dass der schwarze Magier erst die Seelen sammelt, bevor er ihnen später wieder ihre Körper zurückgibt, um sich treue Untertanen zu schaffen?", hakte ich nach.
Der alte Magier bestätigte dies mit einem Nicken.
Größenwahnsinnig.
"Woher weißt du das mit den Erinnerungen?", hinterfragte Hannah. Rasmus antwortete an sie gewandt: "Dadurch, dass die Schatten einen unterirdischen Weg kennen, der die Mauer umgeht, verirren sich nur Vereinzelte dieser Wesen zur Mauer. Dementsprechend fällt es uns leicht, beraubten Körpern ihre Seelen zurückzugeben."
"Dann haben wir jetzt zwei Anhaltspunkte. Ein Suchtrupp im Ewigen Wald und Wächter, die einmal einem Schatten zum Opfer gefallen sind", fasste die Königstochter zusammen.
"Bezüglich des Suchtrupps solltet ihr euch an Magnus wenden. Er wird diese Operation leiten", teilte Rasmus mit.
"Ich erkundige mich nach den Wächtern, du gehst zu Magnus", legte ich fest. "Treffpunkt ist wieder hier."
Mit einem kurzen Winken verließ ich das Zimmer und stürmte zu einer der fünf Krankenstationen der Mauer los....
Ein Wächter, in diesem Fall ein Luftbändiger, war schnell gefunden. Die Krankenschwester der Station hatte in ihrem Verzeichnis nachgeschlagen und mir den Name und den zugeständigen Abschnitt der Mauer gegeben. Insgesamt waren es 10 Abschnitte mit je 5 bis 8 Wächtern. Die Anzahl variierte situationsabhängig - je höher, desto gefährlicher die Umstände.
Ich eilte durch die Gänge. Die Mauer bestand nicht nur aus massivem Gestein, sondern beherbergte im oberen Teil eben auch alle Räumlichkeiten, die die Wächter zum Leben benötigten.
"Kasimir?", sprach ich einen jungen Mann in einer Gruppe an.
"Was möchtest du?", fragte er misstrauisch.
"Mit dir über deinen Vorfall mit den Schatten reden."
"Ist das für eure Forschung?"
Neuigkeiten schienen sich hier wie ein Lauffeuer zu verbreiten.
"Korrekt", antwortete ich.
Kasimir führte mich von der Gruppe weg. "Welche Informationen benötigst du?", fragte er.
"Alles. Kannst du dich irgendwie daran erinnern, dass dein Körper und deine Seele voneinander getrennt waren?", hakte ich nach.
"Ich glaube, etwas gespürt zu haben. Gedanken und Gefühle, die ich nicht als meine eigenen zuordnen konnte. Eventuell gehörten sie dem Schatten, welcher von meiner Seele Besitz ergriffen hatte."
Aufmerksam zog ich mein Notizbuch hervor und schrieb mit. "Was waren das für Gedanken?"
"Sie hatten eine ziemlich düstere Stimmung bei mir ausgelöst, aber es war mehr ein Stimmengewirr, sodass ich nichts verstanden hatte."
"Was war das für ein Gefühl, vom Schatten befreit zu werden?"
"Einerseits entspannend und ruhig, andererseits schmerzhaft."
Verwirrt blickte ich ihn an. "Ich versteh' nicht ganz."
"Das Stimmengewirr hörte plötzlich auf, dafür setzte ein großer stechender Schmerz in meiner linken Brust ein. Man hat mir später mitgeteilt, dass das die Stelle war, wo sie dem Schatten den Todesstoß verpasst hatten."
"Du hast jedoch keinen körperlichen Schaden davongetragen?"
Kasimir schüttelte daraufhin den Kopf.
Aufgrund meiner Erkenntnisse riss ich die Augen auf. "Das heißt, dass Schatten nicht nur die Seelen absorbieren, sondern sie auch als ihre eigenen annehmen - eine psychische Verbindung. Somit war das Stimmengewirr, das du gehört hattest, nicht die Gedanken des Schattens selbst, sondern die der anderen absorbierten Seelen. Dementsprechend ist ein Schatten ohne Seele nur eine Hülle, ein einfacher Körper!"
Kasimir nickte zustimmend. "Das klingt nach einer plausiblen Erklärung. Würde das dann allerdings bedeuten, dass Menschen geopfert werden mussten, um die Schatten zu erschaffen oder konnte dies auch ohne Seele geschehen?"
"Wir wissen bisher zu wenig über diese Wesen, um diese Frage konkret beantworten zu können", gab ich unbehaglich zu.
Kasimir nickte zögernd, gab sich offensichtlich nur widerwillig mit der Antwort zufrieden. Sobald wir mehr zu diesem Thema wussten, würde ich ihn nochmals aufsuchen, nahm ich mir vor.
"Bist du nach dem Todesstoß in Ohnmacht gefallen?"
Wieder ein Nicken seinerseits.
"Für wie lange?"
"Wenige Stunden. Womöglich drei, eventuell auch vier. Ich weiß es nicht mehr genau."
"Wie war das mit deinen Erinnerungen?"
"Ich wachte nach der Ohnmacht auf und wusste nichts mehr - wie und warum ich auf die Krankenstation kam oder wer all diese Leute waren, die mich während meiner Genesung besuchten."
"Wie hast du dich in dieser Situation gefühlt?"
"Verloren, hilflos und ängstlich. Je mehr Erinnerungen jedoch wiederkehrten, desto größer wurde mein Vertrauen den anderen Menschen gegenüber."
"Wie lange dauerte die Wiederkehr insgesamt?"
"Ich weiß es nicht. Nach ein paar Tagen, vielleicht auch ein bis zwei Wochen, war ich zumindest wieder mit meinem eigenen Körper vertraut."
Ein Nicken meinerseits.
"Danke für deine Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft." Ich lächelte Kasimir erfreut und aufmunternd an, bevor ich mich verabschiedete und das Zimmer verließ.
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Schatten || Kostory FF
FanfictionSie scheinen aus dem Nichts zu kommen: Dunkle Gestalten, die alles zu verschlingen drohen. Kaum etwas ist anfangs über sie bekannt, doch eines ist sich jeder bewusst: Wenn diese Wesen nicht aufgehalten werden, wird alles Leben ausgelöscht.