Prolog

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Er stand vor mir. Zehn Jahre in denen ich ihm kein einziges Mal begegnet bin. Und nun steht er vor mir. Als sei nichts geschehen. Als sei alles ins Vergessen geraten. Als hätte ich nicht genug verloren und gelitten. Ich zog scharf die Luft in mich ein und versuchte alles so schnell wie es nur geht zu verarbeiten.

Atlas.

Er steht vor mir und guckt mir tief in die Augen. Ich tu es ihn gleich. Ein endloses Duell.

,,Zeliha", wisperte er. Er atmet stark ein und aus. Sein Brustkorb hebt und senkt sich unkontrolliert.

Zeliha.

Seine Stimme so vertraut und dennoch so fremd.
Er wirkt sehr viel größer und gebauter als vor zehn Jahren. Meine linke Hand zitterte. Ich konnte es spüren. Mein rechter Arm gab knirschende Geräusche von sich. Kaum spürte ich sie.

,,Du?", kam als einziges über meine Lippen. Mir wurde so plötzlich kalt und unwohl. Ich kann es nicht in Worten fassen. Ihn zusehen war das letzte was ich erwartet habe und wollte.

,,Zehn Jahre sind es mittlerweile her.", sagte er überlegen. Es scheint so, als wolle er all seine Worte bedacht wählen. Als wüsste er nicht was er sagen sollte. Als hätte er diese Begegnung schon oftmals in seinem Kopf abspielen lassen und eine gut bedachte Konversation geführt. Doch passiert etwas in der Realität, so ändert sich jede Vorstellung und jeder Wunsch.
Ich nickte ihm nur zu. Er wollte weiter sprechen. Das konnte ich an seiner Körperhaltung und an seinem plötzlichen Atemzug entziehen.

Ich drehte ihm meinen Rücken zu und fing an zu laufen. So schnell es nur ging.
,,Ich war es nicht!", schrie er, weshalb ich ruckartig stoppte. Der Regen nahm zu.

Ich hörte seine Schritte zu mir laufen.

Ich war es nicht.

Es hallte durch meinen Kopf.
Ich hielt inne. Ich hatte keine Ahnung, wie ich handeln sollte.
Plötzlich überkam mich alles. Alles was ich dachte, dass ich vergaß, kehrte zurück. In den wenigen Minuten, in denen ich ihn sah, kamen alle schrecklichen Gefühle wieder zurück. Die Schmerzen, die ich vergessen wollte, kehrten zurück.

,,Ich habe nichts gemacht!", sagte er zornig und voller Hass und Wut.
Weshalb? Er ist nicht derjenige der Hass und Zorn zu spüren bekommen sollte.

Ich drehte mich zu ihm um und blickte in seine Augen.
,,Weshalb bist du gekommen?"
Er sah mich nach meinen Worten schmerzerfüllt an. ,,Um dir die Wahrheit zu sagen. Um dir das zusagen, was keiner gemacht hat."
,,Die Wahrheit?"
Er nickte. ,,Ich kenne die Wahrheit bereits. Du hast dich umsonst die Mühe gemacht mich aufzusuchen."

,,Du kennst die Wahrheit in keinerlei maß. Es war ein Missverständnis. Es war eine Falle.", sagt er.
,,Ein Missverständnis?" Er nickte. ,,Ich habe es gesehen.", sagte ich als nächstes. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Wie er dort hockte und die Waffe auf ihn hielt.

,,Es war Zufall."

Lächerlich.

,,Ich glaube nicht an Zufälle."
,,Ich war es nicht.", sagte er ein weiteres Mal.
Ich kehrte ihm den Rücken erneut zu, lief drei Schritte und stoppte dann. Ich guckte auf meine rechte Schulter.

,,Es ist ein sehr mutiger Schritt für jemanden, der seinen eigenen Vater getötet hat, dies zu sagen."

-Atlas-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt