Leck

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Langsam rollt der Pick-Up durch das Tor unserer Einfahrt und auf den Hof. Kenny und Jesse müssen wohl gerade von ihrem täglichen Kontrollritt zurück sein, denn ihre Pferde stehen gesattelt und mit hängenden Köpfen an den Anbindeplätzen vor dem Stallgebäude. Die beiden Cowboys sind aber nirgends zu sehen, was ungewöhnlich ist, da wir unsere Pferde normalerweise direkt in ihre Boxen bringen, wenn sie ihre Arbeit getan haben.

Im Rückspiegel kann ich erkennen, dass auch Dad irritiert die Stirn runzelt. Plötzlich taucht Jesse hinter dem Stall auf und als er unser Auto sieht, kommt er eilig in unsere Richtung gelaufen. Der sonst so gefasste Mexikaner wirkt unruhig und abgekämpft. Schnell öffne ich meine Autotür und springe aus dem Wagen, um ihm entgegen zu joggen. Hinter mir höre ich meine Eltern ebenfalls aussteigen. 

Jesse kommt vor uns zum Stehen und ringt ein paarmal nach Luft, bevor er sich den Schweiß von der Stirn wischt und schließlich herausbringt: "Mr. Williams, es gibt ein Problem. Eine der Wasserleitungen im Stall ist gebrochen und hat die Boxen unter Wasser gesetzt. Kenny und Ray sind schon dabei die Pferde rauszuholen, aber die drehen alle durch."

Erschrocken ziehe ich die Luft ein. Um die Leitung und das Gebäude mache ich mir weniger Sorgen, das lässt sich alles reparieren. Aber der Gedanke, dass die Tiere panisch versuchen, aus ihren Boxen zu fliehen, um dem steigenden Wasser zu entkommen, lässt mein Blut gefrieren. Wenn wir Pech haben, werden sie diesen Schock vielleicht niemals vergessen.

Bevor auch nur einer der drei noch etwas hinzufügen kann, sprinte ich schon los. So schnell ich kann schlüpfe ich durch die offene Tür des Stallgebäudes, muss aber kurz innehalten, um mich an das schummrige Licht zu gewöhnen. Meine Schritte platschen laut in dem bereits knöcheltiefen Wasser, das nur langsam durch die Tür ins Freie fließen kann. Am Ende des Ganges höre ich die aufgebrachten Rufe der anderen beiden Cowboys, die damit kämpfen, die Pferde soweit zu beruhigen, dass sie aus dem Stall geführt werden können, ohne jemanden zu verletzen.

Schnell folge ich dem Rufen und dem lauten Poltern der Hufe, bis ich schließlich vor Raymond stehe. Er ist verschwitzt und seine Jeans klebt vollkommen durchnässt an seinen Beinen. Als der dunkelhaarige Cowboy mich sieht, atmet er erleichtert durch und winkt mich heran.

"Jaime! Gott sei Dank, dass ihr da seid. Wir sind hier verdammt noch mal in Schwierigkeiten." Er wischt sich mit dem Ärmel seines Flanellhemdes über die Stirn und flucht erneut. Ich nicke nur und schiebe meine Ärmel hoch. "Schon in Ordnung, Jesse hat uns schon erklärt, was passiert ist. Meine Eltern müssten auch gleich kommen", erkläre ich ihm und deute auf Kenneth, der gerade einen der Wallache unter beruhigenden Worten in Richtung des Hintereingang führt. Die Ohren des Tieres zucken unruhig, aber es folgt ihm gehorsam.

"Was kann ich tun?" 

Ray deutet auf seinen Kollegen. "Wir bringen sie auf die kleine Koppel hinter dem Stall. Wenn du Kenny helfen würdest, kann ich versuchen, das Leck zu finden und diese verfluchte Überschwemmung hier zu stoppen", knurrt er und funkelt das Wasser zu unseren Füßen böse an. Ein schmales Lächeln zuckt über mein Gesicht. Als Ray zu uns auf die Farm gekommen ist, habe ich eine Weile gebraucht, um mich an seine raue Sprache zu gewöhnen, aber jetzt habe ich manchmal sogar schon Probleme, mich nicht von ihm anstecken zu lassen.

Ich nicke wieder und marschiere zielstrebig zu den Boxen, die am nächsten am fröhlich plätschernden Leitungsleck sind. Mit langsamen Bewegungen betrete ich die Box einer kleinen, schwarzen Stute. Ihr Name ist Coco und sie war bis vor wenigen Wochen noch ein freier Mustang. Dad hat sie gemeinsam mit einigen anderen Jungpferden eingefangen und an den Mensch gewöhnt. Jetzt glänzt offensichtliche Panik in ihren großen Augen und meine Befürchtung, dass sie mich nicht heranlassen wird, bewahrheitet sich bereits im nächsten Moment.

Catch Me, Cowboy!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt