Eine einfache Kontrolle

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- Jaime -

Wenn ich ehrlich bin, dann schäme ich mich immer mehr dafür, dass ich Chester anfangs so angegangen habe. Er hat eigentlich jeden Grund, es mir mit gleicher Münze heimzuzahlen, genau so hätte ich es nämlich gemacht. Aber anstatt mir die Hölle heiß zu machen, lässt er das Thema einfach ruhen.

Das ist zwar nicht sonderlich förderlich für mein schlechtes Gewissen, aber ich lerne den dunkelhaarigen Kalifornier deswegen mit jedem Tag ein bisschen besser kennen.

Ich weiß, dass er Mums Limonade liebt und dass er täglich mindestens einmal bei Peter Pan vorbeischaut, ihn putzt oder einfach streichelt. Er ist unglaublich geschickt mit jeder Art von Werkzeugen und hat eine Abneigung gegenüber jeglicher Arbeit, die mit rumsitzen zu tun hat.

Als Mum ihm angeboten hat, dass er doch die nächste Lieferung Futter und Einstreu an ihrem Computer bestellen könnte, hat er dem verwunderten Kenny beinahe die Mistgabel aus den Händen gerissen, nur um weiter misten zu können.

Als Ginny vor ein paar Tagen während einem unserer Telefonate nach dem neuen Arbeiter auf der Ranch gefragt hat, konnte ich nicht verhindern, dass ich ein wenig geschwärmt habe. Dennoch war ich nicht bereit, ihr von dem Kuss oder der Begegnung mit Aaron und Janet zu erzählen. Dazu brodelt einfach noch zu viel in mir.

Mit einem kurzen Pfiff rufe ich Ticky zurück, die gerade schwanzwedelnd hinter einer Krähe herjagt. Wie der Blitz wirbelt sie herum und rennt mich fast um, platzend vor Lebensfreude.

"Ja, das hast du toll gemacht, eine richtige Jägerin bist du", witzle ich und streichle ihr liebevoll durch das weiche Fell. Ich bin gerade dabei, Honey zu satteln, um zusammen mit Chester die Zäune abzureiten. Es ist früher Morgen und die Vogel beginnen gerade zu zwitschern.

"Na, jagt ihr gerade nach Frühstück für uns?", ertönt plötzlich Chesters tiefe, erheiterte Stimme hinter mir, woraufhin ich mich erhebe und zu ihm umdrehe.

Er führt einen fertig gesattelten und aufgezäumten Gismo hinter sich her, der aber noch halb schlafend vor sich hin trottet. Auch Chester sieht noch etwas zerknautscht aus und seine Stimme ist rauer als sonst.

"Wir üben nur", erwidere ich schmunzelnd und löse Honeys Zügel von dem Ring, an dem ich sie festgebunden hatte. Wir steigen auf und verlassen den Hof, Ticky immer an unserer Seite und die ersten Sonnenstrahlen des Tages im Gesicht.

Wir müssen erst einmal eine ganze Weile quer durch die Wiesenlandschaft reiten, bis wir den Zaun erreichen, den wir kontrollieren müssen. Nach einer Weile wirft Chester mit einen herausfordernden Blick zu, den ich sofort zuordnen kann.

Mit einem kleinen, arroganten Grinsen gebe ich Honey ohne Vorwarnung das Kommando zum Galopp und sie prescht los. Gismo folgt uns sofort, aber der Abstand ist schon zu groß, sodass wir den Zaun als haushohe Gewinner erreichen.

Ticky folgt Gismo und umkreist uns glücklich nach diesem Rennen mit wedelndem Schwanz und hängender Zunge. Lachend beobachte ich sie, während Chester Gismo zu mir aufholen lässt, die Zügel lässig in einer Hand.

Er verzieht spielerisch das Gesicht, während er seinen Schecken lobt, der zufrieden anschnaubt. "Frühstarts zählen nicht, also seid ihr disqualifiziert."

Er spricht mit einem ernsthaften Tonfall, aber in seinen grünen Augen blitzt der Schalk. Davon angestachelt lasse ich Honey seitlich neben Gismo schwenken, sodass ich Chester mit dem Ellbogen anstoßen kann.

"Schlechter Verlierer!"

Er lacht auf und richtet seinen Hut. "Schlechter Gewinner."

Es ist schön, so mit ihm herumalbern zu können. Wieder einmal spüre ich das Lächeln, das in letzter Zeit öfter auf meinen Lippen fest getackert zu sein scheint. Als Chester mich übertrieben breit anstrahlt, setzt mein Herz ein paar Takte aus.

Catch Me, Cowboy!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt