- Chester -
Die letzten Tage waren die Hölle. Seit Jaimes Auftauchen im Sunset Club bin ich nicht mehr nüchtern gewesen, weil mich das Gefühl, vollkommen den Halt verloren zu haben, sonst um den Verstand gebracht hätte.
Mit jedem Drink habe ich mich weiter in die Leere geschossen und gleichzeitig verzweifelt nach einer Lösung gesucht. Peter Pan vor meinem rachsüchtigen und bei Gelegenheit auch brutalen Vater schützen oder meinem Herz folgen und zurück zu Jaime gehen - wenn er mich überhaupt noch will.
Nur darum hat sich jeder meiner vom Alkohol benebelten Gedanken gedreht.
Dann irgendwann habe ich einem Weg gefunden, der vielleicht funktionieren könnte. Deswegen sitze ich jetzt hier im Büro meiner Mutter, ihr gegenüber, und beobachte sie genau.
Zwischen uns auf dem großen, dunklen Mahagonitisch liegt ein Dokument, dass mich von Dads Schraubstockgriff befreien kann. Es ist mein schriftlicher Verzicht auf mein Erbe. Damit bin ich nicht mehr Teilinhaber der Kanzlei und er hat sein Argument verloren, warum genau ich dieses Piranha-Becken übernehmen sollte.
Die blaue Tinte meiner Unterschrift ist noch nicht ganz getrocknet und glänzt noch.
Mum verschränkt die eleganten Finger und schürzt die Lippen.
"Du verzichtest auf das gesamte Erbe, nur unter der Bedingung, dass du dein Pferd behältst und die Kanzlei nicht übernehmen musst?", hakt sie ruhig, aber doch hörbar überrascht nach. Ich nicke nur und lehne mich zurück, während sie nachdenkt.
Ich habe bei Mum die besseren Chancen. Sie ist zwar nie der Inbegriff der liebenden Mutter gewesen, aber sie hat mir immer schon mehr Freiheiten gelassen - und sie ist die eigentliche Inhaberin der Kanzlei. Wenn sie also sagt, dass ich nicht ihr Nachfolger werde, dann ist das praktisch Gesetz. Egal, wie sehr mein Vater toben wird.
Ihre Augen mustern mich, gefasst und abschätzend, dann blinzelt sie und atmet aus.
"In Ordnung, ich sorge dafür, dass dein Vater dich mit der Kanzlei in Ruhe lässt. Du wärst sowieso nie der Richtige für den Job gewesen."
Das hätte wie eine Beleidigung klingen können, aber sie sagt es als reine Feststellung und ich sehe es sogar als Kompliment. Erleichtert atme ich auf und senke dankend den Kopf.
Dann will ich aufstehen und ihr Büro - und L.A. - so schnell wie möglich verlassen, doch sie hält mich auf.
"Warte."
Überrascht mustere ich ihre einschüchternde Gestalt. Ich habe nichts weiteres erwartet.
"Ich werde dir ein Konto mit einem Teil deines Erbes einrichten, damit du über die Runden kommst. Aber du führst ab jetzt dein Leben ohne uns, das ist dir hoffentlich klar. Für deinen Vater bist du kein Teil der Familie mehr."
Und damit überrascht sie mich sehr. Das kleine verräterische Glänzen in ihren dunklen Augen ist mehr an Emotionen als ich seit Jahren an ihr gesehen habe. Und sie ist immer noch meine Mutter - das Konto und ihr Einverständnis ist ihre Art, mir das zu zeigen.
Entschlossen umrunde ich ihren Schreibtisch und drücke ihr einen Kuss auf den Scheitel. In diesem Moment erfüllt mich erschlagende Dankbarkeit und Liebe für sie, denn sie hat mir gerade mehr geschenkt, als sie wahrscheinlich weiß: Freiheit.
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Catch Me, Cowboy!
RomanceJaime Williams lebt das Klischee eines Cowboys: dreckige Schuhe, einen Hut in der Stirn und ein freches Grinsen auf den Lippen. Außerdem arbeitet er auf der Ranch seiner Eltern und er liebt es. Nichts ist schöner als die Zeit bei den Pferden oder d...