Ein unerwarteter Ausgang

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- Chester -

Als wir vollgepackt mit riesigen Papiertüten aus dem kleinen Laden an der Ecke der Hauptstraße stolpern, kann ich mir einen Kommentar nicht verkneifen: "Du weißt aber, dass Elise auf dich steht, oder? Sie hat dich während du bezahlt hast fast ausgezogen mit ihren Blicken."

Jaime rollt schmunzelnd die Augen, während er den Pick-Up aufschließt. Elise ist die ältere Frau, der der Laden gehört und ich habe Jaime noch nie so freundlich und geduldig erlebt wie mit ihr.

Er meint nur: "Elise kennt mich, seit ich noch in die Hose gemacht habe. Mir fällt es schon gar nicht mehr auf, aber danke für dein Interesse an meinem Liebesleben."

Was eigentlich nur als dummer Konterspruch gemeint war, erinnert mich schlagartig an das elektrifizierende Gefühl von Jaimes Lippen auf meinen und eine Gänsehaut zieht sich über meine Arme. Auch Jaime scheint gemerkt zu haben, dass er sich gerade in Gewässer begeben hat, die er nicht angesteuert hatte.

Sein Blick wird intensiver, das Braun seiner Augen ist schlagartig zwei Nuancen dunkler und ich spüre eine Spannung zwischen uns, die mein Herz rasen lässt.

Wir werden jedoch aus unserer Blase des unterdrückten Verlangens gerissen, als ein Hupen ertönt. Erschrocken zucken wir zusammen, bis Jaimes Blick auf den Fahrer eines silbernen Pick-Ups fällt, der ihm zuwinkt. Schnell erwidert er den Gruß, bevor er sich wieder den noch nicht eingeräumten Einkäufen widmet.

Der leichte Rotschimmer auf seinen Wangen entgeht mir jedoch nicht.

Auch ich brauche einige tiefe Atemzüge, bis ich mich wieder konzentrieren kann. Gerade als ich ihm die letzte Tüte reiche, die er auf die Ladefläche stellt, bricht eine Frage aus mir heraus, mit der ich schon seit der Hinfahrt spiele.

"Wollen wir noch ein Bier bei Mick trinken?"

Ich kann die seltene Situation, dass Jaime mich nicht mit ausgefahrenen Krallen angeht, nicht einfach so zu Ende gehen lassen. Und trotz allem verspüre ich das mir nicht ganz verständliche Bedürfnis, diesen rauborstigen, schwierigen Blondschopf kennenzulernen.

Dieser mustert mich einen Moment lang überrascht aus seinen hellbraunen Augen, dann meint er: "Klar, wieso nicht?". Ihm ist anzusehen, dass er mit diesem neuen Programmpunkt nicht gerechnet hat.

Wenig später stoße ich die schwere Holztür der Bar auf und werde von einem Gemisch verschiedenster Gerüche empfangen. Obwohl es gerade erst sechs Uhr am Abend ist, ist Micks Bar schon gut besucht.

Wir schlängeln uns vor bis zum Tresen und ich bestelle zwei Bier bei Josy, die mich freundlich angrinst. Als ihr Blick auf Jaime fällt, der schräg hinter mir wartet, weiten sich ihre Augen kurz, nur um dann erheitert aufzublitzen.

Ich bin verleitet sie zu fragen, warum sie wirkt, als wüsste sie etwas, das wir nicht wissen, lasse es dann aber. So wichtig ist es dann auch wieder nicht.

Ich forme ein Danke mit den Lippen, gebe ihr das Geld samt Trinkgeld und überreiche Jaime seine Flasche, die er dankbar annimmt.

Gerade als wir die ersten Schlucke genommen haben und Jaime mir ein bisschen was über Mick erzählt und wie oft er und die anderen eigentlich abends hierher kommen, ertönt plötzlich ein lautes Lachen hinter mir.

Jaimes Blick schießt sofort dahin und sein Körper ist schlagartig gespannt wie eine Bogensehne. Während ich noch irritiert blinzelnd über die Schulter blicke, leert er sein Bier in einem Zug und knallt es auf den Tresen. "Lass uns gehen", murmelt er nur und flüchtet förmlich aus der Bar.

Gerade noch so schaffe ich es, meine Flasche abzustellen und ihm hinterher zu eilen, nicht ohne dem lachenden blonden Kerl, der von einer Gruppe junger Leute umgeben ist und auf dessen Schoß ein brünettes Mädchen sitzt, einen letzten Blick zuzuwerfen.

Draußen wird Jaime erst langsamer, als wir das Auto schon fast erreicht haben. Sein Blick ist gefährlich und er beißt wahrscheinlich gerade mit aller Kraft die Zähne zusammen. Zügig ziehe ich mich auf den Beifahrersitz, da heult der Motor auch schon auf und Jaime brettert vom Parkplatz.

Bis wir die letzten Häuser der Stadt schon lange hinter uns gelassen haben, sagt keiner ein Wort. Mein Blick huscht lediglich ab und an zu Jaime, der diesen jedoch nicht erwidert. Er umklammert grimmig dreinblickend das Lenkrad und schweigt.

Aber auch wenn ich gerne wissen würde, was zum Henker da gerade abgegangen ist, dass er so durch den Wind ist, halte ich die Klappe. Ich weiß genau wie es sich anfühlt, wenn man nicht über etwas sprechen möchte, aber durchgehend mit Fragen durchlöchert wird.

Anscheinend habe ich damit die richtige Entscheidung getroffen, denn Jaime fängt irgendwann auf halber Strecke zurück zur Ranch an zu sprechen. Seine Stimme ist leise, aber nicht mehr so gepresst wie in der Bar.

"Das eben waren Aaron O'Bryan und seine Freunde... und Janet."

Schlagartig erinnere ich mich wieder daran, wie Mrs. Brighton diesen Namen erwähnt hat. Also ist dieses braunhaarige Mädchen Jaimes' Ex. Ein Stich der rasenden Eifersucht packt mich und eine leise, fürchterlich überflüssige Stimme in meinem Kopf brüllt, dass sie nicht hübsch genug sei, um ihn so wütend zu machen. Aber ich schweige, warte darauf, dass er weiterredet.

"Janet und ich waren eigentlich befreundet, seit ich denken kann. Dann irgendwann war sie auch meine erste feste Freundin - bis zu diesem Zeitpunkt haben wir immer Abstand zu Aaron gehalten.

Dazu musst du wissen, er und seine Freunde sind schon seit der Grundschule die Unruhestifter und Idioten der Stadt, sie sind echt nicht auszuhalten. Aber dann einfach so, von einem Tag auf den anderen, bin ich abgeschrieben und Janet hängt ihm förmlich am Rockzipfel.

Eben war das erste Mal seit sie zusammen sind, dass ich sie gesehen habe. Und weißt du was? Ich fühle mich gerade richtig beschissen."

Jaime lacht auf, aber er klingt eher, als würde er schreien oder weinen wollen - oder beides. Ich verstehe seinen abrupten Abgang jetzt und unvermittelt habe ich das Bedürfnis, ihn zu umarmen und ihn von diesem Erlebnis abzulenken.

Vorsichtig räuspere ich mich, ein kleines, aufmunterndes Lächeln im Gesicht. "Dafür hast du dich ganz gut gehalten - immerhin hast du nicht rumgebrüllt und eine Szene gemacht. So hast du immerhin deine Würde behalten."

Jaimes Blick schießt zu mir und auch wenn er sich Mühe gibt, mich vernichtend anzustarren, muss er doch lachen. Grinsend nehme ich zur Kenntnis, dass er tatsächlich über meine Worte lacht und sein Gesicht sich aufhellt, die Falte auf seiner Stirn sich glättet.

"Jaime?"

Er macht ein fragendes Geräusch, den Blick wieder auf die Straße geheftet. Ich schaue ebenfalls nach vorn, um meinen nächsten Worten ein wenig Gewicht zu nehmen, um eine lockere Stimmung bemüht.

"Ich bin ganz froh, dass Janet nicht an deinem Rockzipfel hängt."

Wieder starrt er mich an, diesmal mit einem Ausdruck, den ich nicht ganz deuten kann. Schnell sehe ich wieder weg, nicht sicher, ob ich meine Worte nicht doch bereuen sollte.

Den Rest der Fahrt schweigen wir und als wir auf der Ranch ankommen, helfen uns Kenny und Becca sofort mit den Einkäufen.

Auch während des Abendessens reden wir kein Wort mehr miteinander und als ich schließlich völlig erschöpft in mein Bett falle, habe ich den undefinierbaren Ausdruck seiner honigfarbenen Augen immer noch nicht aus dem Kopf bekommen.

Catch Me, Cowboy!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt