Zwölf

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Manuel

"Aufstehen?". "Müssen wir wirklich?", murmelte ich an seine Brust. "Alle sind schon wach und in der Halle, so langsam sollten wir hoch.". Seufzend rutschte ich von ihm und vergrub meinen Kopf in seinem Kissen. "Ich steh schonmal auf und mach uns Kaffee, ja? Komm einfach dazu Manu.". Sanft streichelte Chris über meine Wange und schälte sich dann langsam aus der Decke, um aufzustehen. "Bis gleich Knuffi.". "Wie hast du-?". Kichernd schob er den Vorhang beiseite und stellte sich hin. Aus müden Augen beobachtete ich wie er nach hinten zu seiner eigentlichen Koje ging und wenig später angezogen wieder an mir vorbei in den Gemeinschaftsbereich huschte. "Bleib nich zu lange liegen!". Brummend äffte ich ihn nach und setzte mich langsam auf. "Völlig gerädert zum ersten Dienst antreten, mensch Manuel", murmelte ich zu mir selbst und stand auf. Ich schmiss mir die dunklen Crew-Klamotten über und zuletzt meinen eigenen Pullover, der gestern Nachmittag noch in Bünde angekommen war. Chris werkelte unten mit der Kaffeemaschine und ich konnte schon das vertraute Gluckern des koffeinhaltigen Getränks hören. Ich trottete zu ihm hinunter und legte meine Arme von hinten um seinen Körper. Augenblicklich zuckte Chris zusammen und sein Blick schoss einmal durch den Bus. "Alles in Ordnung, sind alleine. Entspann dich.". Noch immer etwas angespannt nahm er zwei Thermobecher und füllte sie. "Sorry", flüsterte er und übergab mir den Becher. "Gehen wir rüber? Jannik hat schon nach dir gefunkt, Andreas nach mir.". "Klar, dann lass uns. Muss mir das Spektakel mal Backstage ansehen.". Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. "Ich bin gespannt, was du erzählst heute Abend. Ehrliches Feedback bitte.". "Immer doch. Du Ehrlich, du.". Ich grinste an meinen Becher und ging voran zur Tür. "Dann wollen wir uns mal deine Arbeit ansehen.".

Jannik empfing mich sogleich und legte den Arm um meine Schultern. "Pünktlichkeit lernen wir nochmal, man merkt, dass Chris und du Best Buddies sind. Nimm dir seine Markel nich so ernst, okey? Ich steh auf Pünktlichkeit.". Lachend schubste er mich etwas zur Seite und grinste. "Nich beeinflussen lassen, klärchen?". "Ay-ay Chef.". Lachend gingen wir nebeneinander her und er zeigte mir auf seinem Tablett das Dispo. "Ich hab dich noch nicht eingeplant für dieses Wochenende, weil du ja erstmal reinkommen musst. Kommende Woche, proben wir mit dir, du sollst bitte beim Ipad und wahrscheinlich beim Todesengel auf die Bühne, außerdem zur Streckbank und weitere Kleinigkeiten.". Ich ging im Kopf die Illusionen durch und nickte leicht. "Aktuell macht das Kim, aber der ist eigentlich kein Veranstaltungstechniker.". "Aber muss ich dabei auf etwas achten?". Jannik schmunzelte. "Arbeitsvertrag schon unterschrieben?". "Klar.". "Verschwiegenheitserklärung?". Ich nickte wieder. "Dann steht es wohl außer Frage, dass du in einige Illusionsgeheimnisse eingeweiht wirst.". "Echt jetzt?!". Lachend blieb mein Kollege stehen. "Natürlich, sonst weißt du doch nicht, worauf du zu achten hast. Zum Beispiel musst du beim Tragen des Ipads penibel darauf achten, dass du richtig stehst und das richtige Timing hast. Wirst du später sehen.". Neugierig nickte ich es ab und überlegte. "Hast du wirklich noch bei keiner Nummer rausgefunden wie es funktioniert?". "Doch, einige weiß ich. Chris hat damals schon einige der Prinzipien genutzt, aber manches erschließt sich mir noch immer nicht. Teilweise oder auch ganz.". Jannik lächelte mich an. "Es ist wirklich beeindruckend, was sie auf die Beine stellen.". "Ja, das stimmt. Wie groß das Ganze auch geworden ist, können echt stolz auf sich sein.". Wir gingen durch den Backstage auf den Hinterhof, wo für gewöhnlich die kurzen Pausen abgehalten wurden. Das Team arbeitete gerade vertieft an der Showvorbereitung, dass tatsächlich nur wir Zwei hier standen.

"Hat der Ruhm ihn verändert?". Jannik steckte sich eine Zigarette an und sah mich an. "Ich bin seit knapp acht Jahren hier festangestellt, hab die weniger erfolgreichen Zeiten zwar auch mitbekommen aber- wie war er als Jugendlicher? Sie Beide?". Ich ließ mich auf eins der hier gelagerten Cases sinken und zündete mir ebenfalls eine Zigarette an. Einen tiefen Zug nehmend dachte ich über seine Frage nach, über eine passende Antwort. "Andreas scheint sich kaum verändert zu haben. Schon damals war er fürsorglich und zuvorkommend, und doch wusste er immer, was er wollte. Als wir gerade unser Abi hatten, war er im zweiten Semester und hatte nebenbei viele Auftritte. War schon damals richtig gut, hat geliebt was er da tat. Ich hab ihn wirklich gern gehabt. Ich verstehe, warum Chris so zu ihm aufsieht. Andreas ist durch und durch der perfekte große Bruder.". Jannik nickte. "Und Vater. Nicht nur seine Kinder umsorgt er, sondern auch uns.". Lachend schüttelte er den Kopf. "Ist manchmal ziemlich amüsant zu beobachten. Er hält auch gerne Predigten.". Da konnte ich ihm nur zustimmen, was uns erneut zum Lachen brachte.

"Und Chris-". Neugierig sah er zu mir. "Er war immer der Kopfmensch. Chris trifft keine Entscheidungen aus dem Bauch heraus, geschweige denn dem Herzen. Er überdenkt alles, macht sich immer einen Kopf und wählt letztlich dann doch den einfacheren Weg. Glaub mir, hätte Andreas mit der Zauberei nicht angefangen, Chris hätte dem Wunsch nach einer Magier-Karriere nicht nachgegeben.". "Meinst du? Er liebt die Magie doch.". "Mag sein. Aber du warst ja dabei, es war kein leichter Weg. Chris mag keine Komplikationen, er kann damit nicht um. Andreas wird ihn mitgerissen haben.". "Manu, darf ich-", beinahe unsicher strich er sich durchs Haar und drückte seine Kippe aus. "Darf ich dir eine persönlichere Frage stellen?". "Wie persönlich?". Unsere Blicke trafen sich. "Es geht um Chris. Und dich.". Ein schwerer Kloß in meinem Hals verweigerte mir eine Antwort und ich konnte nur versuchen ihn runterzuschlucken. "Wie nah standet ihr euch? Du sprichst so als wärt ihr wirklich sehr gut miteinander gewesen, vielleicht- vielleicht auch mehr als nur gut?". Seufzend wand ich den Blick ab und brachte meine Zigarette zum Aschenbecher. "Sorry, dass ich frage-". "Schon gut.". Ich ließ die Schultern hängen und sah in die Ferne, beobachtete die LKW und das lächelnde Gesicht meines 'Best Buddies'. "Wie schon gesagt, Chris wählt den leichten Weg.".

Für einen Moment war es still und ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Jannik mit sich haderte. "Wart ihr zusammen?", sprach er leise die Frage aus, die ihm wohl im Kopf rumschwebte. "Nicht wirklich. Er hatte Christina, ich war nur Manuel. Wir haben uns geküsst, haben gekuschelt und jede freie Minute genossen. Ich konnte es nicht mehr ausstehen ihm in der Schule und allem nicht nah zu sein. Er ging extra auf Abstand, grüßte mich kaum und schrack zusammen wenn ich ihn freundschaftlich in den Arm nahm- Er hat sich dann für sie entschieden und ich bin noch am Tag unserer Abiturfeier abgehauen nach Bielefeld. Ich konnte nicht mehr hier sein, bei ihm. Und ihr.". "Das tut mir unendlich leid Manu. Wenn ich dir irgendwie-". Ich drehte mich zu ihm und unterbrach ihn mit feuchten Augen: "Jannik, ich liebe ihn immernoch. Und er hat immernoch dieselben Ängste und Gedanken. Ich- ich weiß nicht, was ich tun kann um ihm Sicherheit zu geben.". Mitleidig sah er mich an und nahm mich dann einfach in den Arm. Ich weinte in seiner Umarmung, ließ den Schmerz raus und lauschte seinen leisen, aufmunternden Worten: "Wir schaffen das schon. Ich helf dir, du kriegst ihn schon rum Manu. Er wird dein Christian, ganz bestimmt.".

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