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Christian

"Hast du alles?". Mit schweißnassen Händen tastete ich meine Taschen ab und nickte. "Wollen wir dann?". Mein großer Bruder sah mich an. "Ja, ich- ich denke schon.". "Bleib ganz locker. Du gehst in einer Stunde hier wieder raus als geschiedener Mann.". Zuversichtlich lächelte er mir zu und stieg aus seinem Wagen. Ich folgte ihm und ließ mir den Arm um die Schultern legen. "Lass dich nur nicht provozieren von dieser Frau, sie kann dir nichts. Weder verbal noch körperlich Chris. Schau nach vorn, Sommerpause und dann geht's mit der Tour in die letzten Züge.". Brummend stimmte ich ihm zu und sah noch einmal aufs Handy. "Haben wir nochmal fünf Minuten?". Ohne Aufzusehen tippte ich auf meinem Handy. "Klar, ich warte am Eingang auf dich.". "Aber nicht zu weit-". "Ich hab dich im Blick, keine Sorge.". Dankbar lächelte ich ihn an und nahm das Handy nun ans Ohr. Nach mehrfachem Klingeln meldete sich die liebliche Stimme: "Guten Morgen Chrissi, hab nich damit gerechnet, dass du noch durchrufst.". Ich kickte einen Stein weg und sah in den Himmel. "Ich muss dich einfach nochmal kurz hören, hab ich dich geweckt?". Mein Freund war vergangene Nacht auf einer Hochzeitsfeier und legte als DJ auf. Erst kurz nach vier kam er zu mir ins Bett gestolpert. "Ich war schon fast wach, mach dir keinen Kopf. Wie geht's dir?". Seufzend setzte ich mich auf eine Bank. Mein Blick fiel aufs Amtsgericht vor mir. "Ich bin so nervös. Nich dass sie doch noch gewinnt und-". Liebevoll unterbrach Manu mich. "Christian, das wird nicht passieren. Ihr habt den Ehevertrag, vielleicht müsst ihr ja gar nicht mehr aussagen. Heute kannst du alles loslassen, was mit ihr zu tun hatte.". Leicht nickte ich. "Kann ich dir irgendwie helfen Chris?". Einige Momente verstrichen in denen ich nicht antwortete. "Nimm mich einfach in den Arm wenn es vorbei ist", flüsterte ich. "Ich will mit dir Pizza machen, einen Wein trinken und uns tief ins Bett einkuscheln. Ich glaube- das ist alles, was ich heute noch brauche.". Ganz leise, ganz sanft stellte er mir erneut eine Frage: "Magst du auch vorher schon eine Umarmung?".

Verwirrt hob ich den Kopf und sog überrascht die Luft ein. Mein Handy tutete leise weiter und noch bevor ich etwas erwidern konnte, legten sich seine starken Arme um mich. "Ich bin die ganze Zeit hier, warte hier draußen. Ich lass dich doch nicht alleine", flüsterte er. "Andreas und ich warten gemeinsam auf Dich.". Leise schluchzend hielt ich mich an ihm und atmete leise durch. "Wollen wir rein? Dein Bruder wartet schon bei deinem Anwalt, so wie es aussieht.". Widerwillig löste ich mich aus seinen Armen und strich mir vorsichtig die Tränen weg. "Ja, ich- lass uns reingehen.". Nebeneinander gingen wir zur großen Tür des Amtsgerichts, an welcher tatsächlich auch mein Anwalt bereits wartete. "Guten Morgen Herr Reinelt-", er gab mir die Hand und hielt sie auch Manuel hin, die er lächelnd annahm. "Josting, ein Freund von Christian.". Nickend nahm Herr Kramer das zur Kenntnis. "Wollen wir dann? Sind Sie soweit?". Nervös strich ich mein Hemd noch einmal glatt und richtete den Kragen. "Wir können, ja." "Lass dich nochmal in den Arm nehmen", murmelte mein Bruder und nahm mich innig in den Arm. "Schau sie einfach nicht an, du bist so stark", murmelte er an mein Ohr bevor er mich losließ. Auch Manu nahm mich noch einmal in den Arm und drückte mich an sich. "Sobald das durch ist, verziehen wir uns auf die Couch und lassen den Stress abklingen.". Ich stimmte ihm leise zu.

Meine Laune war die letzten Tage unglaublich schlecht gewesen, ich war gereizt und gestresst. Manu hatte irgendwann schon gar nicht versucht mich zu beruhigen, ich war ein hoffnungsloser Fall. "Dann bis gleich.". Die beiden Männer lächelte uns zu und bevor sich die Pforte schloss, fing ich noch einmal Manus liebevollen Blick auf. "Wir gehen gleich durch und nehmen Platz. Sie müssen mit Ihrer Frau kein Wort mehr sprechen, das hab ich schon abklären können.". "Vielen Dank, das ist mir sehr wichtig.". Bedrückt sah ich meinen Anwalt kurz an. "Da steckt noch mehr hinter, richtig?". Seine Stimme war gedämpft als er neben mir herging. Der Gerichtssaal war den Gang hinab, der Weg dahin fühlte sich elendig lang an. "Wie meinen Sie?". Ich griff an die Türklinke, doch sein Arm presste gegen die Tür. "Ist Ihnen in dieser Ehe etwas passiert? All die Zeit waren Sie so zurückhaltend Frau Reinelt gegenüber.". Vorsichtig schüttelte ich den Kopf. "Das liegt außerhalb Ihres Kompetenzbereichs", brachte ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor. Mitleidig lag sein Blick auf mir. "Sie müssen sich nicht schämen deswegen. Wir erledigen jetzt den Termin, danach müssen Sie sie nie mehr sehen.". Er ließ mich die Tür öffnen und schweigend gingen wir zu unseren Plätzen, genau gegenüber von meiner Ex. Mit ihrer Anwältin war auch sie schon anwesend, hob direkt den Kopf als sie mich sah und reckte das Kinn in die Höhe. "Guten Morgen", grüßten sich unsere Vertreter respektvoll. "Muss ich grüßen?", murmelte ich und sah Herrn Kramer mit großen Augen an. "Nein, keinesfalls. Das kann Ihnen keiner vorwerfen, alles gut.".

Die Richterin betrat gemeinsam mit der Protokollführung den Saal und eröffnete den Termin. Nervös, weil ich nicht wirklich wusste, wie das nun ablaufen würde, spielte ich an meinen Händen. "Die Scheidung ist beiderseits erwünscht, ist das richtig?". Frau Luca, die Anwältin von Christina, bestätigte dies ebenso wie es Herr Kramer tat. "Der Zeitpunkt der Trennung war der vergangene Dezember, seit Anfang des Jahres leben Sie nun auseinander?". Auch dies bestätigten beide Anwälte. Ich sah auf und traf dem Blick meiner Ex. Gehässig, beinahe hochnäsig sah sie auf mich hinab und die blanke Angst stieg in mir auf. "Wie lange noch?", flüsterte ich und wischte mir die ersten Schweißtropfen von der Stirn. "Bleiben Sie ganz cool, ganz ruhig. Jetzt wird der Ehevertrag besprochen.". Ich zerrte an meinem Kragen und suchte vergebens nach mehr Luft.

"Mir vorliegend befindet sich der Ehevertrag, unterzeichnet von Christina Reinelt und Christian Reinelt am 28. Oktober 2013. Notariell beurkundet von Herr Dr. Wilk, Notar ansässig Gartenstraße 12 in Herford, ebenfalls am 28. Oktober 2013.". Kaum hatte die Richterin ausgesprochen, erhob sich Frau Luca und räusperte sich. "Meine Mandantin hätte zum vorliegenden Ehevertrag noch einen Einwand-". "Frau Luca, würden Sie bitte Platz nehmen? Ich war noch nicht zu Ende.". Harsch, aber dennoch diszipliniert, wurde sie gleich wieder in die Schranken gewiesen. "Die Beurkundung ist korrekt, die Unterschriften ebenfalls. Aus dem Ehevertrag ist zu entnehmen, dass im Falle einer Scheidung jeder auf seinem Vermögen belassen wird. Herr Reinelt hat Ihnen, Frau Becker, bereits die Wohnung zugesprochen und die dort noch enthaltenen Möbel. Sein Vermögen obliegt ihm, ebenso wie Ihnen ihr eigenes.". Sie schlug ihre Akte zu und sah alle Beteiligten erneut an. "Den Ehenamen Reinelt legen Sie hiermit ab und tragen absofort wieder den Namen Christina Becker.". Die Richterin erhob sich und schloss die Verhandlung.

"Das wars", flüsterte die freudige Stimme neben mir. "Das- wars?". "Sie sind ein geschiedener Mann, Ihr Vermögen bleibt bei Ihnen.". Die Realisierung traf mich wie ein Schlag und ich konnte nicht anders als meinen Anwalt zu umarmen. "Vielen Dank! Sie waren großartig.". Lachend strich ich mir durchs Gesicht und grinste erleichtert. "Wollen wir raus zu Ihrem Bruder und Ihrem Freund?". Ein warmes Gefühl durchströmte meine Brust beim Wort 'Freund'. "Ja- ich muss es ihnen unbedingt sagen. Endlich, oh Gott", hauchte ich. "Ich kann endlich nach vorne schauen-".

Für Immer ab JetztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt