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Manuel

Ob es richtig war sich auf ihn einzulassen? Ich wusste es nicht. Friedlich schlafend lag Chris auf meiner Brust, er war schnell wieder eingeschlafen und ließ mich nun schlaflos zurück. Seine Unsicherheit war präsent wie eh und je. In dieser Wohnung fühlte er sich wohl, er küsste und umarmte mich einfach, doch in der Welt da draußen war er anders. Das war schon immer so. Nichts wünschte ich mir sehnlicher als dass er eines Tages den Mut aufbringen würde, damit wir zumindest vor unseren Familien nichts mehr verheimlichen mussten. Leise seufzte ich auf und zog vorsichtig die Decke über uns.

Emotional war Chris ein Wrack, das war mir die letzten Tage durchaus bewusst geworden. Christina hatte ihm in den letzten Jahren sein Selbstvertrauen geraubt, hatte ihn klein gehalten und ich wollte gar nicht wissen, was sie ihm noch alles angetan hatte. Glücklicherweise verheilten die Narben auf seinem Oberkörper gut, er hatte keine Schmerzen mehr. Psychisch würde ihn das aber noch länger begleiten, selbst wenn die Scheidung durch war. Mir drehte sich der Magen um, wenn ich an diesen Termin dachte. Die Gedanken rasten nur so: Wie würde Christina reagieren? Was würde aus Chris Vermögen und wie würde seine Wohnsituation aussehen? Eigentlich war seine Wohnung als Übergangslösung gedacht. Vorsichtig löste ich meine Hand von ihm und strich mir über die Augen. "Wieso muss das alles so kompliziert sein hm?". Mein Blick richtete sich auf meinen Freund. Wie gut es tat, ihn so zu nennen. Seine dunkelbraune Mähne hing ihm über die Augen, ganz behutsam strich ich sie zur Seite und lächelte. "Wenn du nur wüsstest, wie wunderschön und süß du bist", murmelte ich und ließ meine Hand an seiner Wange ruhen. Erst Minuten später fiel ich in einen traumlosen Schlaf.

Der vertraute Duft nach Kaffee weckte mich und langsam öffnete ich meine Augen. Eine dampfende Tasse stand auf meinem Nachtschrank. Verwirrt sah ich mich um und bemerkte erst jetzt, dass die Bettseite neben mir leer war. "Chris?". Mir taten die Knochen weh und der Muskelkater war wirklich der schwerste seit Jahren. Zugegebenermaßen war die Arbeit anstrengend, sowohl physisch als auch geistig. Auf müden Beinen stand ich auf und warf mir einen Hoodie über, nahm die Tasse und trank einen großen Schluck. Meine Wohnung schien so ruhig und still, ich hatte schon Sorgen, dass Chris vielleicht gegangen war. Doch gerade als diese Sorgen mich überkamen, hörte ich ein lautes Poltern von meinem Balkon. "So eine scheiße!". Schmunzelnd kam ich zur Tür und beobachtete ihn dabei, wie er einen Fleck Milch wegwischte und leise vor sich hintotterte. "Kann doch nich wahr sein, ich hab die doch gut festgehalten", brummte er leise. "Ist mir auch schon öfter passiert, mach dir nichts draus.". "Oh Gott, erschreck mich doch nich so.". Chris zuckte zusammen und sah mich aus weit aufgerissenen Augen an. "Entschuldigung, war nur so einsam im Bett. Ich wollt dich nich erschrecken.". Schuldbewusst streichelte ich ihm über die Wange nachdem ich meine Tasse abgestellt hatte. "Ich hab nich damit gerechnet, dass du so schnell wach wirst.". Verlegen kratzte er sich kurz im Nacken und sah dann zum reich gedeckten Tisch. "Ich hab mich an deiner Küche bedient, hoffe das war in Ordnung. Deine Kaffeemaschine hat kurz Mucken gemacht, aber dann gings.". Lächelnd sah ich ihn einfach an. "Das ist- ich bin wirklich- danke Chris.".

Noch etwas sprachlos setzte ich mich zu ihm und ließ mich liebevoll in seine Armen ziehen. "Ich wollte mich bedanken, dass ich hier sein darf. Mit dir. Dass du mich nicht aufgibst", flüsterte er und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. "Du bedeutest mir alles Manu.". Ich bekam augenblicklich Gänsehaut und sah zu ihm auf. Seine Gesichtszüge so entspannt, der Blick über den Balkon und die Gärten, die kleinen Lachfältchen- "Das hättest du nicht extra machen müssen. Es ist aber wunderschön, da könnt man sich glatt dran gewöhnen. Morgens auf dem Balkon mit meinem Freund", murmelte ich und hauchte ihm lächelnd einen Kuss auf. "Es ist total idyllisch hier, so ruhig. Hier fühlt man sich einfach sicher und wenn du bei mir bist, erst Recht.". Sein Blick legte sich nun auf mich. "Du bist mein Zuhause.". Schüchtern lächelte er und kraulte meinen Arm. "Das bin ich sehr gerne. Du kannst immer zu mir kommen, ja? Egal was passiert oder wie es dir geht, meine Tür steht dir immer offen.". Mit feuchten Augen lehnte er seinen Kopf an meinen und hauchte schluchzend: "Ich bin dir so dankbar, das glaubst du mir gar nicht. Du holst mich einfach raus aus der ganzen Scheiße, ich- würde ohne dich immernoch jeden Tag vor mich hin vegetieren.". Liebevoll strich ich über seinen Bauch. "Gemeinsam stehen wir das durch, alles was uns noch erwartet.". Die lauwarme Luft streichelte unsere Haut und für den Moment schwiegen wir einfach.

"Käffchen und ein frisches Brötchen? Zugegebenermaßen aufgebacken.". Schmunzelnd nickte ich. "Dann musst du mich aber loslassen", murmelte ich. "Wollen wir das?". Schmollend schüttelte ich den Kopf und drückte meinen Kopf extra noch weiter in sein Shirt. "Dann bleibst du einfach so sitzen, ja? Magst du Nutella?". "Jap.". Ich schloss entspannt die Augen und lauschte seinem Tun. Er schmierte zwei Brötchen und füllte neuen Kaffee in unsere Tassen. "Guten Appetit", flüsterte er und hielt mir einen Teller hin. Dankend nahm ich an und aß stillschweigend mein Brötchen. "Danke Chrissi", murmelte ich und ließ meinen Teller im Schoß stehen. "Gerne doch. Ist richtig schön morgens mal entschleunigt zu frühstücken.". "Vielleicht schaffen wir das jetzt öfter?". Vorsichtig setzte ich mich auf und stellte den Teller zurück auf den Tisch. Ich drehte mich zu Chris und fing sein verunsichertes Lächeln auf. "Nich?". "Doch, ich bitte drum. Ich liebe wie du gerade auftaust, macht mich ganz glücklich.". Sein Lächeln wurde verlegen und er zog mich zurück in seine Arme. Schnaufend presste er seine Nase an meinen Hals und atmete durch. "Ich hab dich ja so lieb", murmelte er und hauchte mir einen seichten Kuss auf die Haut. "Und ich dich erst Christian.".

Nur langsam starteten wir in den Tag, ich stieg noch unter die Dusche und warf eine Maschine Wäsche an. Gegen 14 Uhr verabschiedete Chris sich, legte seine Arme um meinen Hals und betrachtete mich einen Moment. "Wir sehen uns nachher, ja? 16 Uhr?". Ich nickte leicht. "Ich werd da sein.". "Schreibst du mir wenn du losfährst? Ich würd dich gern noch begrüßen bevors losgeht.". Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. "Ich geh in die Halle, komm zu den Spinten, ok?". Beschämt ließ er den Kopf in den Nacken sinken. "Tschuldige", brummte er. "Schon in Ordnung. Ich meld mich. Komm gut heim und dann zur Halle, pass auf dich auf.". "Du auch auf dich, ja? Ich brauch dich noch.". Mit einem sanften Kuss verabschiedete er sich und blieb auf der Treppe im Hausflur nochmal stehen. "Manu?". Ich sah nochmal zu ihm. "Hm?". "Heute Nacht bei mir?". Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. "Sehr gerne Chrissi.".

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