Achtzehn

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Chris

Ich setzte Manu beim Stadtkind ab und wartete noch bis er an mir vorbei fuhr. Seufzend lehnte ich meinen Kopf ans Lenkrad und atmete tief durch. Noch immer spürte ich die Kälte und Nässe der vergangenen Nacht in den Knochen, mir tat der Rücken weh und die Gedanken rasten nur so. Ich wollte nicht, dass Manu erfuhr was Christina seit Monaten immer wieder tat. Doch als wir so eng aneinander lagen, sein warmer Körper mir Sicherheit spendete und seine Hand plötzlich die Narben entlang fuhr, konnte ich ihn nicht anlügen. "Dein Leben ist echt abgefuckt", murmelte ich und startete erneut den Wagen. Aus dem Augenwinkel sah ich ein silbernes Fahrzeug langsam an mir vorbeirollen und hob den Blick. Erschrocken hielt ich den Atem an während ihre blauen Augen, die meinen fixierten. Panisch senkte ich den Blick und drückte aufs Gas, um augenblicklich mit quietschenden Reifen davonzurasen.

Meinen Wagen parkte ich kurz vorm Eingang der Halle. Ich blieb noch einen Moment sitzen, holte tief Luft und stieg dann aus. Manus Wagen stand bereits neben Janniks und so wie es aussah, war er auch bereits in der Halle. Manuel hatte mir heute Morgen noch eine Brotdose fertiggemacht, die griff ich vom Beifahrersitz und ging dann in die Halle. "Morgen Chris", grüßte mich Karin und eilte mit einem Aktenstapel an mir vorbei. Leises Gewusel war bereits aus allen Räumlichkeiten zu hören, aus der Halle hörte man die Flex und die Probenhalle schien erneut für die Neuen hergerichtet worden sein. Ich schob die Tür auf und beobachtete die Jungs bei den Vorbereitungen fürs Proben. "Hey, kommst mit rein?". Eine Hand legte sich auf meine Schulter und ich drehte mich zu Dominik. "Wir werden heute den Todesengel machen, dein Bruder kommt später auch dazu.". "Dafür braucht ihr mich ja nicht zwingend.". Lachend klopfte er mir auf die Schulter. "Aber wir hätten dich trotzdem gern dabei. Du hast ein gutes Auge Chris, Andreas wird ja sagen wenn er herkommt. Entscheid einfach, ob du doch Bock hast.". Ich nickte ihm zu und ließ ihn zu der Gruppe laufen. "Unser Kamerakind ist auch endlich da, super. Hilf mir mal Manu das zu erklären.". Jannik empfing ihn sogleich und zog ihn neben sich, wo sie gemeinsam Manu erklärten wie die Illusion funktionierte und worauf er achten musste.

Das leichte Kribbeln in meinem Bauch ignorierend, schloss ich die Tür wieder und machte mich auf den Weg ins Büro. "Chris, hast du kurz?". Ich sah auf und erkannte Hilde auf mich zukommen. "Wir haben noch einige offene Anfragen für Fernsehauftritte. Schaust du noch drüber, wir müssen die Entscheidungen mitteilen.". Seufzend nahm ich das Skript entgegen und nickte. "Zeitraum?". "Gleich nach der letzten Show, die ersten beiden Juli-Wochen.". "Ist gut, ich gehs absprechen mit Andreas. Ich glaub in der zweiten Woche haben die Kids schon frei.". "Klärt das mal und meld dich.". Ich zeigte ihr einen Daumen hoch und ging weiter durch den offenen Flur. Aus unserem gemeinsamen Büro hörte ich Andreas telefonieren, also öffnete ich leise die Tür und schlich zu meinem Platz. "Schönen Tag noch, ciao.". "Wer war das?". "Stefan, neue Tourtermine und so.". Andreas kam zu mir rüber und deutete auf einen Brief neben meinem Laptop. "Lag heute morgen im Postkasten für dich.". "Okey?". Ich stellte meine Brotdose zur Seite und fing mir einen neugierigen Blick ein. "Seit wann-". "Nur heute.". Ich öffnete den Brief und zog einen zusammengefaltenen Zettel raus.
"Guten Morgen Schatzi, ich hoffe du hattest eine gute Nacht bei deinem Manuel. Lass die Finger von ihm Christian, wir wissen beide, dass du nur aus Mitleid bei ihm bist und nicht wirklich schwul bist. Komm lieber zu mir zurück, ich kann dir alles geben was du willst. Nur ich bin gut für dich Schatzi, hab dich im Auge ;)"

Angewidert lies ich den Zettel sofort wieder in den Umschlag rutschen und schmiss ihn in den Reißwolf. "Christina denkt, sie hat noch eine Chance. Eklig.". "Was schreibt sie?". "Dass sie mich zurückwill, nur sie gut für mich ist und sowas.". Seufzend legte ich meinen Kopf in die Hände und brummte. "Irgendwas ist doch noch Chris.". Andreas Hände massierten sanft meinen verspannten Nacken. "Du bist immer so eigenartig wenn du dir Gedanken machst. Als sie fremdgegangen ist, warst du ähnlich drauf. Ganz in dich gezogen.". Leicht nickte ich nur. "Ich weiß gerade nicht wohin mit mir. Komm schon klar.". "Du kannst ruhig mit mir reden, ich beiße nicht.". Schmerzlich lachte ich auf und löste seine Hände, stand auf und trat an die großen Fenster. "Beiß ich?". Seine Stimme klang verwirrt, beinahe verletzt. "Weiß ich nicht. Ich kann einfach nich drüber reden, ok?". Flüsternd fügte ich hinzu: "Ich pack das noch nich Andy.". Ohne weitere Worte kam er zu mir, drehte mich zu sich und sah mir ernst in die Augen. "Falls du doch noch reden möchtest, ich bin hier. Und wenn dir Jemand wehtut, bin ich direkt zur Stelle. Du gehst auch gewiss nicht allein zum Scheidungstermin, ok? Ich bin hier für dich Chris.". Mit jedem weiteren Wort kamen mir die Tränen und ich ließ mich schluchzend in seine Arme ziehen. "Ist alles gut Chrissi", murmelte er an mein Ohr und hielt mich einige Minuten einfach nur im Arm.

Ein vorsichtiges Klopfen ließ ihn den Kopf anheben. "Ja?". Die Tür schob sich etwas auf und Jannik trat herein, gefolgt von niemand geringerem als Manuel. "Hey, wir- wir wollten proben? Ist alles gut?". Jannik warf einen fragenden Blick zu Manu, welcher mich aus seinen blauen Augen beobachtete. "Kommen gleich Jannik. Macht schon alles bereit, prüft die Musik und Licht.". "Machen wir.". Er klopfte Manu im Vorbeigehen auf die Schulter und verließ das Büro. "Alles gut Chris, ist was passiert?". Die weiche Stimme meines besten Freundes ließ nun auch mich aufsehen. "Christina, ich- ist schon in Ordnung.". Besorgt traf sein Blick den meinen, doch riss er sich vor meinem Bruder zusammen und nickte. "Dann bis gleich. Esst ruhig noch Frühstück, ein wenig brauchen wir wohl noch.". "Manuel!". "Komme!". Er lächelte entschuldigend und verließ das Büro wieder. "Er tut dir gut. Ich bin froh, dass ihr euch wiedergefunden habt. Wart ja damals schon unzertrennlich.". "Ja", murmelte ich und ging langsam zu meinem Tisch zurück. "Ich geh schonmal vor, hol nochmal Luft Chris", meinte mein Bruder und öffnete schon die Tür. "Ach so, bevor ichs vergesse-", er beugte sich zurück und schenkte mir ein herzliches Lächeln. "Ich hab dich lieb kleiner Bruder.". Schon war er verschwunden und ließ mich mit einem Lächeln zurück. Ich zog die geschlossene Brotdose zu mir ran und sah hinein. Ein belegtes Brot, ein Becher griechischer Joghurt und ein Zettel. Vorsichtig zog ich den Zettel aus der Dose und faltete ihn auseinander. "Heb dein Köpfchen wieder und lächel mal. Du bist großartig Chrissi, ich hab dich lieb.". Sofort breitete sich eine prickelnde Gänsehaut auf meinen Armen aus und ich ließ mich schnaufend in die Lehne sinken. "Ich hab dich auch lieb Manu", flüsterte ich und schloss für einen Moment die Augen.

Für Immer ab JetztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt