Neunzehn

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Christian

Meinen Crew-Hoodie über den Kopf ziehend betrat ich die Probenhalle und fand mich sogleich im hellgrünen Licht. Die erste Probe für den Todesengel war soeben durchgelaufen und mein Bruder saß auf seinem Podest. "Du musst wirklich on point sein Manuel, Timing ist alles. Chris ist auch noch dabei und du musst wirklich schauen, dass ihr gut steht.". Sein Blick glitt von Manu zu mir. "Komm mal her Chris. Du musst die Proben bitte mitmachen, damit wir das ganzheitlich durchgehen können.". "Natürlich, mach ich.". Ich kam zum Team und ließ mir Janniks Ipad geben. "Soweit läuft es gut. Manu hat die Grundzüge schon drin, jetzt müssen wir nur die Feinheiten noch machen.". Ich nickte und sah mir die Aufzeichnung von gerade an. "Ich seh schon, wo das Problem noch ist, warte.". Ich gabs ihm zurück und ging zu Manu. Trotz allem, was uns verband, riss ich mich nun zusammen und atmete einmal durch. "Komm mal neben mich.". Ich stellte mich an die linke Seite des Brettes, auf dem Andreas noch immer saß. "Ganz dicht und Manu, stell dir einfach vor wir haben ihm tatsächlich die Beine abgenommen. Sei panisch, ängstlich und versuch um alles in der Welt diese Beine wieder ranzukriegen, ja?". Lachend nickte er. "Ich glaub, das bekomm ich hin. Danke.". "Ich danke dir", flüsterte ich an sein Ohr und schenkte ihm ein schüchternes Lächeln. "Dann lasst es uns nochmal probieren Jungs!". Jannik klatschte in die Hände und stellte sich einige Meter weg. "Wir haben noch bis nächste Woche Zeit, das schaffen wir.". Grinsend schüttelte ich den Kopf und stellte mich zu ihm. "So enthusiastisch hier. Was'n da los?". "Einer muss ja hier mal ernst bleiben, oder nich?". Empört stieß ich ihm in die Seite und lachte. "Wir sind total ernst.". "Bruder! Konzentrier dich jetzt.".

Noch bis fast 18 Uhr hingen wir am Todesengel fest, probten auch noch mit Julian ein paar Mal durch und die Kollegen gaben sich gegenseitig Hilfestellungen. "Kann man doch ganz zufrieden mit sein, oder was?". Jannik nickte erleichtert und legte sein Ipad zur Seite. "Ich will dieses Ding bis nächste Woche nicht mehr sehen, danke.". Lachend stimmte die gesamte Belegschaft mit ein. "Erstmal steht noch unsere Firmenfeier an, Sonntag haben alle einen Kater also können wir Montag wieder durchstarten.". "Soll noch was mitgebracht werden?", meldete sich Manus erschöpfte Stimme. "Nein ach. Wir sorgen für alles, macht euch keinen Kopf.". Ich klopfte Andreas auf die Schulter und nickte. "Wir sind ab 16 Uhr hier, kommt einfach wie es passt.". "Alles klar, vielen Dank. Dann erstmal einen schönen Feierabend euch allen.". Unser Team ging gesammelt zu den Spinten und ich beobachtete meinen Bruder noch beim Ausschalten der Lichter. "Bier hast du ja schon stehen hier, richtig?". Er nickte mir zu. "Ist alles schon da. Mama und Steffi bringen ja den Rest rüber, also müssten wir vielleicht noch im Hinterhof die Tische und Bänke hinstellen.". "Dann komm ich zu 15 Uhr her und wir machen das.". Auf unserem Weg ins Büro, unterhielten wir uns noch über die Feier und ich fing an meine Bedenken zu äußern. "Was wenn sie hier auftaucht?". "Wird sie nicht Chris, das traut sie sich gar nicht.". "Das denkst du", murmelte ich und fing seinen besorgten Blick auf. "Mensch Chris, da steckt doch noch mehr dahinter.". Die Bürotür fiel ins Schloss und mit verschränkten Armen blieb Andreas vor mir stehen. "Möchtest du mich aufklären? Ich kann dir nicht helfen Christian, wenn du nicht mit mir sprichst.". Seufzend zuckte ich mit den Schultern und stellte mich an unsere großen Fenster. "Droht sie dir? Ist es dein Vermögen worum du dir Sorgen machst? Ich will es doch nur verstehen.". Seine Hand legte sich auf meine Schulter und ich schreckte vor ihm weg. Schwer atmend starrte ich ihn an. Seine Augen waren genauso weit aufgerissen wie meine. "Chris?". "Nicht-". Andreas zog seine Hand wieder zurück. Mein Atem ging schnell. Ich zitterte. Ich konnte kaum mehr klar denken und presste mich an die Fensterwand. "Ich tu dir nichts, bitte. Was ist los?". Mein Kopf war leer und ich brauchte einige Sekunden um mich wieder zu fangen. "Hey, bist du ok?". Nur schwach schüttelte ich den Kopf und ließ mich auf den Stuhl sinken, den mir mein Bruder hinschob. "Was tut sie dir Chris?". Er kniete sich vor mich und nahm ganz vorsichtig meine Hand, um sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken zu streichen. "Sie ist so laut geworden, so unberechenbar-", hauchte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn. "Tut sie dir weh Chris?". Ich sah auf und traf seinen Blick. Tränen schossen in meine Augen und bevor ich es überhaupt verhindern konnte, lief die erste Träne meine Wange hinab. "Oh Gott", brachte er stockend raus und musste kurz die Augen schließen. "Ich war die Nacht bei Manu, weil- ich ihm noch etwas sagen musste und- er hats rausgefunden. Ich-". "Wehe du sagst jetzt, dass du dich schämst. Das musst du nicht, um Gottes Willen bitte nicht.". Der Druck seiner Hand festigte sich. "Du bist nicht Schuld. Wir holen dich da raus, ja? Bis zur Scheidung bleibst du in deiner Wohnung oder kommst zu uns, zu Mama oder auch zu Manuel. Wenn sie dir zu nah kommst, rufst du gleich an. Wir stehen dir alle bei.". Leicht nickte ich und wischte mir über die Wangen. "Danke.".

Wie lange wir so da saßen, wusste ich nicht. "Feierabend! Gehen wir noch einen Absacker trinken?". Durch das geöffnete Fenster tönte Dominiks unverkennbare Stimme zu uns auf und kurz darauf die zustimmenden Antworten. "Ich lass es heute aus, fahr nach Hause. Meine Mutter hat zum Essen eingeladen.". Manus Stimme, tatsächlich ziemlich müde klingend, folgte. "Kein Ding, nächstes Mal dann. Komm gut heim!". Kurz drauf waren die ersten Wagen zu hören. "Wollen wir auch los? Magst du noch mit rüberkommen?". Andreas sah zu mir auf und erhob sich langsam. "Wenn das okey für euch ist?". "Na klar doch. Komm.". Mich zog er aus dem Stuhl hoch und nahm mich für einen Moment in den Arm. "Es wird alles gut, versprochen", flüsterte er und lächelte mich an. "Vertrau mir.". Wir sammelten unsere Sachen zusammen und gingen dicht bei einander aus der Halle.

"Oh, Manuel. Noch da, ist alles in Ordnung?". Manu stand unweit meines Wagens und sah zu uns. "Ja, ich-". Er sah zu mir und dann zu Andreas. "Ich hab nur noch eine geraucht.". Sehnsüchtig sah er mich an und ich konnte das tiefe Gefühl der Sehnsucht ebenfalls spüren. "Er wartet auf mich Andy. Geh ruhig heim, ich- ich fahr mit Manu.". Andreas Blick lag ruhig auf mir ehe er zaghaft lächelte und uns zunickte. "Macht euch einen schönen Abend, bis morgen.". Nickend lächelte Manu ihm zu. Er ging ohne ein weiteres Wort zu verlieren und ich war ihm unglaublich dankbar, dass er einfach Stillschweigen bewahrte. "So mutig heute?". Verlegen sah ich zu Boden und strich mir durchs Haar. "Ich wollte einfach zu dir.". Und schon fand ich mich in seiner innigen Umarmung wieder, vergrub meinen Kopf an seinem Hals und atmete erleichtert auf. "Danke Manu", hauchte ich.

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