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Manuel

"Jungs! Feierabend!". Erschöpft warf ich mein Paar Handschuhe auf die Werkbank vor mir. Die Tourpause wurde statt für Erholung, für neue Illusionen und den Weiterentwicklungen der bereits bestehenden genutzt. Keine neun Monate waren es mehr bis zur großen Stadionshow im Juni, weshalb natürlich die Priorität auf den Illusionen lag, die dort Premiere feiern sollten. Pure Anstrengung und mindestens zwei Überstunden pro Tag bedeuteten dies.
"Josting, kommst du noch mit?". "Mit? Wohin?". Dominiks euphorische Stimme ließ mich aufsehen. Meine Antwort stand eh schon fest, ganz gleich wohin es gehen sollte. "GoParc Herford. Hast es doch nich weit nach Haus von da. Chef kommt auch mit.". Leise seufzend schüttelte ich den Kopf. "N andern Mal vielleicht. Steckt mir alles in den Knochen, die letzten Wochen besonders.". Verständnisvoll nickte mir mein jüngerer Kollege zu. "Dann mach dir einen Ruhigen. Wir sehen uns morgen.". Freundlich schenkte er mir ein Lächeln und verschwand schon hinter der Wand. Frustriert stöhnte ich auf. "Christian", murmelte ich.

Nachdem die Tour beendet worden war, dachte ich wir würden vorankommen. Gemeinsam hatten wir uns bemüht eine Therapie für ihn zu finden, um über Christina hinweg zu kommen und die letzten Jahre zu verarbeiten. Anfangs lief es gut, er machte Fortschritte und auch die Beziehung zu mir verbesserte sich zunehmend. Zumindest solange bis ein Artikel in einem Onlinemagazin veröffentlicht worden war, indem ihm erneut Homosexualität vorgeworfen wurde. Seitdem entfernte er sich. Nur selten hatte ich Zeit mit ihm verbringen können, seine Lippen kosten und seine Liebe spüren dürfen. Enttäuscht ließ ich den Blick durch die Halle schweifen. Die Arbeit war sein höchstes Gut. "Und offenbar auch das Feiern gehen.". Entnervt schnaubte ich. "Soll er doch feiern gehen, kann mir ja egal sein", führte ich mein Selbstgespräch weiter. Nur grob säuberte ich meinen Arbeitsplatz, räumte das Nötigste weg und verzog mich in die Garderobe, wo Jannik noch mit Freddie sprach. "Passt dir 21 Uhr? Chris wollt wohl zu 22 Uhr erst kommen und dann nachts mitm Taxi heimfahren.". "Ja denn komm mich zu 21 Uhr abholen und wir glühen schonmal vor.". Mit einem lauten Geräusch schlugen die beiden Männer ein und Freddie verließ den Raum. "Besäufnis heut Abend hm?". "Ja ach. Einfach mal wieder ein ausgelassener Abend nach dem ganzen Stress hier. Ist ja wirklich extremst, was gerade von uns verlangt wird.". Brummend stimmte ich ihm zu und entledigte mich meiner Sicherheitsschuhe.

"Was ist los Manu? Ist es wegen Chris?". Ich sah auf und genau in die dunklen Augen meines Kollegen. "So leicht zu durchschauen?". "Nun ja, er geht dir aus dem Weg und du probierst möglichst nicht über ihn zu reden. Also- was ist passiert?". Unwissend zuckte ich die Schultern während ich nebenher meine Tasche aus dem Spint kramte. "Er hat Angst schwul zu sein, schätze ich. Hat sich entfernt von mir, sich in die Arbeit gestürzt. Ich war echt froh, dass er die Scheidung gerade verarbeitet hatte und dann so etwas.". Ich ließ die Tasche langsam zu Boden sinken und musterte Jannik. "Was würdest du denn tun, wenn die Person, die du liebst dir aus dem Weg geht? Nicht auf Nachrichten reagiert?". "Ach Manuel.". Mitleidig klopfte der Blonde mir auf die Schulter bevor er sich neben mir fallen ließ. "Ich weiß es doch auch nicht. Ich habs dir schonmal gesagt und ich kann mich leider nur wiederholen, sprecht miteinander und klärt, wo eure Prioritäten liegen.". "Offensichtlich nicht bei mir", unterbrach ich ihn schroff, was Jannik mit einem Seufzen quittierte. "Geht mal feiern. Soll er sich die Birne wegsaufen, vielleicht ist dann mal Platz für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.". Beleidigt griff ich meinen Rucksack und ging, ohne auf Antwort zu warten, hinaus. "Schönen Feierabend!", rief ich in die Büros hinein und verschwand sogleich nach draußen. Mein Wagen stand an der Straße und ich ließ mir nicht nehmen auf dem Weg noch eine Zigarette anzuzünden. Wieso ausgerechnet Ich immer an die kompliziertesten Männer geriet, wusste ich bis heute nicht.

"Einmal nach Oben bitte, ja.". Ich öffnete meine Wohnungstür und lauschte wie der Pizzabote die Treppen hochgejogt kam. "Langsam biste Stammkunde, oder?", begrüßte der Fahrer mich amüsiert und übergab mir die Schachtel. "Langer Arbeitstag, da haste einfach überhaupt keine Lust mehr zu kochen.". Lachend gab ich ihm noch zwei Euro in die Hand und deutete auf seine nassen Klamotten. "Lass dich nich ärgern heut Abend, ja? Fahr vorsichtig.". "Immer, vielen Dank. Ruhigen Abend dir, und lass es dir schmecken.". Ich verabschiedete ihn und schloss schmunzelnd die Tür. Daran merkte ich tatsächlich, wie oft ich die Nummer des Lieferanten in den letzten Wochen gewählt hatte. Oftmals zogen sich die Arbeitstage bis 19, 20 Uhr und Erfolge hatten wir selten zu vermelden, sodass die Laune und Motivation abends stark abgesunken war. Gott sei Dank gab es Lieferdienste. Mit meiner Pizza und einem Bier setzte ich mich aufs Sofa, schaltete eine Serie ein und machte es mir bequem. In der WhatsApp-Gruppe, die ich gemeinsam mit einigen Kollegen führte, wurde soeben das erste Bild geschickt. "Vorglühen vorm GoParc! Let's Gooo!". Besorgt musterte ich das Bild meiner drei Kollegen. Ob Chris sich ebenso die Kante geben würde? Schnell schüttelte ich den Kopf. "Nicht über ihn nachdenken, scheiß egal.". Stumm legte ich das Handy beiseite und widmete mich meiner ersten richtigen Mahlzeit des Tages. Um nicht ganz untätig zu sein, arbeitete ich einige Anfragen ab, die für Carisma reingekommen waren. Seit der letzten Hochzeitsmesse waren so viele Anfragen reingekommen, dass Lars und ich schon wirklich exakt planen mussten, um allen Wünschen nachzukommen. Die Zeit verging wie im Flug und als ich das nächste Mal auf die Uhr schaute, erschrack ich. Bereits nach Mitternacht zeigten die Ziffern auf meinem Handy. Doch nicht nur das.

Christian: "Naa, hast du nochn Schlafplatz heut Nacht?".

Schwer musste ich schlucken. Er war nicht mehr nüchtern, sonst hätte er diese Nachricht nie verfasst. Die Instagramstories meiner Freunde zeigten, dass sie alle noch im Club unterwegs waren. Dominik hing an seiner Freundin, Jannik an der Bar und von Chris war nichts zu sehen. "Was mach ich denn jetzt?", murmelte ich. Seufzend öffnete ich meine Kontakte und wählte. "Jo? Was läuft Josting, kommste doch noch rum?". "Ne ach. Du sag mal Freddie, is Chris noch bei euch?". "Hängt an der Bar, soll ich ihn dir geben?". "Ne lass mal. Wollt mich nur erkunden. Nimm den bitte jemand mit nach Hause später, ok?". Die Zustimmung kam nur noch leise an mein Ohr, schon war sie von der starken Musik verschluckt und das Telefonat beendet.

Christian: "Manu, ich seh dass du es siehst. Halo? Kann ich zu dir?".
"Ich bin auch lieb.".
"Magst du mich nich mehr?".

Immer mehr Nachrichten kamen rein und ich hatte bildlich vor Augen, wie er völlig allein an der Bar saß und dem Alkohol verfiel. Mein Gewissen zerriss mich förmlich. Die Gedanken überschlugen sich. Ich liebte ihn. Das konnte ich nicht leugnen, und doch hatte er mich verletzt. Besonders in den letzten Wochen. Unsicher tippte ich eine Nachricht an ihn: "Chris, nimm dir bitte ein Taxi und fahr heim. Schlaf dich aus.". Seufzend betrachtete ich sein Profilbild eine Weile lang, bis es sich plötzlich dunkel färbte und ein Name auf meinem Display aufleuchtete. Mit mir hadernd las ich seinen Namen. Ich las ihn. Und noch einmal. Bis er verschwand.

Christian: "Geh ran. Ich will dich sehen, mit dir reden. Ich liebe dich doch.".

Mit zitternder Lippe atmete ich durch. Und obwohl ich verletzt war, er sich betrunken hatte- wusste ich bereits jetzt, dass ich ihm erneut eine Chance geben würde. Kaum schloss ich den Gedanken, sah ich erneut seinen Namen aufleuchten. Nur dass ich dieses Mal den grünen Button drückte.

Für Immer ab JetztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt