KAPITEL 32

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Ashley

Als ich am nächsten Morgen auf leisen Sohlen aus Chases Schlafzimmer huschte, fühlte ich mich unsagbar schlecht. Nur allzu gerne wäre ich neben ihm liegen geblieben und hätte darauf gewartet, dass auch er wach wurde, um gemeinsam mit ihm in den Tag zu starten. Aber abgesehen davon, dass auch Chase jeden Moment aufwachen würde und zur Uni müsste, blieb mir nur noch eine knappe Stunde, bis ich bei einem Job sein musste, den Jackson mir in den letzten zwei Wochen besorgt hatte. Mir blieben nur noch zwei Wochen, bis Jenkins sein restliches Geld einforderte, und wenn ich die Summe auch nur ansatzweise zusammenkriegen wollte, dann reichte der Job im Starlight's einfach nicht mehr aus. Deswegen hatte Jackson sich im Studio ein wenig für mich umgehört – natürlich ohne zu wissen, wofür ich das Geld brauchte – und mir schließlich einen Job im Geschäft eines Kumpels von ihm besorgt, der seine Angestellten mehr als angemessen bezahlte. Und während ich tagsüber dort arbeitete, übernahm ich fast jeden Abend eine Schicht im Starlight's. Viel Schlaf hatte ich dadurch in den letzten zwei Wochen nicht bekommen, aber Schlaf war ohnehin gerade ein Luxus, den ich mir einfach nicht leisten konnte. Seit dem Besuch bei Jenkins und seinen Drohungen schlief ich ohnehin schlecht, also kam es mir mehr als gelegen. Zeit, in der ich nicht schlief, war kostbare Zeit, in der ich arbeiten konnte, um die andere Hälfte der scheißhohen Summe für dieses verdammte Arschloch endlich zusammenzukriegen. Mir war zwar klar, dass es fast unmöglich war, das Geld in zwei Wochen zusammenzukriegen, aber darüber wollte ich lieber noch nicht nachdenken. Ich war nicht bereit, irgendwen um Hilfe zu bitten.

Im Flur traf ich auf Chases Hündin, die, als sie mich sah, aus ihrem Körbchen sprang und schwanzwedelnd mit aufgestellten Ohren auf mich zugelaufen kam. Ich konnte nicht anders, als sie zum Abschied hinter den Ohren zu kraulen. »Mach's gut, Süße«, flüsterte ich ihr zu. »Es hat mich gefreut, dich wiederzusehen.« Sie schmiegte ihren Kopf an mein nacktes Bein, als wollte sie mir sagen, dass es sie genauso sehr gefreut hatte. Überraschenderweise fiel es mir verdammt schwer, mich von Leyka zu lösen, aber ich hatte keine Wahl. Also streichelte ich sie ein letztes Mal und murmelte ihr eine leise Verabschiedung zu, ehe ich die Wohnungstür leise öffnete und hinaus in den Gang schlüpfte, der um diese Zeit noch verlassen war. Es faszinierte mich jedes Mal, wie unfassbar sauber, gepflegt und teuer alles in diesem Wohnhaus war. Ich dagegen wohnte in der reinsten Bruchbude, die diesem Haus nicht mal ansatzweise das Wasser reichen konnte. Kopfschüttelnd entfernte ich mich von Chases Tür. Da seine Wohnung im ersten Stock lag, hatte ich es nicht weit bis zur Eingangstür. Doch ich schaffte es gerade einmal den Gang hinunter, als plötzlich Stimmen an mein Ohr drangen. Ich erkannte sofort, um wessen Stimmen es sich handelte. Fuck. Mein Herzschlag beschleunigte sich, während ich krampfhaft nach einem Versteck suchte. Aber natürlich gab es in diesem verdammten Wohnhaus nicht die kleinste Möglichkeit, sich unsichtbar zu machen. Panisch drehte ich mich um und lief in die entgegengesetzte Richtung, um irgendwie wegzukommen. Vielleicht kam ich wie genug den Gang hinunter.

»Ashley?« Ich erstarrte zu Eis, als plötzlich jemand verwundert meinen Namen rief. Nicht jemand, sondern Ever. Ever, die nirgendswo ohne Newton hingeht. Fuck. Fuck. Fuck. Ich schluckte hart und überlegte, was ich tun sollte. Ich konnte nicht weg, weil sie mich längst gesehen hatten und der Ausgang in der Richtung lag, aus der Ever und Newton kamen. Es gab keine andere Möglichkeit, als mich ihnen entgegenzustellen. Mein Herz raste, während mein Kopf schrie, ich sollte flüchten. Aber das ging nicht. Stattdessen ballte ich meine Hände zu Fäusten und konzentrierte mich darauf, meine Atmung in den Griff zu bekommen. Ich war sowas von geliefert. »Ash?«, erklang es hinter mir erneut. Dieses Mal zögerlicher.

Ich schluckte meine Gefühle irgendwie herunter, setzte meine Maske auf und drehte mich langsam um, bis Everlyn und Newton in die Augen schauen konnte. Ich konnte nicht anders, als sie flüchtig zu mustern. Everlyn trug ihre dunkelbraunen, welligen Haare ein wenig kürzer, dass sie kurz vor ihren Schultern endeten. Doch die graublaue Farbe ihrer Augen war noch genauso intensiv und stechend wie vor ein paar Monaten, während ihr perfektes Make-Up mit den auffallend roten Lippen noch genau dasselbe war und ihr ein leicht arrogantes Aussehen verlieh, wenn man sie nicht besser kannte. Denn Everlyn Monroe war alles andere als arrogant. Heute trug sie einen schwarzen Rock, der kurz vor ihren Knien endete, ein weinrotes T-Shirt und darüber eine Lederjacke. Ergänzt wurde das ganze Outfit von ihren geliebten Doc Martens, die ihre besten Zeit längst hinter sich hatten. Newton, der neben ihr stand und nach wie vor ihre Hand hielt, ließ mich nicht aus den Augen. Er trug eine dunkelblaue Jeans, schwarze Boots und ein T-Shirt mit dem Aufdruck irgendeiner Band, während seine dunkelbraunen, fast schwarzen Haare leicht zurückgekämmt und zur selben Zeit verstrubbelt waren. Doch während in Evers Gesicht ein kleines, vorsichtiges Lächeln saß, war sein Gesichtsausdruck vollkommen kalt, was durch seine dunklen, dichten Augenbrauen fast bedrohlich wirkte. Er war gut eineinhalb Kopf größer als Everlyn und hatte eine sportliche, sehnige Figur, die darauf hinwies, dass er viel joggte und Basketball spielte. Dass Newton normalerweise der Clown unserer Gruppe war, wäre mir heute jedoch nicht eingefallen, so sehr, wie er mich mit Blicken durchbohrte. Doch auf den ersten Blick schienen weder Ever noch Newton sich groß verändert zu haben seit unserem letzten Treffen vor gut neun Monaten.

BREAK THROUGH THE WALLSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt