Chase
Einige Stunden voller Kaffee, Blaubeermuffins und Reden-ohne-Ende später verließen Liv und ich das Café, natürlich nicht ohne uns vorher von Everlyn zu verabschieden, die noch immer eine Stunde Schicht vor sich hatte. Mittlerweile war der große Ansturm zwar etwas abgeflacht, doch viel los war noch immer. Ich beneidete sie ganz und gar nicht darum und war mehr als froh über meinen entspannten Teilzeitjob bei meinem Onkel und die wenigen Stunden, die ich pro Woche als Assistenzcoach bei der Silverhaven-Junior-Basketballmannschaft aushalf. Ein überfülltes Café direkt neben der Uni war überhaupt nichts für mich, Liv schien es ähnlich zu gehen. Denn in dem Moment, in dem wir das Café verließen, warf sie noch einen Blick zurück und schüttelte sich, ehe sie sagte: »Ich weiß wirklich nicht, wie Ever das mehrmals die Woche aushält. Das kann doch nicht mehr gesund sein, so viel, wie in diesem Café jeden Tag los ist.«
Ich grinste, während ich Leyka von einer Mülltonne wegzog. »Du sprichst mir aus dem Herzen, Parker.«
»Silverhaven ist riesig und trotzdem scheinen alle Leute in ausgerechnet dieses Café zu wollen.« Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht sollten wir uns ein neues Stammcafé suchen.«
»Und den Zorn der Everlyn Monroe auf uns ziehen?« Allein bei dem Gedanken daran durchlief mich ein Schauer. »Nein, danke.«
Liv lachte und warf mir einen amüsierten Blick zu. »So schlimm ist Ever nun auch wieder nicht, wenn sie wütend ist. Ihr Jungs übertreibt wirklich. Selbst Newton scheint eine Heidenangst vor seiner eigenen Freundin zu haben.«
Wir bogen nach links ab und passierten einen Buchladen. »Dann hast du Ever anscheinend noch nicht wirklich wütend erlebt. Dahingegen ist selbst der Teufel oder Ash – « Ich brach ab und biss mir auf die Unterlippe. Verdammt. Das hätte nicht passieren dürfen. Zu meiner Erleichterung musste ich jedoch feststellen, dass Liv nichts von meinem kleinen Verhaspler mitbekommen zu haben schien. Denn sie ging nicht weiter darauf ein.
»Ich wiederhole: Ihr. Übertreibt. Mächtig.«
Ich hob abwehrend die Hände. »Frag Newton, wenn du mir nicht glaubst.«
Liv schüttelte lachend den Kopf. »Ganz sicher nicht, und da diskutiere ich auch nicht.«
»Ganz wie du willst, Parker. Aber ich bleibe bei meinem Standpunkt, dass eine wütende Everlyn eine gefährliche Everlyn bedeutet«, erwiderte ich und blieb stehen, weil mir in diesem Moment bewusst wurde, dass die Schleife an meinem rechten Van sich gelöst hatte. Das weiße Schnürband schleifte nun auf dem Boden. Allerdings war das Binden der Schleife schwieriger als gedacht. Denn in dem Moment, in dem ich mich hinkniete, schien Leyka zu denken, es gäbe eine Streicheleinheit. Wie eine Bekloppte kam sie zurückgerannt und brachte mich geradewegs zu Fall. Ich stöhnte, als mein Rücken auf dem harten Betonboden aufkam und ich Leykas Gewicht auf meiner Brust fühlte. Dieser verrückte Hund. Im Hintergrund hörte ich Liv lachen, während Leykas Zunge praktisch in meinem Gesicht hing.
Irgendwann schien Liv sich wenigstens soweit eingekriegt zu haben, dass sie auf die Idee kam, mir zu helfen. »Na komm, ich befreie dich mal von deinem verrückten Hund, bevor du mir noch erdrückt wirst.« Sie kicherte und griff nach Leykas Leine, um sie von mir herunter zu ziehen. Meine Hündin gehorchte nur widerwillig, aber schließlich konnte ich aufstehen und mir endlich meine Schleife binden. Als ich die Leine zurückforderte, blickte Liv mich an und schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Leyka ist jetzt meine Heldin. Ich lasse sie nicht mehr los.«
Ich schnaubte. »Meinetwegen, aber beschwer dich nicht, wenn Leyka dich genauso umhaut.«
»Wird sie nicht, weil wir beste Freunde sind, nicht wahr, Leyka?« Liv streichelte meiner Hündin, die sich wie zur Zustimmung gegen ihr Bein schmiegte, über den Kopf.
»Verräterin«, murmelte ich. »Das ist also der Dank dafür, dass ich dich aus dem Tierheim geholt habe und du dein bestes Leben bei mir lebst?«
Liv kicherte, während wir unseren Weg fortsetzten. Eine Weile schwiegen wir und schlenderten einfach durch die Straßen Silverhavens. Zeit, in der mir wieder in den Sinn kam, dass es Einiges gab, was Liv nicht wusste. Dass ich, ihr bester Freund, ein verdammt großes Geheimnis vor ihr hatte. Dass ich von allen Menschen der Einzige war, der ihr wirklich Auskunft über Ashley geben konnte. Fuck. Irgendwann durchbrach Liv meine Gedanken schließlich, was jedoch nicht wirklich half, um mich auf ein anderes Thema zu bringen. Im Gegenteil, sie machte es nur schlimmer. »Fragst du dich auch manchmal, was Ash gerade so macht? Ob sie Hilfe braucht oder jemand anderes gefunden hat, der für sie da ist? Ob sie uns...in gewisser Weise ersetzt hat?«
»Liv, ich weiß nicht, ob – «, setzte ich an, doch sie unterbrach mich.
»Ich weiß, Chase. Ich weiß, dass ich über so etwas nicht nachdenken sollte, weil es die Situation nicht besser macht. Aber du kannst mir nicht sagen, dass du es nicht ein kleines bisschen verstehst. Ich meine, ich weiß, dass du mehr für sie empfunden hast als nur Freundschaft, auch wenn du mir das nie direkt gesagt hast. Es war für mich immer offensichtlich, also sag mir nicht, dass es keinen Moment gab, in dem du dir nicht auch diese Fragen gestellt hast.«
Fuck. Das ging nun wirklich in die komplett falsche Richtung. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, während wir auf einen Fußgängerüberweg zusteuerten. Leyka lief weiter brav neben Liv her. »Ich...verdammt. Das kann ich dir nicht sagen, okay? Natürlich gab es diese Momente. Öfter, als ich zählen kann. Aber...es hilft nicht. Es macht die Situation auch nicht besser, Parker.« Wie lange konnte ich die Lüge noch weiter aufrecht erhalten?
Liv fuhr sich durch die Haare und näherte sich dem Zebrastreifen, der nur noch wenige Schritte von uns entfernt war. Wie immer war der Verkehr auf dieser Straße eine Katastrophe. »Es mag die Situation an sich nicht verändern, aber mir hilft es. Ich weiß, das klingt vollkommen abgedreht. Aber wenn ich mir vorstelle, dass es Ashley gut geht, sie jemanden hat, der ihr zur Seite steht, und ihr Leben bergauf geht, dann geht es auch mir besser. Vielleicht ist das falsch, aber ich kann nicht anders. Was bleibt mir denn auch anderes übrig als das, wenn ich keine Ahnung habe, was mit meiner besten Freundin passiert ist?«
Verdammte Scheiße. Ich musste es ihr sagen. Ich konnte mir nicht weiter diese deprimierenden Worte anhören und zusehen, wie Liv vor meine Augen zerbrach. Da Liv noch immer auf dem Bürgersteig stand, weil Leyka in dem Moment meinte, an einem Baum schnüffeln zu müssen, drehte ich mich zu ihr um, fest entschlossen, ihr die Wahrheit zu sagen. »Hör zu, Parker. Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss. Ich – « Doch weiter kam ich nicht. Denn in diesem Moment brach das Chaos aus. Ich hörte Liv wild meinen Namen rufen, doch da war es längst zu spät. Nur in letzter Sekunde konnte ich mich noch umdrehen und sehen, dass ein schwarzer Rolls Royce Phantom ohne Nummernschild auf mich zuraste und sein Ziel genau zu kennen schien. Was zur Hölle...? Ich wollte zur Seite springen und ausweichen, aber da flog ich schon durch die Luft. Einige Herzschläge später brach die Dunkelheit über mich herein, während ich nur daran denken konnte, dass ich nie die Chance gehabt hatte, um Ashley zu sagen, wie sehr ich sie liebte. Aber das schien nun nebensächlich zu sein, als mein Bewusstsein in der Schwärze verloren ging.
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BREAK THROUGH THE WALLS
Romance»Ich schwor mir, mein Herz zu schützen, auch wenn das hieß, mich niemals zu verlieben und für immer auf mich alleine gestellt zu sein.« Sechs Jahre ist es her, dass Ashleys Leben sich für immer veränderte, als ihr Vater ohne ein Wort die Familie ver...