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Den Plan, niemandem von dem Traum zu erzählen, machte sie zunichte. Nishahs Augen machten es ihr unmöglich zu lügen. Er unterbrach ihre Erklärung, als er mitten im Satz mit einem Ruck aufstand und auf sie zukam. Seine hellen Augen blitzten auf, er legte ihr eine Hand an die Stirn und schloss die Lider. Da war er wieder. Dieser kleine Funke, durch den sich ihr im Nacken die Haare aufstellten. Nishah konnte die Vergangenheit sehen aber nicht verständlich aussprechen, was er sah. Das waren die Tücken der Seher, an die sie sich erinnerte. Nur dass er als welteinziger Seher in die Vergangenheit anstelle der Zukunft blickte. Die Besonderheit des Königsgeschlechtes.
„Das kann doch nicht wahr sein...", flüsterte er nach ein paar Sekunden der Stille, „ich sehe was passiert ist aber ich erkenne deinen Traum nicht. Was hast du ge-...träumt?"
„Ich weiß es doch nicht! Da waren so viele Worte ohne Sinn, und ich habe alles wie durch milchiges Glas gesehen. Es klang immer so, wie die Verrückte gebrabbelt hat und...und ich habe nichts gehört. Gleichzeitig habe ich dann alles gehört aber nichts verstanden."
„Das Kuckuckskind. Ist es das, was du nicht gehört hast?"
Großer Fehler. Der Versuch zu lügen lief schief. Ella hatte von diesem Wort nicht nur geträumt, sondern auch im wachen Zustand pausenlos daran gedacht und es zu sich gemurmelt, wenn sie allein war. Außerdem hat sie es zu der Irren im Garten gesagt. Nishah hat genau das gesehen und sie getestet. Und das war vielleicht nicht alles, was er wusste. Wie bereits erwähnt sah er nicht in die Zukunft, sondern konnte in den Erinnerungen jedes Wesens durch dessen Augen und Ohren gucken und hören. Doch genauso wie ein Seher konnte Nishah nicht aussprechen was er sah. Versuchte er es trotzdem, vergaß er es entweder, oder ein seltsamer Schleier legte sich über seine Gedanken. Sein Gegenpart, der nur in die Gedanken seines Bruders blicken und das Gesehene offenbaren konnte, war Asherah. Allerdings hatte der Mann in Weiß auch ohne diesen soeben laut und deutlich von dem Kuckuckskind gesprochen. Das verwirrte Ella, eigentlich sollte er dazu nicht in der Lage sein.
„Was bedeutet Kuckuckskind?"
„Das ist völlig irrelevant. Bitte erzähl mir, was du gesehen hast."
Doch bevor sie ihre Möglichkeiten abwiegen konnte, schwang die Tür zum Thronsaal auf und eine der Bediensteten, eine Fee, schoss herein. Als sie Kibah erblickte, flog das handgroße Wesen im Bogen hinter Ella und versteckte sich auf ihrer Schulter zwischen den goldenen Locken. Die Großkatze neigte dazu, alles fangen zu wollen, was den Maßen der Magierkugeln entsprach. Die Feen im Schloss wurden wohl oder übel gezwungen sich damit zu arrangieren. Diejenige auf Ellas Schulter war ihr völlig fremd. Sie zuckte zusammen, als die piepsige Stimme zu ihrem Ohr durchdrang.
„König Nishah, mein König! Zwei Eurer Untertanen sind mit einem Konflikt eingetroffen, für dessen Bewältigung es einen Blick in die Vergangenheit bedarf. Sie haben sich doch heute Mittag bereiterklärt, ihnen zu helfen. Allein auf dem Weg hierher haben die zwei sich blutig geschlagen und die Wachen haben auch jetzt noch große Probleme dabei, sie auseinanderzuhalten. Es könnte geschwind eskalieren. Beide sind sich ihrer Anschuldigungen angeblich sicher. Nur Sie können herausfinden, wer die Unwahrheit spricht."
Entgeistert starrte der Mann im weißen Gewand auf das kleine geflügelte Mädchen. Sie sah sehr jung aus, was bei ihrer Rasse aber völlig der Norm entsprach. Sowohl fünfzehn als auch einhundert Jahre könnte sie alt sein, das konnte das bloße Auge nie so genau bestimmen.
„Ich bitte um Verzeihung, sollte ich eine wichtige Unterregung gesprengt haben-..."
„Nein, nein, schon okay.", unterbrach er ihre Abbitte und winkte ab, mit der freien Hand massierte er seine Schläfe. Das Stilett, wie von Zauberhand verschwunden. „Ich bin schon auf dem Weg. Ella, warte hier, ich lasse dir die Schneiderin rufen und ihr probiert zusammen dein neues Kleid an. Ninar, du kommst mit mir, Kibah sieht hungrig aus."
Neckend hielt er die Hand auf und die Fee, Ninar, ließ sich darauf nieder. Jetzt konnte Ella einen genaueren Blick auf die Kleine werfen. Sie trug das weiße Dienstgewandt, welches alle im Schloss arbeitenden Leute in verschiedenen Ausführungen besaßen. Ihre hüftlangen, orangenen Haare waren auf Höhe des unteren Rückens mit einer Schleife aus feinem Tüll zusammengebunden, in dem kleine eingewebte Sterne das Licht der Magierkugeln auffingen und in alle Richtungen warfen. Ihre Augen waren sehr groß und ihre Flügel wunderschön. Zusammen verließ er mit ihr eilig den Saal und ließ Ella mit Kibah allein. Doch sie wusste sich nicht zu beschweren. Sie liebte Kibah beinahe so sehr, wie ihr Kaegan ans Herz gewachsen ist. Nur konnte man mit ihr nicht so anregend sprechen. Indes vermochte sie sich im Moment ohnehin nicht wirklich darauf zu konzentrieren, mit dem Kätzchen zu kuscheln und zu spielen.
Sie hatte Angst davor, was passieren wird, wenn Nishah wiederkommt und das Gespräch seinen Lauf nimmt. Genauso graute es ihr vor den Folgen, sollte sie weiterhin im Dunkeln stochern. Das was Nishah dermaßen beunruhigte, würde ungeachtet ihrer Entscheidung seinen Lauf nehmen. Sie hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen und doch plagte sie das Gefühl, dass alles ihre Schuld war...oder werden könnte. Dass die Stimmen und die beunruhigenden Bilder in Ellas Kopf sich alle gegen sie richteten, sie auf die Bank des Angeklagten verdonnerten und alle außer ihr selbst wüssten warum.
Der Name Kuckuckskind musste die Erklärung liefern. Wenn sie jemanden danach fragte bestand die Gefahr etwas zu offenbaren, was den Kreis aus ihr und den Königen nicht verlassen durfte. Die Bibliothek wird sie innerhalb der nächsten Tage nicht aufsuchen können, würde es aber definitiv im Hinterkopf behalten. Letzten Endes entschloss sie sich, die Neugierde einmal aufs Neue nicht überwältigen zu können und bereitete sich darauf vor, Nishah später zu fragen. Einfach gedacht setzte sich das Wort aus Kuckuck und Kind zusammen und beide Bezeichnungen waren ihr nicht fremd, nur konnte sie das Erste nicht zuordnen. Kuckuck war ein Ausruf, welchen sie oft bei spielenden Kindern am Hafen gehört hatte. Eine Art von Überraschungsruf? Vermutlich etwas ganz anderes.
Kibah setzte sich schnurrend hinter sie und tauchte das verhältnismäßig kleine Mädchen in einen beängstigenden Schatten. Dies riss sie zwar aus den Gedanken, ließ ihr aber keine Zeit mehr zu reagieren, bevor das Tier sich nach vorn fallen ließ und Ella unter sich begrub. Die Vibration des Schnurrens schwang durch ihren gesamten Körper und kitzelte überall. So etwas passierte nicht zum ersten Mal, bedurfte aber, so sagte Nishah, viele weitere Male, bis man lernte so zu fallen, dass es nicht mehr weh tat. Und es tat weh, denn die Katze wog nicht wenig. Widerstand zwecklos. Auch das hatte sie zuvor probiert, scheiterte kläglich und danach fuhr Kibah beim Kuscheln ständig die Krallen aus, als würde sie das Mädchen bestrafen wollen. Grausam aber effektiv. Trotzdem freute Ella sich darüber, dass Kibah sie mochte, denn ein Großteil der Menschen und Nichtmenschen mieden dieses liebe Wesen. Vermutlich zusätzlich einer der Gründe, warum Nishah Kibah so mochte. Ella nahm an, dass er auch ohne die Katze durchaus dazu fähig wäre, sich aufdringliche Händler und Botschafter auf Distanz zu halten und selbst ein wenig mit der Macht zu spielen, nur tat er es nicht. Er nahm stattdessen Kibah mit.
Nishah war alles andere als naiv, machte aber oft den Anschein als wäre er es. Ein weiterer Anlass, seine aktuell angespannte Stimmung als Warnung zu verstehen. Aber Kibah machte es ihr schwer, sich von Sorgen zerfressen zu lassen. Ihr flauschiges Fell und das unbekümmerte Schnurren ließen keiner Betrübtheit Raum.
„Huch? Bei den Dornen der Lichtschattenrose, wo ist das Mädchen?? Das kann doch nicht wahr sein, erst bricht mir der Nagel ab und jetzt das! Den Stress vertrage ich jetzt so gar nicht! Und ich muss auch noch-..."
Durch das dicke Fell gedämpft hörte Ella eine neue Person den Raum betreten und direkt vor sich hin schimpfen. Obwohl sie die Stimme keinem Gesicht zuordnen konnte, war klar, dass es sich wohl um die Schneiderin handelte. Also nahm Ella alle Kraft zusammen und schob die sich auf ihr entspannende Riesenkatze zur Seite, die das Ganze offenbar als Spielaufforderung auffasste und sich provokant auf den Rücken rollte, die Pfoten in die Luft streckte und damit ruderte als würde sie ein Tandem fahren.
„Ich bin hier! Habe brav gewartet, wurde aber von einer Welle aus Fell überrollt. Kein Grund zur Sorge!"
Sie versuchte sich postwendend zu rechtfertigen. Weder die Stimme noch der Blick dieser Frau ließen auf Verständnis hoffen. Geschweige denn auf einen Hauch von positiven Vibes. Das Gegenteil war der Fall. Die trug so viel Makeup, dass sie eigentlich vornüberfallen müsste und wirkte dennoch verbitterter und egozentrischer als es am Schloss gestattet sein sollte. Nishahs Schloss, in welchem auffallend oft Dinge kaputt gingen und er darüber noch Witze riss. Die Haare hatte die Schneiderin dermaßen hoch toupiert, dass sie demnächst sicherlich in irgendeinem Kronleuchter baumelt und ihr Outfit, wenn auch schick, wäre eher zum Anschaffen geeignet. Die transparente Bluse machte den tiefen Ausschnitt überflüssig und Ella hatte große Mühe, den Blick nicht angewidert abzuwenden. Vielleicht empfand sie auch eine winzige Spur Neid.
„Ach du meine Güte, wie hat dieser Flohteppich dich nur zugerichtet! Deine Haare sind ein grauenvolles Durcheinander, dein Kleid zerknittert und die Hände von Dreck besudelt. Kein Wunder, dass Nishah meine Arbeit so plötzlich in Anspruch nimmt und die Deadline so knapp setzt."
Von wegen, dachte Ella, Nishah und sie hatten sich erst vor ein paar Tagen die Skizzen und Entwürfe der Schneiderin angesehen und somit verblieb nicht viel Zeit, das Kleid anfertigen zu lassen. Nun war sie auch angepisst. 

Ella - Zwischen Nebel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt