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DING DONG. Trotz der halben Vorwarnung zuckte nicht nur Ella, sondern auch Asherah heftig zusammen, als ein ohrenbetäubender Gong die Luft zum Vibrieren brachte und fast zerriss. Die Glocken in den Kirchentürmen über ihnen verblieben stumm oder ruhten in sich zusammengestürzt, aber durch eines der zerborstenen Fenster machte Ella die Quelle des Lärms aus. Als Äquivalent stand nicht weit von hier ein kleinerer Turm auf einem Hügel, durch dessen transparente Wände zwei schwingende Glocken auf sich aufmerksam machten. Alles in allem vermittelte er nicht einmal ansatzweise einen solch imposanten Eindruck wie die Kirche, doch wenn es darum ging sich Gehör zu verschaffen, kam er nicht zu kurz. Ella hatte diesen Gong bereits so viele Male irgendwo in der Ferne gehört, konnte ihn aber nie zuordnen. Auf diese Offenbarung hätte sie gut und gern auch verzichtet. Aber wenigstens hat es sie es nicht allein kalt erwischt. Asherah konnte den Turm von seiner Position aus nicht sehen, beachtete die Ursache des Schrecks allerdings auch nicht weiter.
„Gibt es dort etwas Interessantes? Sonst müssen wir jetzt weiter."
„Hmm, augenscheinlich wenig. Ich bin so weit!"
Neben einigen nur teilweise angekokelten Wandteppichen und viel ausgehärtetem Wachs auf dem Boden gab es mit dem bloßen Auge nichts weiter zu entdecken. Lag hier jemals irgendetwas von Wert verborgen, so sind ihr schon lange andere zuvorgekommen. Also schloss Ella sich ohne Widerworte Asherah an und zusammen folgen sie Nishah nach draußen. Doch als sie den Schlossgarten erreichten, ist der Mann in Weiß spurlos verschwunden und ließ sie auf sich alleingestellt zurück. Er hielt es wohl nicht für notwendig, den Gastgeber zu spielen. Aber das sollte niemanden behindern, beide waren im Schloss immerhin Dauergäste und kamen bestens zurecht.

„Vielleicht sollte ausnahmsweise ich einmal in seinem Palast etwas auf den Kopf stellen und verschwinden, bevor es jemand merkt. Ich empfinde große Neugierde bezüglich seiner Reaktion.", murmelte Asherah nachdenklich, nachdem sie Kaegan vorerst verabschiedeten und sich auf den Weg durch den Eingangsbereich machten. Ella wusste, dass er das nicht ernst meinte, sondern sie nur auf positive Gedanken zu bringen versuchte, aber diese Fantasie würde sie wirklich gern in die Tat umgesetzt sehen. Leider bestand eine sehr große Chance, dass Nishah es niemals merken würde, immerhin versank seine Residenz des Öfteren mal im Chaos. Das fehlende Gemälde am Eingang wurde bis heute nicht ersetzt aber langsam begannen alle, sich an die Leere zu gewöhnen. Kontraproduktiv war nur, dass der Rest der Umgebung aufgrund des bevorstehenden Anlasses umso feierlicher geschmückt wurde und alles großflächig Einfarbige in den Schatten zu stellen drohte. Vielleicht werden als letzter Strohhalm Wachtposten davorstehen.
„Du bist so still, bedrückt dich etwas? Sag nicht, dass du die Idee Nishah zu ärgern nicht mehr amüsant findest, das wäre tragisch."
Ella konnte nicht anders als zu kichern.
„Aber nein. Du weißt, dass König Nishah dasselbe mit mir bespricht, wenn ich mit ihm unterwegs bin?"
„Gewiss, er setzt seine Pläne auch gelegentlich in die Tat um. Ich bin im Bilde. Wie dem auch sei, ich werde die wenigen leeren Stunden, die uns bevorstehen nutzen, um ein paar Dokumente Probe zu lesen und mit Nishah abzuklären. Die letzten Tage sind sehr anspruchsvoll gewesen, die Papiere türmen sich. Ich würde es begrüßen, wenn du dich nicht zu weit entfernst, viele Puffer habe ich nicht eingeplant und ich möchte nicht, dass meine Vorbereitungen aus den Angeln gerissen werden, wenn du dich verläufst oder von irgendetwas aufgehalten wirst."
Selbst wenn er es nicht aussprach wusste Ella, dass sich diese nicht einkalkulierten Überraschungen auf weitere Angriffe bezogen. Denn obwohl Asherah es nicht explizit verbot, würde er keinen Widerspruch zulassen. Ella erhielt soeben eine freundliche Ausgangssperre. Ein Teil von ihr wollte rebellieren und sich nicht einsperren lassen aber der Mann war nur besorgt über ihre Sicherheit und wollte ihr doch nichts Böses, weshalb sie nickte und ihre Gedanken für sich behielt.
„Kann ich nicht mitkommen?", fragte sie dann stattdessen, als Asherah bereits an einer großen Fichtenholztür mit weißem Anstrich ankam, zu der sie ihm gefolgt ist. Ursprünglich gab der König sich immer Mühe, die politischen Angelegenheiten von dem King fernzuhalten und sie nicht aktiv darin zu involvieren, manchmal durfte sie nicht mal mit den Dokumenten in einem Raum sein. Aber sie wusste zum ersten Mal seit langem nicht, was sie allein im Schloss tun sollte. Schlimmer noch, sie wusste nicht, ob sie es verkraftete, allein zu sein. Nach kurzem Überlegen stimmte Asherah zu.

Ella - Zwischen Nebel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt