„Ehrlich gesagt...seltsam. Ich weiß nicht was aber irgendetwas ist komisch.", erwiderte das Mädchen zögerlich mit dem Blick auf die Füße gerichtet. Sie wollte Asherah fragen, ob irgendetwas auf sie zukommt, wovon sie nichts ahnte. Etwas ungutes. Aber die Worte wollten ihr einfach nicht über die Lippen kommen. Ihr Gegenüber schwieg, konnte diese Gedanken ausgerechnet diesmal nicht deuten aber versuchte es. Irgendwann hob er mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn und sah mit seinen tiefen, schwarzen Augen in ihre hellgrauen.
„Ella, sprich mit mir."
Sie hielt sich an seinem Ärmel fest und suchte nach den erbetenen Worten. Mehr als einmal setzte sie zur Antwort an, entschied sich aber dagegen und seufzte frustriert. Bevor diese Scharade Ergebnisse lieferte, kam Nishah ihr zuvor.„Mr. und Mrs. Santchua! Welch eine Freude, kommen Sie herein. Mein Bruder wartet bereits im Saal, die Mäntel geben sie gern an die Bediensteten. Vielen Dank.", ertönte seine Stimme schwungvoll und viel lauter als zuvor. Wahrscheinlich um Ella und Asherah vorzuwarnen. Und die Bemühung trug Früchte, Asherah erhob sich, wenn auch nicht ohne nochmal einen dezent besorgten Blick auf Ella zu werfen, und wandte sich dem Paar zu, welches ohne Umwege auf sie zusteuerte.
"König Asherah, lange ist's her. Wie groß du geworden bist!", japste die Frau, eine wunderschöne Magierin, und reichte dem König die Hand. Sie trug die knielangen, dunkelbraunen Haare nach hinten geflochten, darin viele echt aussehende Blumen. Und auch wenn man ihr das vorangeschrittene Alter ansah, welches Ella zwischen Einhundert und Einhundertfünfzig schätzte, so hatte sie ihren Körper ungeniert in ein enges, dunkelrotes Kleid gehüllt. Die Rundungen verbarg sie allerdings unter einem seicht transparenten Tülltuch. Ihr Mann, bei dem sie sich sogleich wieder unterhakte, trug einen ordinären Anzug.
„Ich bin seit der offiziellen Auferstehung dieses Königreiches nicht mehr gewachsen, meine Liebe. Aber Ihr seht bezaubernd aus. Es freut mich zu sehen, dass ihr noch nach all den Jahren nicht die Finger voneinander lassen könnt.", erwiderte der Mann und deutete mit einer Handbewegung auf ihre verschränkten Arme. Mrs. Santchua lachte laut auf und gab ihrem Mann sogleich demonstrativ einen Kuss.
„Ach, wir hatten schon auch unsere Höhen und Tiefen aber bis jetzt konnte uns nichts überwältigen. Und sieh mal hier!"
Euphorisch präsentierte sie einen teuren Ehering an ihrem Finger, über ein dünnes Goldkettchen verbunden mit einem zweiten Ring am Daumen. Asherah erkannte eine Vorlage und nutzte die Chance, das Thema zu wechseln.
„Meinen Glückwunsch euch beiden, ich habe ebenfalls Neuigkeiten zu verkünden."
Er legte Ella eine Hand auf den Rücken und zum ersten Mal schienen die beiden das Kind überhaupt wahrzunehmen. Zuerst bedachten sie sie mit Zweifel aber diese verliefen sich bald schon im Sand und auch ihr wurden die Hände gereicht. Ungeachtet dessen sprach sie im weiteren Verlauf der Unterhaltung weiterhin keiner direkt an. Welch eine Ehre.
„Ich wusste schon immer, dass du ein wundervoller Vater sein würdest. Also, wer ist die Glückliche und wo hast du sie all die Jahre versteckt? Es war abzusehen, dass der königlichen DNA nur das Schönste vom Schönen entspringen wird!", rief die Frau und schlug freudestrahlend die Handflächen aufeinander. Ella und Asherah wechselten überraschte Blicke und hoben beinahe synchron die Hände.
„Nicht doch, verzeihen Sie meine informationskarge Ausführung. Ella hier ist nicht meine leibliche Tochter. Doch ändert diese Tatsache überhaupt nichts. Es ist lediglich so, dass es keine Frau an meiner Seite gibt. Mein Bruder unterstützt mich im Bereich der Fürsorge. Ich habe sie erst vor aufgerundet fünf Monaten zu mir geholt und wollte sicher stellen, dass alles gut funktioniert und Ella sich einleben kann, bevor irgendein Gerücht publik wird.", klärte Asherah lächelnd auf. Seine Hand auf Ellas Rücken war warm und schenkte ihr den Mut, sich auch ein Lächeln abzuringen. Und auch wenn die Magier vorerst einen unsicheren Blick wechselten, so nickten sie daraufhin gerührt. Jegliche Sorgen erschienen unbegründet.
„Ach du Süßer, hattest das Herz schon immer am rechten Platz, jaja. Jetzt fehlt nur noch eine Frau an deiner Seite und das Bild wäre perfekt! Irgendwo wartet die Richtige, da habe ich keine Zweifel. Das wusste ich schon immer, nicht wahr Schatz?", fragte sie und stieß ihren Gatten neckend mit der Hüfte an. Dieser nickte, verblieb aber weiterhin stumm.
„Sag ich doch! Oh, sieh mal einer an, da kommt Julaoah! Wir haben uns ewig nicht gesprochen, mindestens zwei Dekaden. Schatz, begrüßen wir sie, komm. Und euch beiden wünsche ich alles Gute, wir unterhalten später noch einmal."
Glutgelaunt summend zog sie ihren Magiermann hinter sich her über das Parkett. Dem König blieb keine Zeit für eine Antwort. Mit einer Hand fuhr er sich über den Hals, sie beide ließen das hitzig Gesagte und Angedeutete erst einmal sacken. Die Anspannung begann sich zu lösen und Ella sah fröhlich zu ihm auf. Obwohl Asherah die ganze Zeit über förmlich mit den Gästen sprach, waren einige unter ihnen, die ihn im Gegenzug duzten.
So verstrich die Zeit und Ella wurde ungefähr drei Dutzend Leuten vorgestellt. Eine bunte Mischung aus Magiern, Dryaden, Feen und Hybriden. Außerdem noch drei Drachenfrauen in derart durchsichtigen Kleidern, dass Ella in dem Moment lieber direkt in die Nachmittagssonne gestarrt hätte als auf diese pseudo Klamotten. Irgendwo in ihrem Kopf hörte sie Nishah ihr mit süffisantem Unterton ein Ich habe dich gewarnt zuflüstern. Niemand beachtete Ella großartig aber genauso wenig betrachteten die Wesen sie mit Abneigung.Erst der Letzte der eher Eintreffenden sprach, fast schon übertrieben formal, in einer Gelehrtensprache, die Ella durch sich aufhäufende Synonyme kaum verstand. Irgendwo zwischen den Worten Vabanquespiel, fulminant oder subsidiär verlor sie den Gesprächsfaden und suchte mit den Augen hilflos nach dem zweiten König, um sich vielleicht stattdessen an seine Fersen heften zu können. Vergebens.
„Sie interessieren sich überhaupt nicht für mich, beachten mich nicht einmal.", beschwerte Ella sich, nachdem auch der letzte Magier Abstand gewann und sich lieber über das sich kontinuierlich durch die Diener füllende Buffet hermachte. Doch der Mann in Schwarz hob nur die Augenbrauen.
„Merk dir diese Worte, Ella. du wirst dich zu diesem Moment zurückwünschen, sobald sich der Saal füllt. Diese Leute sind unsere engsten Bekannten, Geschäftspartner und Freunde. Vorurteilsfrei, und selbst wenn nicht, würden sie es nicht wagen zu kritisieren. Wenn es Zeit ist, werde ich meine Ansprache halten anstelle jeden persönlich zu begrüßen und folglich wirst du dich vor Beachtung kaum retten können. Früher oder später. Meinem Bruder und mir ergeht es da schon seit geraumer Zeit nicht anders. Solche Veränderungen sind dennoch nicht zu unterschätzen also bleibe bitte immer bei mir. Ich werde nicht jede Sekunde aufmerksam sein können, möchte dich indes genauso wenig in der Masse verlieren."Und so verstrich erneut ein großer Zeitraum, in welchem immer mehr Wesen aller Artenvielfalt und in den unterschiedlichsten Aufmachungen anreisten. Ella hatte gehofft, ein paar ihrer alten Bekanntschaften vom Hafen wiederzuerkennen, aber in dem wachsenden Meer aus Gesichtern schrumpften die Chancen dafür immer weiter gegen Null. Nishah war völlig in seinem Element, mischte sich unters Volk, verschenke zu Asherahs Missgunst noch ein paar Kronleuchter und trank sogar ein wenig Alkohol. Ausgelassen, als gäbe es kein Morgen. Sein Bruder blieb dagegen bei Ella, ließ die Finger von den Getränken und hielt sich vorzugsweise im Abseits. Auch seine Stimmung fiel sehr positiv aus.
„Es wird langsam recht stickig, möchtest du nach draußen gehen? Ich sehe, dass du beginnst dich zu langweilen. Das kann ich dir nicht verübeln. Sieh mich nichtso überrascht an, natürlich ist mir das aufgefallen. Mein Bruder hatte die ersten Jahrtausende seines Lebens die Aufmerksamkeitsspanne einer Fliege, ich bin geübt darin, Langeweile zu erkennen und damit umzugehen. Hast du vielleicht Hunger?", fragte er und musterte nachdenklich den Tisch neben dem sie standen. Ohne auf eine Antwort zu warten, wählte er eine geröstete Brotstange mit Curry und anderen weniger intensiven orientalischen Gewürzen. Ella kannte diese Art von Gebäck noch nicht, aber wenn Asherah es ihr anbot, dann musste es lecker sein.
„Danke. Nach draußen gehen klingt gut. Und das was ich...gesehen habe war ja auch draußen. Also lässt es sich wohl sowieso nicht vermeiden."
Für einen Moment meinte Ella zu sehen, wie Asherahs Schultern absackten, aber er wusste seine Körpersprache zu kontrollieren. Ein Biss in die Brotstange bestätigte die Hypothese von eben, sie schmeckte super und hob die Stimmung ihres offenbar erstaunlich primitiven Gemüts. Erst nachdem sie ein paar Mal darauf herumgekaut hatte und im Begriff war eine weitere zu nehmen, meldete der Mann in Schwarz sich zu Wort.
„Vergiss diese Vision für den Moment und stopfe dich nicht damit voll."
Er lachte und halbierte die zweite Stange Currybrot. Die eine Hälfte gab er ihr, in die Zweite biss er selbst.
„Drei Viertel für mich, klingt fair.", erwiderte sie gespielt aufmüpfig, nahm dann aber dankend seine Hand an und ließ sich nach draußen führen. Immer wenn er das tat, fühlte Ella sich gleichermaßen bedeutend und umsorgt.
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Ella - Zwischen Nebel und Hölle
FantasyIn einem Königreich, abgeschottet vom Rest der Welt durch eine Wand aus weißem Nebel, leben seit unzähligen Jahrtausenden Wesen und Tiere verschiedenster Arten. Seit der Gründung dieses Reiches herrschen die Königsbrüder Asherah und Nishah über das...