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Asherah bezeichnete seinen Bruder liebevoll als freigeistig, denn naiv war er weißgott nicht, egal wie der Schein es vermittelte.
„Hach, wir haben so lange keine Feierlichkeit mehr veranstaltet, beziehungsweise an einer teilgenommen. Ich muss dich warnen, meine Kleine, besonders die Drachen- und Elfenfrauen neigen dazu, sich zu kleiden wie Thanee. Nicht so...unglücklich farbenfroh, keine Kritik, aber die Kleider sind ebenso transparent. Wobei, bei genauerer Betrachtung bin ich mir allerdings beinahe sicher, dass diese Vorliebe der Zurschaustellung auch unter den Männern zunimmt. Oh je,...Es schreckt ab, weckt gleichermaßen Neugierde. Das ist die harte Realität."
Er kicherte in sich hinein. Manchmal fühlte es sich für Ella so an, als hätte sie einen Gleichaltrigen in einem erwachsenen Körper vor sich. Sein Charakter passte sich situationsspezifisch an. Wenn etwas Ernsthaftigkeit erforderte, so wurde der weiße König zu einem völlig neuen Mann. Nicht immer aber wann immer nötig.
„Wie schön, du kannst mir nicht zufällig innerhalb der nächsten Stunde dabei helfen, ein paar Zentimeter zu wachsen. Ich fühle mich auf Hüfthöhe nach deiner Beschreibung auf einmal sehr bedrot."
Lachend warf er die Beine über die Lehne und lehnte den Kopf an Kibah, die zu der anderen Seite saß und sich gemächlich als Kissen umfunktionieren ließ. Sie trug noch immer den flexiblen Sattel und störte sich daran keineswegs. Nishah versicherte ihr, dass sich die Freizügigkeit vorzugsweise auf Dekolleté und Beine bezog aber riet im selben Atemzug, den Blick starr auf Gesichter zu richten, wenn ihr ihre unschuldige Zeit nicht zu schnell verloren gehen sollte. Als das Wort „unschuldig" fiel, zog eben Asherah die geschwärzte Hartholztür hinter sich zu und gesellte sich mit einem sehr fragenden Blick zu der kleinen Gruppe. Keiner regte sich, das Gesagte zu wiederholen also räusperte der schwarze König sich nach einer langen Pause und richtete infolge einer Übersprungshandlung seine dünnen Handschuhe.
„Ihr zwei...Nun gut, bereit machen und aufsitzen. Wir reiten über Schleichwege. Ich habe keine Zeit dafür, aufgehalten zu werden und eine Palette an Fragen über das in den Startlöchern stehende Event zu beantworten. Welche Frisur besser ankommt oder wie reich das Buffet bestückt ist. Für gewöhnlich stehe ich gern zur Verfügung, auch für diese trivialen Angelegenheiten, aber heute sind meine Nerven gespannter als sonst."
„Deine Nervosität ist unbegründet, heute wird ein Erfolg. Ich bin mir da sicher.", sagte Nishah nun völlig sanft und stand auf. Ihm ist es sicherlich genauso wie Ella aufgefallen, dass der König seine beunruhigenden Augenschatten mit viel Makeup zu verbergen versuchte. Er sah, abgesehen von einer aufrechteren, angespannteren Körperhaltung, nicht anders aus als an einem normalen Tag. Aber die zwei anderen wussten es besser. Nishah legte ihm die Hand auf die mit Polstern überzogenen Schultern und lächelte unberührt. Asherah seufzte nickend und fuhr sich durch die Haare.
„Wir schleusen ihm heute ein paar harte Drinks in den Tee, vielleicht wird er dann richtig lustig.", flüsterte Nishah und kassierte dafür einen leichten Schlag in die Seite, bevor sein Bruder die Gruppe antrieb und zu den Ställen scheuchte. Dort suchten sie nach Kaegan, der sich von einem sehr verängstig aussehenden Jungen striegeln ließ. Das hatte er genauso wenig nötig wie die Verköstigung von vorhin aber durch eine Vereinbarung des leitenden Stallinhabers und des Königs galt die Pflege dieses Schattenwesens als Strafe für das unerlaubte Spielen im Schlamm am Morgen. Beide profitierten davon. Kaegan scharrte besonders bedrohlich mit den Hufen zwischen dem Nebel am Boden über die Pflastersteine und brachte das Kind damit jedes Mal zum Zucken. Als sie dieses sonderbare Duo erreichten, ertönte irgendwo eine Glocke. Offenbar ein Zeichen, welches das Ende der Schicht markierte, denn der Junge ließ alles stehen und liegen und rannte davon. Die Tränen in seinen Augen waren nicht zu übersehen. Der spielt so schnell nicht wieder Schlammschneeball. Wie ausgewechselt entspannte das Pferd sich, ließ den Kopf hängen und wandte sich den Königen zu.
„Du lässt dich wieder verwöhnen, wie ich sehe."
„Nun, einem geschenkten Gaul...", erwiderte Kaegan und ließ sich von Asherah die Mähne glätten. Das Sprichwort brachte ihn zum Schmunzeln.
„Das hat Rikkom auch gesagt."
Der Stallbesitzer. An seinen guten Tagen für jedes Späßchen zu haben, leider traten solche nicht oft auf.
„Ella, reitest du auf Kaegan mit oder möchtest du ein eigenes Pferd?"
Ella entschied sich für die erste Option und zusammen sattelten sie Kaegan, diesmal mit einem echten Sattel und Zaumzeug. Dann stieg zuerst Asherah auf und nahm Ella vor sich auf den Sattel, hielt die Zügel vorerst nicht fest. Stattdessen legte er beide Hände auf den Knauf vorn auf dem Sattel und stabilisierte das Mädchen zusätzlich. Es wäre noch weitaus untertrieben zu sagen, dass die Position im Sattel nur bequem war. Neben ihnen sprang Nishah energisch auf Kibah und kraulte ihr die Ohren. Ella wollte gleiches bei Kaegan tun, reichte aber gerade einmal halb so weit und tätschelte indes seinen kräftigen Hals.
„Welchen Schleichweg hast du im Sinn, Brüderchen?", fragte Nishah und lächelte zu ihnen hinüber. Jedes Mal, das er auf seiner Kibah ritt, passte sich sein Verhalten seiner Stimmung an und er rutschte spielerisch ungeduldig im Sattel vor und zurück. Asherah, die Ruhe in Person, ließ sich nie zu so etwas verleiten. Das könnte auch dem zuschulden sein, dass Kaegan keine eigene Kreatur war, sondern ein Teil von ihm selbst. Seine Individualität hatte Grenzen, egal wie charakteristisch eigen er war. Da gab es keinen neuen Funken, der überspringen konnte.
„Wir werden den Weg durch den Untergrund nehmen. Ella wird endlich ein offizieller Teil des Königreiches, sie muss auch die Katakomben und Geheimgänge kennenlernen. Beginnen wir heute also mit einer Versorgungsstraße untertage."
Überrascht sah sie zu ihm auf. Von unterirdischen Gängen in dieser Stadt hatte sie noch nie in ihrem Leben gehört. Auch nicht durch Klatsch und Tratsch am Hafen, der ja von Handel und teilweise auch Schmuggel lebte. Was Intrigen und Seefahrergeschichten anging war Ella recht bewandert aber so weit von dem Meer entfernt half ihr diese Art des Entertainments nicht. Asherah navigierte Kaegan mit den Füßen vom Schlosshof und entlang einer kleinen Stattmauer. Hochkonzentriert ließ er den Blick über die Dächer der Stadthäuser gleiten, die sich vor ihnen die Straße hinab zunehmend häuften. Dann brachte er Kaegan dazu, auf eine Grünfläche zuzusteuern, auf der viele Bäume und Büsche dicht an dicht wucherten. Hinter ihnen schnappte Kibah gelegentlich versuchshalber nach Kaegans Schwanz aber ihre Zähne schlugen hörbar aufeinander ohne auf Widerstand zu treffen. Anhand der ständigen Wiederholung dieser Geräusche lernte die Katze offensichtlich nicht aus ihren Fehlern.
Den ersten Strauch überwunden, stiegen diese Reittiere brav durch das Gestrüpp und folgten der Leitung ihrer Reiter. Einmal erwischten sie unbeabsichtigt eine Art Nest, denn unter den großen Pranken Kibahs schossen dutzende Schmetterlinge gen Himmel und zerstreuten sich in den Kronen der Bäume. Kibah erschrak, konnte aber von Nishah gekonnt beruhigt werden und schnappte wütend nach einigen der Insekten.
„Rechts von uns lagen die Treppen, die wir parallel entlanggelaufen sind. Nun befindet sich der Weg Pi mal Daumen drei Meter über unseren Köpfen und ungefähr hier beginnt der Abgang nach unten."
Mit dem Fingernagel tippte er ohne Kraftaufwand gegen die Mauer, die innerhalb dieses kleinen Wäldchens völlig fehl am Platz wirkte, deren Ende über den Baumkronen aber nicht erkennbar aufragte. Auffordernd ließ er den Finger auf dem kleinen Stein ruhen und gab Ella einen kleinen Ruck. Sie verstand, streckte die rechte Hand aus und drückte gegen den Block. Dieser gab nach und ließ sich wenige Zentimeter nach innen schieben.
„Und je-...?!"
Plötzlich vibrierte ein kleiner rechteckiger Ausschnitt der Mauer und Ella zog erschrocken die Hand zurück an den Körper. Sie hätte damit rechnen müssen und trotzdem konnte sie sich einen kleinen Schrei nicht verkneifen. Die Steine sanken in die Erde hinab und gaben einen langen, dunklen Gang frei, der sich tief in die Wand bohrte und leicht bergab verlief. Die Vorfreude überlief in Nervosität. Schwül, eng und zackenduster. Nicht die ideale Kombination. Doch die Könige trieben unbeirrt die Tiere an und betraten den Tunnel. Der Boden wechselte zu hartem Sand, die Luft wurde feucht.
„Moment, ihr wollt dadurch? A-Aber wir haben kein Licht und es ist kalt und eng..."
„Hast du Angst?", fragte Asherah hinter ihr flüsternd und neckte sie sanft mit verstellter, gruselig rauer Stimme. Sie erkannte die Herausforderung, hob das Kinn und setzte sich aufrecht.
„Gar nicht. Ich empfinde Klaustrophobie als äußerst reizvoll und freue mich schon auf mein erstes Trauma. Dann kann ich mich bei Erwachsenengesprächen endlich einbringen."

Ella - Zwischen Nebel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt