Am besten gefiel Ella die Beschreibung der Wrara-Beere. Einer violetten, faustgroßen Frucht, die in ihrer besten Reife weiches, saftiges Fruchtfleisch besaß.
Im Teamwork pflückten sie ein paar davon. Kaegan positionierte sich unter einem der Bäume und Ella stellte sich im Sattel auf. Ihre Arme waren zu klein, um die ganzen Erwerbungen zu tragen. Deshalb ließ sie sie einfach auf den Boden fallen. Dabei wurden gleichzeitig diejenigen ausselektiert, die bereits überreif waren, denn bei der Landung platzten sie einfach auf und ergossen das verflüssigte Fruchtfleisch über das Moos. Im Anschluss stieg sie aus dem Sattel und hob eine besonders große Wrara-Beere auf. Das weiche Grasbett unter den zerschundenen Füßen fühlte sich traumhaft an, wenn auch die Feuchtigkeit auf der mit Kratzern übersäten Sohle zuerst brannte. Nachdem sie sich ein letztes Mal bei ihrem Begleiter versicherte, dass die Frucht harmlos sei, genehmigte Ella sich einen großen Bissen. Der Geschmack war mit keinem ihr bekannten Lebensmittel vergleichbar aber keinesfalls ungenießbar. Im Gegengeil, er machte regelrecht süchtig, was aber ebenso gut ihrem Zuckermangel zuschulden sein konnte. Ein Gefühl von Sättigung ließ sich seine Zeit. Kaegan entschied sich dagegen, eine Frucht zu essen. Auch etwas anderes verweigerte der Rappe. Die Frage nach dem Grund beantwortete er schwammig. Er würde Nahrung nicht benötigen. Lügner, dachte Ella und wedelte ihm unnachgiebig mit einer der Früchte vor den Nüstern herum. Widerwillig nahm er sie an.
„Du musst deine Sturheit in den Griff bekommen, Pferdchen."
„Hör mal, wer da spricht.", erwiderte er knapp und stieß sie neckend an. Ella ließ sich nicht ärgern und direkt falsch lag Kaegan nicht. Stattdessen hob sie eine weitere Frucht auf. Diese landete mit dem nächsten Wimpernschlag wieder auf dem Boden. Ein dickes, fauliges Loch beherbergte eine Familie schleimigen, madenähnlichen Ungeziefers.
„Igitt! Uahhh, hoffentlich sind die in den anderen nicht auch drin gewesen! Oh man, mir wird schlecht."
„Keine Sorge. Ich bin sicher das hättest du gemerkt."
„Trotzdem! Mir ist der Hunger vergangen, gehen wir weiter. Können wir ein paar von den Teilen hier mitnehmen? Nein richtig, wir haben weder freie Taschen noch würden sie den Weg heil überstehen. Dann esse ich vielleicht doch noch eine? Hm. Definitiv nicht, ich sehe nur noch Würmer."
„Du bist vielleicht verwöhnt, hast du noch nie Ungeziefer in einer Frucht gesehen?"
Tatsächlich nicht, denn Schädlinge überlebten die Fracht durch den Nebel komischer Weise nie. Und daher kamen viele der Dinge, die am Hafen verkauft wurden und die, die sie sich hatte leisten können. Ein Schiff der Könige, besonders die Lyvlyra von Nishah, brachten pro Überfahrt genügend Boxen an Obst und Gemüse mit, um Katurah für mehrere Wochen vollständig ernähren zu können. Die qualitativ minderwertigen Güter werden dann direkt am Hafen verkauft, der Rest quer durch das Land verfrachtet. Mittels einer komplizierten Vereinbarung, bekommt monatlich jeder Bürger des Landes mindestens eine Ladung, ungeachtet des gesellschaftlichen Standes oder der Rasse. Leider wurde dort nicht der Fall mit einbezogen, dass manche Leute wie Ella gar keinen offiziellen Aufenthaltsort besaßen. Ihre Auswahl bezog sich immer auf ein mageres Minimum.
Hinter ihr regte sich etwas.
„Hey..."
„UAH! Oh mein Gott!"
Völlig unvorbereitet auf das leise Flüstern von der anderen Seite des Baumes sprang Ella zu Kaegan und krallte sich in die Zügel. Die massive Borke verbarg den Ursprung der Stimme aber eigentlich hätte niemand sich unbemerkt dahinter schleichen können. Deshalb der umso größere Schreck.
„Ich dachte wir sind allein! Kaegan, hast du das nicht gespürt? Wer ist da?! Wie kannst du dich so anschleichen?!", schrie Ella den Baumstamm an und zog hektisch das Fangschwert aus der Sattelschlaufe. Es war schwer zu übersehen, wie unbeholfen sie damit hantierte aber das machte die Waffe bei weitem nicht ungefährlich. Das Hey klang sehr sanft und unsicher aber davon würde sie sich nicht täuschen lassen. Kaegan raunte etwas und scharrte mit dem Huf auf dem Boden. Dass er diese fremde, wahrscheinlich weibliche, Person auch nicht hat kommen sehen, schien ihm schwer auf den Magen zu schlagen. Ein Mädchen trat hinter dem Baum hervor, sie hatte die Hände beschwichtigend gehoben und trug eine weiße Robe. Ein Ebenbild ihres Attentäters vom Schloss. Aber sie sah nicht irre aus, ihr Blick war völlig klar und auch Waffen besaß sie nicht am Gürtel. Jedoch konnte Ella nicht durch Klamotten hindurchblicken und so blieb die Frage der Bewaffnung vorerst unbeantwortet.
„Bitte, ganz ruhig ich will euch nichts Böses. Ich schwöre. Ich habe nur unglaublichen Hunger aber kenne mich mit essbaren und giftigen Pflanzen in der Umgebung nicht aus. Deshalb dachte ich, wenn ihr die hier esst dann müssen sie ja in Ordnung sein. Ihr seht nämlich nicht gerade lebensmüde aus. Naja, das Pferd vielleicht ein bisschen aber alles in komplett Schwarz schreit irgendwie nach Weltschmerz. Es ist doch nicht schlimm, wenn ich mich auch bediene, oder?"
Ella und Kaegan traten synchron zurück, überließen dem unbekannten Mädchen die übrigen Früchte auf dem Boden. Aber das Schwert zu senken stand für Ella außerfrage. Diese weiße Robe rief böse Erinnerungen wach. Und auch wenn sie die Kapuze nicht aufhatte, sah das Mädchen dem verrückten Angreifer beunruhigend ähnlich. Dunkelviolette Haare fielen ihr bis auf die Schultern und ihre Augen bildeten eine attraktive, schwarze Ergänzung. Es machte den Eindruck, als wäre sie keinen Tag älter als Ella selbst. Das musste das unbekannte Wesen, dessen Schwingungen Kaegan vernahm.
Während sie sich also mit sichtbar angestauter Verzweiflung über die Früchte hermachte, standen Ella und Kaegan wie angewurzelt. Sie konnten nur zusehen, anderes fiel keinem von beiden ein. Mit ihrem Begleiter neben sich bestand für Ella wenig Grund zur Sorge aber dennoch traten die Knöchel ihrer Hände am Schwertgriff weiß hervor. Die Anspannung lag in der Luft, dass man sie zusammen mit der Stille beinahe hätte aufeinanderprallen spüren können. Hinter dem, gestanden, sehr hübschen Mädchen trat bald schon der Grund dafür aus dem tiefen Gebüsch, weshalb es ihr gelang, immer knapp vor ihren Gegenübern gewesen zu sein und trotzdem nie von Kaegan überholt zu werden. Ein wunderschönes, weißes Vollblut trottete an des Mädchens Seite, den Schweif im Schritt elegant gehoben, und knabberte mit aufgestellten Ohren neckisch am Ärmel der seidigen Robe. So unbeeindruckt wie sich Kaegan gab, so fasziniert war Ella von diesem Tier. Aber es sollte lange noch keinen Grund darstellen, die Deckung zu lockern oder gar fallen zu lassen. Stattdessen hob sie das Schwert nur höher. Die Dunkelhaarige scheuchte ihr Pferd mit einer kleinen Geste von sich, doch das ließ sich nicht beirren und stolzierte daraufhin neugierig auf den prächtigen Rappen zu. Dieser legte drohend die Ohren an, stand aber weiterhin starr wie eine Salzsäule. Der überflüssige, ihn immer begleitende Nebel hatte sich insofern gelichtet, dass das Verhalten des Vollblutes, welches sich als Stute entpuppte, völlig gerechtfertigt war. Sie hielt ihn ganz offensichtlich für einen Artgenossen.
„Ein unglaublich nobles Pferd hast du da...", stellte das fremde Mädchen fest und spukte einen Kern mit erschreckender Präzision gute zwei Meter entfernt gegen einen Baumstamm, „...kein Wunder, dass er Nina gefällt. Allerdings gefällt ihr alles was sich bewegt, sei es ein Blatt im Wind, darauf würde ich mein Ego also nicht stützen."
Daran zweifelte Ella keine Sekunde. Seit die Fremde den Baum mit einem Wrarakern unter Beschuss genommen hatte, starrte die Stute angestrengt in diese Richtung und schien auf weitere Bewegungen zu warten. Kaegan schnaubte, offenbar beleidigt darüber, von einer Saat die Show gestohlen zu bekommen. Und die beiden sollen unsere Verfolger sein, fragte Ella sich selbst und blickte aus dem Augenwinkel zu Kaegan. Er erschien nicht weniger aus der Fassung gebracht. Dieses Duo besaß für Ellas Geschmack ein zu leichtfertiges und unbekümmertes Auftreten. Mit einem Klicken der Zunge orderte das Mädchen ihr Pferd wieder zu sich und wischte sich die Hände an der Hose unter der Robe ab. Auch dort trug sie keine Waffen.
„Ganz vergessen, vielleicht sollte ich mich erstmal vorstellen, meine Manieren trage ich heute auf Halbmast. Es war ja auch eine anstrengende Zeit aber wem sage ich das? Ich bin Kira und dieses niedliche, kleingeistige Stütchen habe ich Nina genannt. Hab' sie erst seit ein paar Wochen an meiner Seite aber sie gehorcht wie ein Schießhund. Gehorchen Schießhunde überhaupt? Wahrscheinlich aber ich glaube ich habe die Redewendung verwechselt... Naja, das Prinzip ist klar."
Sie kam mit erhobener Hand für ein Händeschütteln auf Ella zu und könnte dabei kaum weniger Interesse an dem auf ihren Hals gerichteten Fangschwert zeigen. Das brachte die blondhaarige dermaßen aus der Fassung, dass sie die Waffe sinken ließ und sprachlos den Gruß erwiderte. Der Rappe beobachtete den Vorgang intensiv. Wie ein Schießhund, um das Sprichwort in korrektem Kontext anzuwenden. Doch so penibel war keiner von ihnen.
„Okay? Also ich bin Ella und-..."
„Hah! Ich weiß wer du bist! Wieso sollte ich es auch nicht wissen? Immerhin sollte ich dich töten.", bekundete Kira beinahe feierlich und stemmte beide Hände in die Hüften. Von der Äußerung überrumpelt wich Ella nun doch zurück und hob das Schwert wieder, ungeschickter als zuvor, Damit entlockte sie ihrer nun wohl doch Opponentin nur ein heiseres Lachen.
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Ella - Zwischen Nebel und Hölle
FantasyIn einem Königreich, abgeschottet vom Rest der Welt durch eine Wand aus weißem Nebel, leben seit unzähligen Jahrtausenden Wesen und Tiere verschiedenster Arten. Seit der Gründung dieses Reiches herrschen die Königsbrüder Asherah und Nishah über das...