Kap. 103 Erkundung

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Arya pov

Ich wusste nicht so recht, wie meine Gefühlslage zu diesem verschlossenen Tor war. Die gehörten Erklärungen ergaben natürlich alle Sinn, aber nichts desto trotz war es ein großes Risiko. Für mich persönlich ein noch größeres als jedes, das ich bisher eingegangen war. Ich riskierte meine Freiheit, meine Fähigkeit eigene Entscheidungen zu treffen. Das wäre eine grausame Knechtschaft, die ich mir garnicht wirklich vorstellen wollte. Körperliche Unfreiheit war eine Sache, aber das Innerste Wesen gefangen zu wissen, griff viel tiefer.

Noch dazu kam eine Angst, die ich schon von Kindes Beinen an abgelehnt hatte. Die Angst vor der Selbsterkenntnis. Ich konnte meinen wahren Namen nicht sprechen, ohne ihn zu kennen, und ich konnte ihn nicht kennen, ohne mir selbst jeden Charakterzug einzugestehen, jede Schwäche, jedes starke Gefühl. Und genau dieser letzte Teil war es, der in mir ein gewisses Unwohlsein wachsen ließ. Ich musste ehrlich zu mir selbst sein und konnte meine Gefühle dabei nicht mehr hinter einem Gewirr aus darum herum tarnen und verschwinden lassen.

Meine Gefühle waren wiederum der eine Punkt, in dem meine Disziplin nur nach außen hin stabil genug war. Ich konnte zwar von außen völlig gelassen wirken, als würde nichts in dieser Welt mich berühren, aber am Ende war dem nicht so. In meinem Inneren konnten in einigen wenigen Fällen trotzdem glühende Gefühle brodeln, die ich mir nicht selbst verbieten oder verändern konnte. Ich konnte nicht leugnen, dass das zum Leben dazu gehörte, aber es war ganz klar weit außerhalb des Gebietes, in dem ich mich wohl fühlte.

Für den Moment, da wir auf Saphiras Rücken hinab in die Stadt glitten, konnte ich das ganze aber noch als Zukunftsmusik verleugnen. Oft tat ich das nicht, aber wenn dann mit eindeutigem Erfolg.

In Dorú Areabas steinernen Ruinen eine günstige Schlafstätte zu finden, war eine wirklich anspruchsvolle Aufgabe, sowohl wegen der Größe, als auch weil man beachten musste, dass vieles vollkommen zerfallen war oder zumindest kurz vor dem Kollaps stand. Unter tausend Tonnen Schutt begraben zu werden, war nun wahrlich kein angemessenes Ende für uns und für diesen Krieg. Vergleichbar damit, als würde Urû'baens Überhang abbrechen und die gesamte Zitadelle samt König unter sich begraben werden. Mit dem kleinen Unterschied natürlich, dass mir das um Längen lieber wäre.

Schließlich fand Saphira ein Gebäude, das ihren Ansprüchen entsprach. Es war flacher und kompakter als alle umstehenden Bauden, aber immernoch groß genug, um einen Drachen Saphiras Größe beheimaten zu können. „Das Bruthaus", Erklärte Glaedrs Eldunarí uns schnell. „Hier wurden die neu geschlüpften Jungdrachen erzogen. Dies begann fast sofort nachdem sie die Schalen ihrer Eier verlassen hatten. Hier lebten sie, bis sie alt genug waren, um gut von ihren Eltern lernen zu können und um auch alle ihrer Lektionen bereits anwenden und verstehen zu können. Letzteres war vor allem für das Feuerspeien, komplizierte Flugmanöver und das selbstständige Jagen wichtig.

Früher war dieser Ort vollständig mit Stroh ausgestopft und es war dank glühender Steine in der Mitte, die von einem der wachhabenden Mutterdrachen erhitzt wurden, selbst im Winter glühend heiß. Ich bezweifle, dass die Umstände heute die selben sind, aber ein Nachtlager könnt ihr dort sicherlich gut aufschlagen." Es war denkbar praktisch, jemanden mit wirklich lokaler Erfahrung dabei zu haben.

Viele der umliegenden Steinmonumente waren verfallen und von Efeu überwuchert, teilweise sogar von der Witterung zersetzt, aber in den Bau des Ortes, an dem ihre Nachkommen aufwuchsen, hatten die Drachen und ihre Reiter wohl weit mehr Mühe investiert. Vielleicht war die niedrige Lage auch schlichtweg dafür verantwortlich, dass die größten Schäden, Druckwellen oder was auch immer so viel Zerstörung verursacht hatte, von den umliegenden Gebäuden abgefangen worden war.

In einer langsamen Abwärtsspirale glitt Saphira auf die Straße vor dem Eingang hinab. Erst als wir näher kamen, bemerkte ich, wie unglaublich gigantisch die Stadt der Reiter war. Aus der Luft hätte ich garnicht bemerkt, dass dieser Ort in einem anderen Maßstab geschaffen worden war, aber nun, da wir auf der Erde standen, hätte es deutlicher nicht sein können. Wir befanden uns ganz sicher nicht auf der Hauptstraße, aber schon diese war breiter als der Menoa-Baum von einem äußersten Blatt zum anderen. Hier konnten trotz der hundert Fuß hohen Steinwände zwei große Drachen problemlos aneinander vorbei schreiten oder ein einzelner abheben.

Die Macht ist mit mir, oder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt