Kap. 95 Verständnis

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Eragon pov

Ich verbrachte den Flug fast die ganze Zeit in Gedanken, teilweise nur für mich, teilweise im Austausch mit Saphira. Ich brauchte wirklich lange, um eine Ordnung da hineinzubringen. Meine tägliche Mediation und damit verbunden das Verfolgen meiner eigenen Gedankenströme half mir sonst, mich zu fokussieren, meine Gedanken zu sammeln, sie zu verstehen und zu verarbeiten. Nicht so die letzten Tage. Vielleicht war es einfach alles zu schnell gegangen. Vielleicht hätte ich damit umgehen können, wenn jeder Tag doppelt so lang wäre und ich in dieser Zeit daran gearbeitet hätte, meine Aufgaben zu beherrschen und mich nicht von ihnen beherrschen zu lassen, vielleicht wäre ich dann im Innern im Frieden, aber so war es eben nicht. Mir fehlte die Zeit, denn entweder musste ich wichtige Entscheidungen treffen, sie auf andere abwälzen oder trainieren. Bei keiner dieser drei Tätigkeiten konnte ich wirklich abschalten und mich auf innere Konflikte und Fragen konzentrieren.

Ich war fest entschlossen, diese weite Reise dafür zu nutzen, zumindest Ordnung zu machen. Ich erwartete nicht, dass danach alles gut und entspannt wäre, doch ich hatte die Hoffnung, dass es sich so weit beruhigen würde, dass es mich nicht mehr von dringlicherem ablenkte.

Ich war tatsächlich auf einem guten Weg dorthin. Einen Plan, wie ich besser und gesünder mit meiner Zeit umgehen könnte, hatte ich mir bereits gemacht. Also wenigstens im Groben. Selbst bei der Frage, wie sich Aryas Verhalten mir gegenüber fließend verschob und wie ich mir vornahm, damit umzugehen, hatten sich langsam Fortschritte abgezeichnet. Leider wurden diese alle auf einmal mit einem Vorschlaghammer in der Größe von Glaedrs verlorenem Vorderbein niedergedroschen und dem Erdboden gleich gemacht, als Arya ihren Kopf auf meiner Schulter ablehnte und ihren Blick starr in die Ferne richtete. Um sie dabei nicht zu stören, denn ich genoss es wahrlich, versuchte ich ruckartige Bewegungen zu vermeiden und wenn sie von Saphira kamen, die gerade unglücklich ein Luftloch erwischt hatte, gab ich mir Mühe sie abzufedern. Ab und an warf ich einen kleinen Seitenblick auf sie. Meine Sicht wurde zum einen von der Beweglichkeit meiner Augen und zum anderen von meinem restlichen Gesicht blockiert. Trotzdem war es fast wie eine Bilderkette, wie ich sie beim Agaetí Blodhren ein paar Mal von einigen der Elfen gesehen hatte.

Mehrere Bilder wurden so aneinandergereiht, dass die Gedanken daraus eine fließende Handlung kreierten. Von Bild zu Bild entspannten sich ihre Gesichtszüge mehr und mehr und ihr Blick verlor an Fokus. Früher hätte ich das nicht bemerkt, aber der ungebildete Bauernjunge, der ich damals war, hatte auch nicht die übermenschlichen Augen, die die Nähe zu einem Drachen fließend mit sich brachte und deren Entwicklung bei mir beschleunigt worden war. Irgendwann begann sie auch gleichmäßiger zu atmen. Das konnte ich zwar wegen dem Rauschen des Windes nicht hören, aber ich konnte spüren, wie sich ihr Oberkörper hob und senkte.

Sie war auf meiner Schulter eingeschlafen und genau an diesem Punkt wusste ich, dass das alle meine Überlegungen über den Haufen warf. Ich hatte einfach nicht im Ansatz damit gerechnet, dass sie so weit ihre Kontrolle weitergeben würde. Es war eigentlich eine Kleinigkeit, schließlich war es ja nicht das erste Mal, dass sie schlief, während ich wach in der Nähe war. Trotzdem fühlte sich das wie eine andere Situation an. Vertrauen auf mehreren Ebenen, von der recht einfachen Frage, ob ich sie im Notfall auffangen würde, wenn sie abrutschen würde, bis hin zu der Tatsache, dass sie sich mir auch auf einer emotionalen Ebene ziemlich klar auslieferte.

Ich würde niemals behaupten, mir wäre das unangenehm. Das wäre eine schlichte Lüge gewesen. Aber wenn ich es doch tun würde, würde das für sie bedeuten, sie nahm sich ein Recht heraus, das zu geben ich noch nicht bereit wäre. Eine Situation, in die ich umgekehrt niemals kommen wollte. Das Risiko für selbige in kauf zu nehmen, erforderte eben sehr viel Mut und Vertrauen. Eben deshalb fühlte ich mich so überrumpelt, jedoch nicht in einer unangenehmen Art und Weise. Ich wusste, dass Arya in meine logisch gebildeten Entscheidungen Vertrauen hatte und auch dahinein, dass ich in Kämpfen und derartigem meine Aufgabe erfüllen würde. Etwas ganz anderes war jedoch dieses emotionale Vertrauen, das gerade bei einer so auf ihre persönliche Sicherheit im Bereich der Gefühle wertlegenden Person extrem schwer zu erwerben war.

Die Macht ist mit mir, oder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt