𝟷𝟻 | 𝐴𝑙𝑙𝑦

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❧༺༻☙

„Kannst du mir mal bitte die Schüssel mit den Kürbiskernen geben?", fragte ich an Severus gewandt, während ich gleichmäßig in meinem Müsli rührte.

Er hatte seinen Oberarm auf dem Tisch abgelegt, stützte seinen Kopf mit einer Hand und reagierte nicht. Weil ihm seine schwarzen, schulterlangen Haare leicht ins Gesicht fielen, konnte ich nicht erkennen, was gerade in ihm vorging.

Doch es war eindeutig, dass seine Augen bei den Geschehnissen am Gryffindor Haustisch verweilten. Wie hypnotisiert verfolgte er die Unterhaltung zwischen James Potter und Lily Evans.
Auch die unbeholfenen Annäherungsversuche seitens des arroganten Löwen zwang er sich mitanzusehen.

„Sev?", sprach ich ihn vorsichtig nochmals an, doch er schien mich nicht zu hören.
„Bitte schön." Eine tiefere, zuvorkommende Stimme ließ mich aufsehen. Regulus hielt mir den gewünschten Frühstückszusatz grinsend unter die Nase.

„Danke", lächelte ich, was er mit einer wegwerfenden Handbewegung beantwortete. „Keine Ursache."
Er bedachte Severus mit einem verwunderten Blick, ehe er sich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder von uns abwandte und mit seinen Freunden über das kommende Weihnachtsfest plauderte.

Wie jeden Morgen bereitete uns der schrille Ruf einer Eule auf die eintreffende Post vor.
Mittlerweile hörte ich es kaum noch. Konzentriert widmete ich mich weiterhin meinem Frühstück und kippte den Inhalt der kleinen Schüssel dazu.

Als ein Umschlag haarscharf neben meiner Milch auf das dunkle Holz prallte, runzelte ich die Stirn.
Hat Fido sich was eingepfiffen oder warum kann er nicht mehr zielen?, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf, bevor ich sein Mitbringsel konsequent zu Severus schob.

Aus dem Augenwinkel konnte ich ausmachen, wie sich dieser kurz aus seiner Starre löste, nur um mir den Brief wieder zurück zu geben.
„Für dich", meinte er gleichgültig, wenn nicht sogar mit einem leicht gereizten Unterton und war sogleich wieder abgelenkt.

Wie für mich?
Verwirrt schaute ich mir das Stück Pergament genauer an und musste zu meiner Überraschung feststellen, dass da tatsächlich mein Name stand.

Ich sog die Luft scharf ein, als ich die Handschrift meiner Mutter erkannte und sich ein ungutes Gefühl schneller in mir ausbreitete als dass ich Gegengift sagen konnte.

Mit zittrigen Händen öffnete ich den Umschlag, zog den Brief heraus und faltete ihn nervös auseinander. Dabei rutschte mir das Papier mehrfach aus den Fingern.
Jetzt mach schon.

Angespannt, als müsste ich gleich das letzte entscheidende Quidditch Spiel der Saison bestreiten, spürte ich mein Herz vor Aufregung wild in meiner Brust klopfen.

Warum schreibt sie erst jetzt?, fragte ich mich und versuchte vergeblich das mulmige Gefühl wieder herunter zu schlucken.
Um keine Zeit zu verlieren, fielen meine Augen sofort über die wohlgeformten Buchstaben ihrer Handschrift her.

𖣔

Wie tief kann man eigentlich sinken?
Die ganze Zeit über hatte ich gedacht, dass das schon gut gehen wird. Dass du noch zurück auf den richtigen Weg finden würdest.
Aber nun muss ich dir sagen, dass ich es kaum in Worte fassen kann, wie entwürdigend es für uns ist mit einer Slytherin verwandt zu sein.
Wie können wir dir je wieder in die Augen sehen, wenn du doch eine von denen geworden bist?

Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe.
Vielleicht hätte ich darauf bestehen sollen, dass du diesen Snape nie wieder siehst. Es war wahrscheinlich der größte Fehler, dass du dich mit ihm abgegeben hast. Aber eigentlich bist du selbst schuld. Ich hatte dich gewarnt. Du wolltest nicht hören. Und nun ist es geschehen.

Ich könnte mich kaum mehr für dich schämen. Es ist eine einzige, große Schande für unsere Familie.
Aber sind wir das denn überhaupt noch?
Du hast deinen Weg gewählt. Und dieser führt dich von nun an alleine weiter.

𖣔

Ich konnte nur noch auf diesen Zettel starren, auf dem eigentlich so viele Hoffnungen lagen. Mehrmals überflog ich ihre Zeilen, als würde ich denken, dass sich dadurch etwas an ihren Worten ändern würde.
Aber das tat es natürlich nicht.

Ich wusste nicht mehr wie lange ich am Ende einfach nur da saß und die fast noch feuchte Tinte fixierte. Irgendwann wurde mir schwindelig. Das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, schnürte mir die Kehle zu.
Blind suchte meine Hand nach Severus.

„Sev." Mehr brachte ich nicht hervor, ehe meine Stimme brach. „Sev, ich-"
Er sagte immer noch nichts.
Verdammt, dachte ich und biss die Zähne zusammen, als ich spürte wie meine Sicht langsam verschwamm.

Ich traute mich nicht zu ihm zu sehen. Er sollte mich nicht so sehen. Und trotzdem war da dieses dringende Bedürfnis nach seiner Nähe. Ich brauchte ihn gerade so sehr.

Jetzt reiß dich zusammen, knurrte ich mich selbst an. Beruhig dich wieder.
Also blinzelte ich die aufkommende, salzige Flüssigkeit in meinen Augen weg. Zumindest bemühte ich mich darum.

Doch dann stand Severus plötzlich, ohne mir überhaupt einen Funken Beachtung geschenkt zu haben, mit einem halbherzig gemurmelten „Ich komm später wieder" auf und lief mit wehendem Umhang zielstrebig auf Lily zu.

Überrumpelt und vor allem völlig verunsichert, was ich nun machen sollte, blieb ich auf der harten Bank am Slytherin-Tisch sitzen.
Ich musste ihm nachsehen, sehr wohl wissend, dass er nicht zurück kommen würde. Das tat er nie, wenn er erst einmal zu ihr ging.

Das erfreute Lächeln, das sich auf seinem Gesicht abzeichnete, als er sie in die Arme schloss und sehnsüchtig an sich drückte, erinnerte mich daran wie allein ich mich fühlte.

Alles wurde so unglaublich schwer, als würde mir dieser Anblick das letzte bisschen Kraft entziehen und nur noch diese Leere hinterlassen, die mich innerlich zerfressen wollte.
Was ist nur los mit mir?

Ich musste wegsehen, mich mit etwas ablenken — deswegen fokussierte ich mich nur noch auf meine Umgebung, in der Hoffnung meine Gedanken und Gefühle so wenigstens für einen kurzen Moment zum Schweigen zu bringen.

Um mich herum beobachtete ich ausgelassene, hoch motivierte oder auf ihren Hausaufgaben halb einschlafende junge Zauberer.

Manche von ihnen machten jedoch auch einen gestressten Eindruck, wie sie flink mit ihren Schreibfedern über das zerknitterte Papier flogen.
Aber dennoch hatten sie alle jemanden bei sich mit dem sie emotionale sowie physische Nähe teilen konnten.

Es setzte mir diese Vorstellung in den Kopf, dass sich ausnahmslos jeder in guter Gesellschaft befand, jemandem besonders nahe war oder einfach nur eine unvergessliche Zeit mit guten Freunden verbringen durfte.
Jeder, außer mir.

Ich wollte es nicht, doch diese verdammten Gefühle übermannten mich und —

Ich muss hier raus.

❧༺༻☙

Sectumsempra | S. SnapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt