𝟸𝟽 | 𝐴𝑙𝑙𝑦

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❧༺༻☙

„Regulus? Darf ich dich kurz was fragen?"
Nervös vom einen Fuß auf den anderen tretend, ruhte mein Blick hoffnungsvoll auf dem Sohn einer der einflussreichsten Zaubererfamilien.
Er aß bei seinen Freunden am Slytherin Tisch und sah nicht einmal auf, als er mir antwortete. „Was gibt's?"
Weil es nicht meine Absicht war ihn zu stören, wollte mich der Mut verlassen ihn mit meinem Anliegen zu belästigten. Doch dafür war es bereits zu spät.
Bis ich diese Tatsache begriffen hatte, vergingen einige Sekunde des stillen Haderns.
„Ha-hast du Severus heute schon gesehen?"

Er zuckte mit den Schultern, ehe er sich mir zuwandte und mich aus seinem silbrig grauen Augen musternd anblickte. „Nicht, dass ich wüsste."
Wo steckt er nur schon wieder? Eigentlich hatten wir uns für den Abend verabredet. Doch er war nicht mehr auffindbar, wie vom Erdboden verschluckt.
„Danke." Ich nickte Regulus zu, was er ebenfalls mit geneigtem Kopf quittierte.
„Setz dich doch", forderte er mich mit einer knappen Kopfbewegung zu den freien Plätze neben sich auf.

Ein dankbares Lächeln huschte über meine Lippen, ehe ich mich, ernüchtert von seiner Antwort, niederließ. Während ich mir etwas widerwillig einen Pfannkuchen auf den Teller manövrierte, wanderten meine Augen unterbewusst zum Tisch der Gryffindors und fixierten das Mädchen mit den leuchtend roten Haaren.
Nein. Bei Lily ist er nicht.
Sie war nur von ihren Freundinnen umgeben, die in gelassener Stimmung die Köpfe zusammen steckten und plauderten. Gelegentlich entfuhr ihnen ein Kichern, das schnell die Runde und vor niemandem Halt machte.
Unweit von ihr konnte ich Remus und Pettigrew erkennen, die sich schweigend gegenüber saßen und sich ihr Abendessen in den Mund schaufelten.
Von Black und Potter fehlte jedoch jede Spur.
Ob sie sich zum fünftausendsten Mal diese Woche Nachsitzen eingehandelt hatten, das sie gerade aussitzen mussten?

Solange sie es nicht wieder auf Sev abgesehen haben..., dachte ich, während ich lustlos mit der Gabel ein Stück Pfannkuchen aufspießte.
„Ally." Regulus hatte sich zu mir gebeugt und rüttelte an meinem Oberarm. Ich hob den Kopf, doch er sah an mir vorbei. „Da ist Severus."
Ich erwachte aus meiner trägen Haltung und folgte seinem Blick.
Der wehende Umhang, der auf mich zugeeilt kam, fiel mir als Erstes auf. Severus' verhärteter Ausdruck ließ mich innerlich kleiner werden, auch wenn sein Groll nicht mir gelten sollte.

Er versuchte seinen Verdruss zu verstecken, doch es war ihm ins Gesicht geschrieben, dass ihm etwas nicht passte. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich aufgebracht zu mir.
Auf eine Erklärung wartend, beobachtete ich ihn überrumpelt von seinem angespannten Auftreten.
Ein Schimmer an Severus' Schläfe erregte meine Aufmerksamkeit. Er war der schwachen Reflexion der Kerzen geschuldet, die über unseren Köpfen sanft vor sich hin schwebten.
„Sev!", entfuhr es mir erschrocken, als ich verstand was ich soeben betrachtet hatte. „Du blutest!"
Ein kleines Rinnsal hatte sich in seinen Haaren gebildet. Es nahm die gleiche nachtschwarze Farbe an wie die Strähnen, die es verklebte, und wurde somit unsichtbar für jene, die ihn nur mit einem flüchtigen Blick bedachten.

Er tat, als hätte er mich nicht gehört. Schweigend schob Severus die Schale mit den Pfannkuchen zu sich, ehe er sie um eine ihrer Köstlichkeiten erleichterte.
Ich kämpfte währenddessen gegen das Bedürfnis an, ihn aufgeregt mit allen möglichen Fragen zu überhäufen. Oder ihn einfach zu umarmen.
Mitfühlend sah ich mir die Wunde sorgfältig an. Er wich nicht zurück, als ich vorsichtig mit den Fingern seine Haarbüschel beiseite nahm, um die Haut darunter überprüfen zu können. Sie war an einer kleinen Stelle aufgeplatzt. Tiefrotes Blut sickerte aus ihr heraus und benetzte seine Haut sowie den Ansatz seines dunklen Haares.

„Wer war das?", fragte ich schließlich, als ich die Stille zwischen uns nicht länger ertragen konnte.
Er reagierte nicht.
„Sev, wer war das?", wiederholte ich, diesmal mit mehr Nachdruck.
„Was spielt das schon für eine Rolle?" Stur sah er auf seinen Teller, verschränkte die Arme davor und ließ das Essen kalt werden ohne auch nur ein Stück probiert zu haben.

„Wieso willst du es mir nicht sagen?"
Betroffen wandte ich den Blick ab. Ich versuchte meine Verletzung vor ihm zu verbergen.
Früher gab es so etwas nicht. Früher hatte er mir immer alles anvertraut, genauso wie ich ihm.
Bedingungslos.
Es gab keine Geheimnisse. Alles wurde miteinander geteilt. Die Träume wie auch die schwachen Momente.
Was war nur seit dem geschehen?

„Ich-" Seine Stimme brach.
Einige Zeit saßen wir einfach nur beieinander, während um uns herum das normale Leben tobte.
„Können wir gehen?", hauchte er schließlich kaum hörbar.
Seine Augen fanden meine. Für einen kurzen Moment ließ er zu, dass ich es sehen konnte. Die Angst. Den Druck. Selbst den Schmerz.

Dann blinzelte er, schloss für weniger als einen Herzschlag seine Lider. Als er sie wieder öffnete, hätte man meinen könnte, dass er jeglichen Ausdruck verloren hatte.
Doch ich wusste, dass das nicht stimmte. Im Ansatz konnte man es erkennen, wenn man nur genau hin sah.
Mit einem Kloß im Hals nickte ich. „Okay."
Dankbar schlich sich der Ansatz eines Lächelns auf seine dünnen Lippen, der so schnell wieder verschwand, dass ich dachte, ich hätte es mir bloß eingebildet.

Unbemerkt verließen wir vorzeitig das abendliche Beisammensein. Auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum versuchte ich abermals auf Severus einzureden. „Du musst in den Krankenflügel. Da kann man dir helfen."
Er schüttelte nur betrübt den Kopf.
So gerne ich ihn davon überzeugen würde, ich wusste, dass ich keine Chance hatte, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Seufzend beließ ich es dabei und verkniff mir das Nachhaken, was vorgefallen war.

Wenn ich zu mir ehrlich war, wusste ich es bereits. Ich musste mir nicht etwas von ihm bestätigen lassen, was eigentlich offensichtlich war.
Er musste es mir nicht sagen, damit es mir klar werden konnte. Es kamen nur Potter oder Black infrage. Bei keiner anderen Auseinandersetzung war er derart mitgenommen. Und sie haben auch beim Abendessen gefehlt, also hatten sie wahrscheinlich eine Begegnung, bevor Sev wieder aufgetaucht ist.
Das Schlimmste war, dass ich nichts dagegen tun konnte. Sie knöpften ihn sich meistens nur dann vor, wenn er alleine da stand.
Mutig, wie es sich für Gryffindors gehört.

Ich war so vertieft in meine Gedanken, dass ich nur um Haaresbreite einem Zusammenstoß mit dem Fetten Mönch, dem Hausgeist der Hufflepuffs, entgangen war.
„Tut mir leid", rief ich und wich ihm in letzter Sekunde ungeschickt aus. „Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken."
Er hatte einen betroffenen Satz zurück gemacht, setzte aber ein höfliches Lächeln auf, ehe er das Wort an mich richtete.
„Keine Sorge, mein Kind. Alles in bester-"
Das letzte Wort blieb im Hals stecken, als seine Augen an meinem Slytherin Aufnäher hingen.
Ich konnte nur noch ein verwirrtes Stirnrunzeln seinerseits erkennen, da war er auch schon verschwunden.

Verblüfft verharrte ich einige Herzschläge und sah ihm schweigend hinterher, bevor ich selbst das Zeichen auf meinem Umhang betrachtete.
Immer diese Vorurteile, dachte ich und schüttelte tadelnd den Kopf. Wer hat eigentlich festgelegt, dass Slytherins stets unfreundlich und abweisend sind und andere von oben herab behandeln?
Wer auch immer es war, falls ich ihm jemals begegnen sollte, würde ich ihm gehörig die Meinung sagen. Das nahm ich mir zumindest vor. Die Tatsache, dass ich mich das niemals trauen geschweige denn umsetzen würde, verdrängte ich gekonnt.
„Worauf wartest du?" Severus kam ungeduldig einen Schritt auf mich zu, um nach meinem Ärmel zu greifen. Sanft zog er mich weiter.

Im leer gefegten Gemeinschaftsraum angekommen verspürte ich sogleich eine vertraute Geborgenheit, auch wenn dieser Raum ganz und gar nicht meinen Vorstellungen von Gemütlichkeit entsprach.
„Wir brauchen dafür einen Ort, an dem wir ungestört sind", raunte mir Severus ins Ohr, während er immer noch meinen Arm festhielt.
Seine Augen huschten in eine der Ecken, die als Abstellplatz für alte Zaubertrankkessel diente und nie von den Schüler aufgesucht wurde. Das Regal mit diversen Zutaten wurde lediglich zur Dekoration stehen gelassen. Bestimmt deutete er mir, dass er fündig geworden war.

„Deceptio!"
Mit einer gezielten Bewegung des Zauberstabs über uns hinweg verschleierte sich die Umgebung. Eine Substanz, die milchigen Nebel glich, umschloss uns wie ein umgestülptes Glas. Mit leicht geöffnetem Mund beobachtete ich wie sie haarscharf an mir vorbei waberte.
Er hat einen Unsichtbarkeitszauber angewendet.
Beeindruckt konnte ich meinen Blick kaum davon lösen. Severus schmunzelte das erste Mal seit Tagen angesichts meiner Faszination.
Er konnte einfach unglaublich gut mit den Zaubersprüchen umgehen. Und trotzdem war es nicht seine Magie, die lichthell aus seinem Zauberstab stob, mit der er mich verzaubert hatte.

Es war das Herz des jungen Zauberers, der gerade dabei war sich hinter einer Maske zu verstecken.

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Sectumsempra | S. SnapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt