𝟹𝟿 | 𝐴𝑙𝑙𝑦

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❧༺༻☙

Angst.
Ein Gefühl, dass uns schützen sollte. Vor Gefahren, die unser Leben bedrohen oder uns erheblichen Schaden zufügen können.
Als Kind fürchtest du dich vor den Monstern, die sich unter dem Bett oder im Schrank verstecken. Aber sobald du älter wirst, weißt du, dass diese scheußlichen Ungeheuer nicht in der Dunkelheit des Kinderzimmers lauern, sondern in deinem Kopf.
Doch dann vermag es der Tagesanbruch nicht mehr, sie in die Flucht zu schlagen. Dann begleiten sie dich wie ein Schatten bei jedem deiner Schritte und kein Licht dieser Welt besitzt die Macht, sie zu vertreiben.
Das wurde mir an diesem Tag schmerzlichst bewusst.

Die Angst war das Gefühl, das mich vollkommen für sich vereinnahmte, als ich auf das aufgeschlagene Lehrbuch starrte. Die dunklen Künste überlisten.
Ich konnte mir die Zauberformeln und ihre Wirkungen so konzentriert einprägen wie ich wollte. Sobald sich meine Augen von dem Pergament lösten, waren sie alle wieder verschwunden.
Das gibt's doch nicht, empörte ich mich still. Ich sitze schon seit Stunden hier. Aber mein nutzloses Hirn will nichts davon aufnehmen.
Vielleicht willst du einfach nichts mehr darüber hören, mischte sich die Stimme ein, die inzwischen zur Gewohnheit geworden war. Schließlich hast du-
Lass es, unterbrach ich sie. Erinnere mich nicht schon wieder daran. Das tut nichts zur Sache.
Wenn ich in den nächsten Tagen in der Prüfung saß, zählten keine Ausreden mehr - egal wie gerechtfertigt sie auch sein mochten. Dann musste ich funktionieren.

Unruhig rieb ich mir mit beiden Händen die Schläfen, ehe sie zu meiner Stirn wanderten, um meinen Schädel an Ort und Stelle zu halten.
Ich brauch' eine Pause.
Kannst du dir das denn erlauben?
Über diesem verdammten Buch zusammenzubrechen, bringt mich auch nicht weiter.
Aber noch mehr Zeit zu verschwenden hilft genauso wenig.
Das Ziel war zumindest zu bestehen. Auch wenn es mir in den Fingern juckte, solange weiterzulernen, bis ich es endlich konnte. Diese Zeilen immer und immer wieder über mich ergehen zu lassen, bis ich es auswendig im Schlaf aufsagen konnte. Dass ich ihnen allen zeigen konnte, dass ich mehr draufhatte, als ein paar Zaubertränke zu brauen oder mich um verletzte Tiere und Pflanzen zu kümmern - dass ich auch mit meinem Zauberstab umgehen konnte.
Und wenn ich die ganze Nacht durchmachen musste, mein Körper konnte und wollte diese Blessuren spüren.
Aber meine Seele nicht.

„Was treibst du denn?"
Da bekam ich erst zu spüren, wie vertieft ich in meinen Gedanken war. Ich linste über den Rand meiner Lektüre.
Amüsiert schlenderte Remus auf mich zu, die Hände in seinen Hosentaschen vergraben, ehe er sich neben mir niederließ.
„Ich habe noch einiges zu lernen", seufzte ich. „Die ZAG-Prüfungen klopfen schon an die Tür und ich fühle mich erstens überhaupt nicht vorbereitet und zweitens heillos überfordert mit dem ganzen Stoff."
Kopfschüttelnd schweifte mein Blick über die Landschaft. Er blieb an den düsteren Wolken hängen, die sich tief über Hogwarts verdichteten und meine Stimmung nicht besser widerspiegeln könnten. Ich werde das niemals rechtzeitig alles schaffen.
Ein feucht erdiger Duft erreichte meine Nase. Das konnte nur eines bedeuten. Ein Sommergewitter würde uns bevorstehen.

„Das wird schon", wollte Remus mich beruhigen.
„Diesmal nicht", entgegnete ich und betrachtete ihn von der Seite. „Hast du schon gelernt?"
Er wog den Kopf hin und her. „So etwas in der Art."
Ein leises Lachen verließ meine Kehle, obwohl mir gar nicht danach war. Vielleicht aber auch gerade deswegen. Vielleicht hatte ich nun die erste Stufe des Wahnsinns erreicht. „Du hast das sowieso nicht nötig."
„Egal wie gut man ist, man kann immer noch etwas dazulernen", konterte er grinsend.
Ich warf meine Hände ergeben in die Luft. „Alles klar, du hast gewonnen."

„Kennst du den Sprengfluch?", versuchte er mich abzufragen. Wie sehr ich so etwas doch verabscheute. In meinem Kopf konnte ich Verknüpfungen aufbauen, die laut ausgesprochen entweder komplett bescheuert klangen oder plötzlich keinen Sinn mehr ergaben. Es zeigte mir, wie zwecklos meine Bemühungen am Ende gewesen waren.
„Reductio?", gab ich kleinlaut von mir und wollte instinktiv die Augen zusammenkneifen, um das Ausmaß meiner Antwort auf Remus' Gesicht nicht mitansehen zu müssen.
„Knapp daneben. Also nein, das ist der Zersprengungfluch."
„Soll das mal einer unterscheiden können...", murmelte ich vor mich hin.
„Richtig wäre Confringo gewesen. Aber du wirst das schon noch irgendwie hinkriegen", behauptete er mit einer solchen Zuversicht, dass ich ihm nicht widersprechen wollte.

Sectumsempra | S. SnapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt