𝟸𝟹 | 𝑆𝑒𝑣𝑒𝑟𝑢𝑠

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❧༺༻☙

„Was liest du da eigentlich?"
Lilys Stimme holte mich in das Hier und Jetzt. Neugierig deutete sie auf den Bücherstapel, den ich fest an meine Slytherin-Robe presste.
Wir liefen Seite an Seite durch die Flure in Hogwarts. Genau wie vorhin, bevor mich meine Erinnerungen eingeholt hatten; bevor ich widerstandslos in ihnen versunken war.

Lily beugte ihren Kopf leicht nach vorne, um meinen Blick einzufangen.
Benommen von den Gefühlen, die in mir geweckt wurden, schüttelte ich meine Gedanken an die bewusstlose Ally in meinen Armen ab.
Dafür ist nun keine Zeit. Ich darf mich nicht ablenken lassen.

Doch vollends wollte es mir nicht gelingen. Ich konnte mich nicht losreißen. Abwesend strich ich mit den Fingern über einen rauen Bucheinband.
Obwohl so viel Zeit, mehrere Sonnenwenden, seit jeher vergangen waren, verblassten die Bilder in meinem Kopf nicht. Und ich verstand nicht wieso.

„Sev, was ist in letzter Zeit nur los mit dir?"
Sorge mischte sich in Lilys Tonfall.
„Du bist so-" Sie suchte nach den richtigen Worten. „-so in dich gekehrt."
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
„Es ist nichts", flüsterte ich so leise, dass sie es kaum hören konnte.

Es ist Ally, wisperte eine Stimme in mir. Du machst dir Sorgen um sie.
Nein, erwiderte ich entschieden im Stillen. Das ist es nicht. Aber es ist etwas, das Lily nicht gefallen wird.

„Ach, das", lenkte ich überzeugt auf die Lektüren ab, als wäre nichts gewesen. Die Antwort auf ihre eigentliche Frage kam viel zu spät.
Aber besser spät als nie.
„Das sind nur ein paar Werke zu den dunklen Künsten."
Ihre Miene hellte sich schlagartig auf. Das Funkeln war in ihren wunderschönen grünen Augen entfacht. Die Begeisterung stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Sie strahlte wie die Sonne an ihren besten Tagen. Und dieses Lächeln. Dieses verdammte Lächeln, das mir jedes Mal den Atem raubte.

„Du meinst Verteidigungszauber? Eine Anleitung wie man Flüche blocken und die dunkle Macht besiegen kann? Dass man lernt wie man das Böse überlisten kann?"
Bei ihrer Entschlossenheit gegen die schwarze Magie vorzugehen, schlug das verträumte Kribbeln in meinem Bauch augenblicklich in ein unangenehmes Ziehen um.

Mein Herz wurde schwer. Die Gedanken schweiften zurück zu der Erinnerung und plötzlich konnte ich sie nicht mehr unterscheiden. Sie wurden getrübt und es war, als würden sie sich einander angleichen.
Finster. Sie waren einfach nur noch finster. Ohne Hoffnung.

Woher kam diese leidenschaftliche Abneigung?
Wieso interessierte Lily nicht, was alles möglich war? Warum lehnte sie jegliches Wissen ab, dass sich jenseits der üblichen Pfade verbarg?
Es ging schließlich nur um das Wissen. Nicht um die Anwendungen.
Zumindest noch nicht.

Am Schlimmsten empfand ich ihren Enthusiasmus und ihre brodelnde Phantasie. Anfängliche Skepsis konnte ich nachvollziehen. Es waren reichlich negativ konnotierte Erzählungen im Umlauf. Sie musste vom Gegenteil überzeugt werden.
Doch wie sie davon sprach, musste sie sich ihre Überzeugung heldenhaft vorstellen. Sie personifizierte es mit dem Bösen. Das typische Schwarz-Weiß Denken, das mir ferner lag als der Sternenhimmel.
Sie denkt nur wie eine Gryffindor.

Doch sie vergaß dabei etwas Entscheidendes.
Um sich effektiv verteidigen zu können, musste man wissen, womit man es zu tun hatte. Alles andere wäre naiv.
Je genauer man mit den dunklen Künsten vertraut war, desto besser konnte man sie verstehen.
Und ich will sie verstehen. Unbedingt.
Aber sie wies es von sich. Ohne Widerrede.

„Sev?" Der Glanz in ihren leuchtenden Augen war ansteckend. „Kannst du mir auch einen Verteidigungszauber beibringen?"
Ich schluckte.
Ich wusste, dass ich ihr in wenigen Momenten diese Illusion nehmen musste. Obwohl ich ihr die Wahrheit am liebsten vorenthalten würde, verdiente sie sie.
Ich konnte sie nicht anlügen. Nicht sie.

Sectumsempra | S. SnapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt