𝟸𝟾 | 𝑆𝑒𝑣𝑒𝑟𝑢𝑠

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❧༺༻☙

„Bereit?"
Ich versuchte behutsam Allys Blick mit meinem einzufangen.
Ihre grünen Augen, die im Schatten von Lilys standen, hatten im schwachen Schein des Kamins ihren Glanz verloren. Er war einem matten Schimmern gewichen, getrübt von Unsicherheit.

Der kühle Gemeinschaftsraum, in dem ich uns den abgelegensten Fleck ausgesucht hatte, war in ein gedimmtes Licht gehüllt. Es waren nur das kleine Kaminfeuer und wenige, halb abgebrannte Kerzen, die verhinderten, dass sich die Dunkelheit ungehindert einnisten konnte.
Das sanfte Flackern der Flammen war das Einzige, das dem Slytherin Gemeinschaftsraum so etwas wie Wärme verlieh.
Und Ally. Sie stach aus der Finsternis unseres Hauses hervor. Ein Funke der Hoffnung, der es vermochte auch der schwärzesten Nacht zu trotzen.

Sie nickte kaum, ehe sie ihren linken Arm vor ihren Körper positionierte. Mit nervösen Fingern schob sie den Ärmel hoch, der das dunkle Mal auf ihrer unberührten Haut vor der Außenwelt versteckt gehalten hatte.
Obwohl sie kein Wort von sich gab, wusste ich wie schwer es ihr fiel mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden. So sehr Ally sich auch bemühte, dass man es ihr nicht ansehen konnte — ich sah es.

Auch wenn der Abend anders verlaufen war, als ich es mir erhofft hatte, so wollte ich dennoch mein Versprechen einhalten. Womöglich lag es daran, dass ich Allys Gesellschaft in solchen Moment mehr als alles andere brauchte.
Mit der einen Hand zog ich meinen Zauberstab, während sich die andere um Allys ausgestrecktes Handgelenk schloss. Sie zuckte unter meiner Berührung zusammen.

Ich räusperte mich.
Mit der Spitze des schwarz geschliffenen Holzes zeigte ich mitten auf das Brandmal. Neugierig nahm ich mir ein paar Sekunden, um es näher zu betrachten. Seit der Nacht, in der es ein Teil von Ally wurde, hatte ich es nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie hütete es, als würde ihr Leben davon abhängen. Seit sie dazu verdammt wurde, es Tag für Tag mit sich zu tragen, hatte sie nicht nur ihre Leichtigkeit verloren, sondern auch ihre Zuversicht.
Die dunklen Zeiten haben uns schneller erreicht, als ein jener von uns zu glauben gewagt hat.

Mir lief ein Schauder über den Rücken, angesichts des gehässig grinsenden Totenkopfes. Sein treuer Begleiter, eine Schlange, die sich ebenfalls in Allys Haut gefressen hatte, schien nicht minder diabolisch.
„Tut es weh?", flüsterte ich.
Sie schüttelte ihren zur Seite gewandten Kopf. „Aber manchmal kribbelt es unangenehm."
Um sie nicht länger warten zu lassen, holte ich noch einmal tief Luft, bevor ich meine Augen schloss.

Konzentriert versuchte ich, mir die Wirkung meines Zaubers bildlich vorzustellen, um etwaige Fehler zu vermeiden. Ich sah ihre blasse Haut, die meiner Konkurrenz machen konnte, ohne die finstere Magie in Form von schwarzer Tinte.
In Gedanken versuchte ich ihre Narben, mit denen die Dunkelheit sie gezeichnet hatte, mit Licht zu füllen.
„Evaneso."

Ein schwacher Ruck, der meinen Zauberstab durchfuhr, ließ mich wissen, dass dieser sein Werk getan hatte.
Als ich die Augen öffnete, wurden sie unmittelbar von Allys Unterarm angezogen. Gebannt starrte ich auf die Stelle, an der das dunkle Mal vor wenigen Herzschlägen gethront hatte.
Denn — es war tatsächlich verschwunden. Ich spürte, wie sich ein zufriedenes Lächeln auf meine Lippen legte.
Es hat funktioniert.

„Ally, es ist weg."
Sie hatte die ganze Zeit nicht hingesehen. Doch jetzt musterte sie ihr eigenes Körperteil, als könnte sie nicht glauben, was sie dort vor sich sah.
Langsam bewegte sie den Arm zu ihrem Gesicht, während sie sich vorsichtig mit den Fingern über die verzauberte Haut strich. Mit einem Mal erreichte ein Strahlen ihre erschöpften Züge.
„Danke."

Nachdenklich ruhte ihr Blick auf meinem Werk.
„Gibt... gibt es auch eine Möglichkeit, diesen Zauber rückgängig zu machen?", ergriff sie sich schließlich das Wort.
Fragend legte ich den Kopf schief. Wieso sollte sie das wissen wollen? Warum würde sie danach streben, den Spruch aufzuheben?
„Probier's mit Revelio", antwortete ich, bevor ich meine Meinung ändern und meiner Verwirrung Luft machen konnte.
Sie wird schon einen guten Grund haben — und wenn es nur zur Abwehr solcher Enthüllungszauber ist.

Ehe ich mich versah, hatte sie mich in eine erleichterte Umarmung gezogen. Wider meiner Erwartungen konnte ich diese Nähe genießen.
Ich sog ihren Duft ein, der mich an eine Mischung aus frisch gebackenen Muffins und geriebenem Apfel erinnerte, mit einer moosigen Note.
Wahrscheinlich war sie schon wieder mit diesem goldsüchtigen Tierwesen in einem Laubhaufen gesessen und hat die Ameisen gezählt, ging es mir belustigt durch den Kopf.
Der Moment mit Ally erfüllte mich mit einer inneren Wärme, an die ich schon lange nicht mehr geglaubt hatte. Ich dachte, ich hätte sie verloren.

Es war nur noch das beruhigende Knistern des Feuers irgendwo im Hintergrund zu hören und Allys Atem, der sich mit meinem vermischte und warm auf meiner freien Haut niederlegte.
Schließlich ließ sie mich wieder los und sah mir tief in die Augen. Sie zeigte mir einen Wald. Ich konnte in ihren Iriden die dichten Blätterdächer der Bäume direkt vor mir sehen.
Wie unterschiedlich Grüntöne doch sein konnten.
Irgendwo zwischen der von Tannennadeln besäten Erde und moosbewachsenen Baumstümpfen meinte ich einen Funken Trauer erkennen zu können.
Aber wieso? Sie hat doch gerade allen Grund zur Freude, oder etwa nicht?

„Geht's dir gut?", fragte ich sie leise. Zurückhaltend zuckte sie mit den Schultern.
„Was fehlt dir?"
Sie seufzte. „Ich vermisse einfach nur unseren Abend auf dem Astronomieturm, als der Brief meiner Mum noch mein einziges Problem war."
Mein Herz wurde schwer. Ich erinnerte mich. Es war schön, befreiend gewesen, Lily für kurze Zeit aus meinem Kopf verbannt zu haben. Das war mir seither kaum mehr gelungen.
Einfach frei sein. Nur für einen Augenblick.
Da gab es nur Ally und mich. Genau wie früher, als das Leben noch leicht und sonnig war.
Irgendwie tat es mir weh, weil ich in diese Zeit zurück wollte, aber gleichzeitig verzehrte es mich mindestens genauso sehr nach Lily.
„Ich auch." Meine Stimme war nicht mehr als ein Windhauch; wissend, dass ich die gemeinsame Zeit mit Ally aus einem anderen Grund vermisste.

„Wir sollten das wiederholen", wisperte ich. Aufrichtige Freude setzte sich in Allys Miene fest. Sie stand immer noch nahe genug bei mir, dass ich das aufgeregte Heben und Senken ihres Brustkorbes an meinem spüren konnte.
Vielleicht hilft es mir mich abzulenken.
„In der Nacht des nächsten Hogsmeade Besuches?", schlug ich vor.
Bis dahin würde noch eine geraume Zeit vergehen müssen. Doch da sich das Schuljahr allmählich dem sicheren Ende zuneigte und die Prüfungen leider pünktlicher vor der Tür standen, als mir lieb war, würde ich in der Zeit bis dahin keineswegs in Langeweile ertrinken.

Ally zögerte nicht eine Sekunde lang.
Ihr heißer Atem streichelte meinen Hals, ehe ich ihr leises Raunen vernahm.

„Ich werde da sein."

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Sectumsempra | S. SnapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt