Prolog

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Es war voll in der Kneipe von Großmühle. In dem Raum, in dem sich sonst nur die Bürger des kleinen, luxemburgischen Dorfes trafen, tummelten sich seit einigen Tagen auch die Mitarbeiter des neuen Instituts, das die leere Schule bezogen hatte. Der Wirt machte seitdem noch mehr Umsatz als zu Zeiten des Internats aber der Rest der Dorfbevölkerung betrachtete die neuen Kunden der Kneipe eher kritisch.

»Sind schon komische Leute«, meinte der Bürgermeister am Stammtisch stirnrunzelnd und richtete seine Brille.
»In der Tat«, stimmte die Kassiererin aus dem Supermarkt zu.
»Sie bringen Leben ins Geschäft«, wandte der Wäscher ein.
»In dein Geschäft«, verbesserte Bauer Thill.
»Am Ende bringen sie der ganzen Gemeinde Geld. Vor allem, wenn die ersten Patienten kommen«, gab der Bürgermeister dem Wäscher recht.

»Und wenn nie Patienten kommen? Das ist ganz schön abgefahren, was die vorhaben«, gab die Frau von Bauer Schmit zu bedenken.
»Deren Problem, denke ich«, überlegte Bauer Thill.
»Elli hat schon recht. Wenn die pleite gehen, ist uns damit auch nicht geholfen«, entgegnete der Bürgermeister.
»Und was sollen wir machen? Sollen wir uns etwa für deren Programm melden?«, fragte die Friseurin schrill.

»Nicht so laut!«, zischte der Wäscher. »Die müssen doch nicht gleich wissen, dass wir das nicht befürworten. Am Ende kommen die gar nicht mehr her.«
»Die Lautstärke ist doch egal, die verstehen eh kein Wort von dem, was wir sagen«, meinte die Kassiererin kopfschüttelnd.
»Also: was tun wir? Sollen wir was tun? Tun wir nichts?«, fragte die Friseurin erneut.
»Erstmal tun wir nichts. Jeder geht seiner Beschäftigung nach«, wies der Bürgermeister an. »Und am Sonntag beten wir alle, dass das Institut noch ein bisschen Geld in der Gemeinde lässt.«

Auf diesen Beschluss folgte der nächste Punkt auf der Tagesordnung des Stammtischs.

Als der Wäscher und die Friseurin abends Arm in Arm nach Hause torkelten, fragte sie plötzlich: »Das Institut bringt dir viele Aufträge, oder?«
»Wahrscheinlich«, antwortete er.
»Dann willst du bestimmt, dass sie bleiben.«
»Nicht um jeden Preis«, entgegnete er und präzisierte: »Wenn die am Ende Pakistanis aus der Türkei dafür herholen, dann sollen sie lieber pleite gehen.«

»Die Pakistanis haben auch Rechte. Das kriegen die hier in der EU nie durch«, überlegte die Friseurin laut.
»Ja, kann sein. Aber jetzt sag doch: Wann nimmst du mich endlich mit zu dir?«
»Nicht heute«, kicherte sie und wurde dann ernst. »Aber bald«, hauchte sie, drehte sich aus seinem Arm und schloss mit ungelenken Bewegungen ihre Ladentür auf. »Gute Nacht!«

WER BIST DU? - Auf der Suche nach sich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt