Zwischenspiel

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Die Eisentore schließen sich quietschend und kreischend hinter dem Wäschereitransporter, der auf den Hof des Instituts rollt. Der Wäscher und seine Tochter steigen aus, als gerade eine Gruppe von Kindern über den Hof gebracht wird. Unter ihnen sind auch Amélie und Lena, die das Mädchen im Auto neugierig betrachten.

Doch der Moment dauert nur kurz, bevor sich die Wege der beiden Parteien trennen. Der Wäscher und seine Tochter betreten ein altes Nebengebäude zwischen der Institutsküche und der Werkstatt und die Gruppe Kinder wird von einer großen, blonden Frau in weißem Kittel durch einen Seiteneingang in einen anderen Teil des Instituts geführt.


»Ich hoffe, du bist nicht immer noch stolz auf deine ach so tolle Professorin! Denn wenn dem so wäre, müssten wir eine ernsthafte Debatte über Menschenrechte führen!«

»Nein, du hast ja recht. Ihr Vorgehen war unter aller Sau. Hinterhältig, falsch, widerwärtig, böse ...«

»Nicht zu vergessen gesetzwidrig. Sie gehört eingesperrt!«

»Mag sein. Aber sie ist die größte Hoffnung auf schnelle Besserung der Situation der Transsexuellen. Auf der ganzen Welt! Es ist zwar absolut nicht rechtens, Kinder ihrer Zukunft zu berauben, aber auf der anderen Seite tun diese Kinder der Gesellschaft einen viel viel größeren Dienst als du es in tausend Leben gekonnt hättest.«

»Du bist also immer noch der Meinung, dass solche abartigen Menschen in ihren verqueren Ansichten bestärkt werden sollten?«

»Ich bin der Meinung, das transsexuelle Menschen frei entscheiden können müssen, in welchem Körper sie leben wollen und wenn das der Fruchtbarkeit theoretisch nicht im Wege steht, dann ist das ein erstrebenswertes Ziel!«

»Unbelehrbar... Merkst du nicht, welchem Wahnsinn du da schon wieder anheim gefallen bist? Wechseln der Geschlechter - so eine abscheuliche Widerwärtigkeit! Der Körper ist ein Heiligtum! Den Körper anzugreifen, ihn zu verletzen, ihn zu verändern ist ein Verbrechen gegen die Natur! Ein Verbrechen gegen Gott!«

»Du hörst dir selbst auch nicht zu, oder? Was nützt mir ein Körper in dem ich nicht leben kann? Ein Mensch, der Krebs hat, lässt sich auch operieren! Ein Mensch, dessen Blinddarm entzündet ist, lässt ihn sich entfernen! Sich die Geschlechtsorgane so verändern zu lassen, dass man sich in seinem eigenen Körper wohlfühlen und in ihm zufrieden leben kann, ist nur der nächste, sinnvolle Schritt!«

»Es ist Wahnsinn! Nichts kann einen solchen Eingriff rechtfertigen! Nichts! Und vor allem ist die Erforschung dieser beispiellosen Ungeheuerlichkeit eine untragbare Versuchung für all jene, die wie du der Meinung sind, solch ein Verhalten wäre vertretbar. Denn sag mir: Wo soll das alles noch hinführen? Wird irgendwann die tägliche Operation beim Frühstück mit zum Tagesablauf gehören? Gestern Frau, heute Mann, und morgen wieder Frau? Und was ist mit den Kosten für solche Operationen? Soll das über die Krankenkasse abgerechnet werden dürfen?«

»Es ist jedes Mal das gleiche mit dir! Jedes VERDAMMTE Mal! Erinnerst du dich an die Bürgergeld-Debatte? Als Hartz-IV abgeschafft werden sollte? Du hast hier rumschwadroniert, was für ein Schaden der Bevölkerung dadurch entstehen würde, wenn die Menschen nicht mehr arbeiten, weil sie ja sowieso Bürgergeld bekommen. Und das gleiche Argument kommt jetzt wieder: Was passiert, wenn die Masse der Bevölkerung das erschaffene System konsequent ausnutzt und überreizt?«

»Ist eine berechtigte Frage oder nicht?«

»Es ist in erster Linie der Beweis, dass du ein verdammtes Arschloch bist, das sich einen Dreck um andere schert und keinen Respekt vor dem Leben hat. Es ist der Beweis, dass du zu denjenigen Autofahrern gehören würdest, die einen Radfahrer, der in der 30er Zone auf der Straße fährt, ohne zu Zögern über den Haufen brettern.«

WER BIST DU? - Auf der Suche nach sich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt