V

4 1 0
                                    

Jonas verstand die hektischen Worte, die Lenas Mund verließen offenbar nicht.
»Was sollen wir mit einem Holzpferd, Lena? Ein Holzpferd werden die auch nicht hier rauslassen. Vor allem nicht, wenn wir da drin sind.«
»Das Holzpferd ist nur ein Platzhalter, Jonas«, erklärte Lena ungeduldig. »Natürlich bauen wir kein Holzpferd, aber wir müssen uns nur richtig in unserem Holzpferd verstecken.«
»Und was ist unser Holzpferd?«
»Lisas Vater. Beziehungsweise sein Auto.«
»Aber das hatten wir schon, Lena. Die durchsuchen den ganzen Transporter. Immer!«
»Wirklich?«
»Ja. Immer.«
»Nein. Ich meinte wirklich den ganzen? Durchsuchen sie jede Kiste mit Wäsche?«
»Hä?«
»Na, wir könnten uns ja in einer der Kisten verstecken. Gut eingepackt in die Wäsche, sodass wir nicht zu sehen sind. Deckel drauf und die Wachleute finden uns nicht. Wir fahren einfach hier raus und Lisa holt uns im Dorf wieder aus den Kisten raus.«

Jonas war stehengeblieben. »Das ist genial, Lena! Das könnte klappen! Aber wie sollen wir reinkommen in die Kisten? Uns darf niemand sehen.«
»Wir müssen nur den Wäschemann ablenken. Du weißt schon, der Kittelmann. Der muss den Wäscheschuppen für ein paar Minuten verlassen, in der Zeit klettern wir in die Kisten und Lisa und ihr Vater heben uns auf den Transporter. Wenn er dann wiederkommt, können die ja sagen, wir seien irgendwohin gegangen.«
»Und wie bekommen wir ihn weg?«
»Das müssen wir noch herausfinden.«

Abends, nachdem die Kittelmenschen die Türen abgeschlossen hatten, standen Lena und Jonas vorsichtig aus ihren Betten auf und horchten an der Tür. Sobald die Treppenhaustür ins Schloss gefallen war und sich daraufhin keine Schritte mehr auf dem Gang rührten, schloss Jonas so leise wie möglich die Tür auf.

Sie schlichen über den dunklen Flur und lauschten angestrengt. Aus ihren nächtlichen Gängen, um Schriftzüge im Institut zu verteilen wussten die beiden, wo auf diesem Stockwerk die Bewegungsmelder waren, die das Licht auslösten und wie man sie umging.
Bis zum Treppenhaus hatten sie keine Probleme und so lauschten sie auch hier kurz an der Tür. Wer die Türen abgeschlossen hatte, ging wohl nach oben. Nach einigen Sekunden, während derer sie die Schritte auf der Treppe verfolgten, schloss sich eine weitere Tür und es war still im Treppenhaus.

»Also. Wir fangen unten an. So vorsichtig wie möglich und den Aufzug nur im Notfall. Alles klar?«, fasste Jonas den Plan zusammen.
»Alles klar«, flüsterte Lena aufgeregt und packte den Pinsel fester.
Dann schloss Jonas die Tür auf und sie huschten nach unten. Vier Stockwerke weit kamen sie. Dann endete die Treppe. Sie waren im Keller angekommen. Leise schloss Jonas die Tür auf und sie betraten den Gang.

Sofort blitzte ihnen das helle Licht der Deckenbeleuchtung entgegen. Lena gefror zur Salzsäule. Sie hörte schon die Schreie der Kittelmenschen und befürchtete, gleich gepackt und in ihr Zimmer geschleppt zu werden, doch nichts geschah.
»Alles gut, Lena«, flüsterte Jonas. »Hier ist niemand.«
Langsam setzte sich auch Lena wieder in Bewegung, auch wenn sie den Schock noch nicht ganz verarbeitet hatte. Das ging ja gut los.

Sie schauten sich jeden Raum im Keller an und fanden heraus, dass es hier acht Operationsräume gab. Die anderen Kellerräume sahen relativ unbenutzt aus. Nach einiger Zeit fiel Lena dann wieder ein, dass sie in diesen Räumen gesessen hatte, bevor sie von einem Kittelmann die roten Klamotten bekommen hatte. Ganz am Anfang, am ersten Abend. Bevor sie Jonas kennengelernt hatte. Und als sie noch geglaubt hatte, Mia und Lukas würden sie hier herausholen.

Als sie gehen wollten, um das nächste Stockwerk durchzusehen, entschied Lena, dass die Tür hinter der sie damals warten musste der richtige Ort für ihr rotes Auto war. Hastig hingepinselt sah das Auto aus, als würde es gerade auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigen, als Lena und Jonas das Stockwerk verließen und Jonas die Tür zum Treppenhaus wieder abschloss.

Auf dem Weg in das nächste Stockwerk platzierte Lena drei ›NIE‹ Schriftzüge an der Wand. Auf diesem Stockwerk waren die Räume in denen die Geduldsspiele gemacht werden mussten. Auch hier fanden Lena und Jonas nicht mehr als sie bereits wussten, doch Lena fand ein paar neue Orte für ihre Verzierungen.

Im ersten Stock lagen die Klassenzimmer in denen die anderen immer noch den Unterricht von den Kittelmenschen bekamen. Durch eine Glastür am Ende des Ganges kamen Lena und Jonas aber in den Trakt mit den Biologielaboren. Auch hier hinterließ Lena ausgiebig ihr Kennzeichen, bevor sie den Trakt wieder verließen und Jonas gewissenhaft abschloss.

Bis hierher war alles fast erschreckend glatt gelaufen. Der leise Zweifel, langsam müsse mal etwas unvorhergesehenes passieren, begann in Lenas Verstand anzuklopfen und weckte eine gewisse Nervosität. Und auf dem nächsten Stockwerk wartete dann auch tatsächlich die erste Gefahr auf Lena und Jonas.

Hier im zweiten Stockwerk waren Zimmer der Probanden. Dieser Abschnitt des Stockwerks war baugleich mit dem darüberliegenden, auf dem das Zimmer von Lena und Jonas lag. Über den Biologielaboren lagen aber die Chemielabore. Gerade als Jonas und Lena sich davon überzeugen wollten, erklang die Glocke des Aufzugs.

Hastig schloss Jonas die Tür auf und schlug sie hinter sich und Lena zu. Dann versteckten sie sich an den Seiten der Glastür, wo Milchglas die klare Sicht störte. Vorsichtig um die Ecke lugend beobachteten die beiden, wie die Frau, die die Wäsche abholte aus dem Fahrstuhl kam und sich verwundert umsah. Jonas und Lena hatten die Bewegungsmelder aktiviert. Jetzt brannte das Licht im Gang schon, obwohl es eigentlich noch aus sein müsste.

Die Frau mit dem Wäschewagen sah sich einmal auf dem Gang um und runzelte die Stirn, doch dann widmete sie sich ihrer Aufgabe und ging zum hintersten Zimmer auf dem Gang.
»Wir müssen ins Zimmer«, flüsterte Lena panisch. »Wenn die rauskriegt, dass wir nicht im Bett sind, dann kriegen wir mächtig Ärger.«

Jonas nickte. »Aber wir können nicht zurück. Die kommt gleich wieder aus dem Zimmer raus. Und die Tür zum Treppenhaus liegt zwischen ihr und uns. Wenn wir hinrennen wird sie uns sehen.«
»Wir nehmen die andere Treppe«, beschloss Lena kurzerhand und zerrte Jonas mit sich.
Im hinteren Treppenhaus angekommen hielt Jonas Lena am Ärmel fest.
»Weißt du, was hier drüber ist?«, fragte er.
»Die Krafträume, vermute ich«, antwortete Lena.
»Echt?«, fragte Jonas erstaunt.
»Ja und jetzt komm!«, zischte Lena und zog ihn mit sich.

Lena hatte tatsächlich recht und durch die Krafträume kamen sie auf den Gang zum Speisesaal auf dem ihr Zimmer lag. In ihrer Eile lösten Jonas und Lena auch hier die Bewegungsmelder aus, als sie in ihr Zimmer huschten. Hastig schloss Jonas die Tür ab und sie drehten sich gleichzeitig um. Sie hatten es geschafft. Immerhin das halbe Haus hatten sie erkundet und festgestellt, wo die Unterlagen nicht aufbewahrt wurden.

Hastig zogen sie sich um und legten sich in die Betten, wo sie sich schlafend stellten und auf die Wäschefrau warteten. Die aber ließ lange auf sich warten. Und als sie dann kam, waren Lena und Jonas beide schon eingeschlafen.

WER BIST DU? - Auf der Suche nach sich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt