Noah drückte die Klinke nach unten. Die Tür öffnete sich nach außen und ein Schwall Wasser schwappte nach draußen, noch bevor jemand von uns seinen Fuß über die hohe Schwelle setzen konnte. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte, bis sie mit einem Schwall, ähnlich wie das Wasser, nach draußen strömte, als die Tür sich tatsächlich öffnete.
Vor lauter Erleichterung fingen meine Beine an zu zittern. Es gab zwar Richtlinien, nach denen Notausgänge nie verschlossen oder verstellt sein durften, aber dass dieser Möchtegern-Kapitän sich wenig um Vorschriften scherte, hatte ich ja schon im Spätshop gemerkt. Ein Teil von mir hatte die Hoffnung aufgegeben, hier lebend raus zu kommen.
Wir betraten einen dunklen holzgetäfelten Gang. Obwohl ich nie Platzangst hatte, wirkte dieser düstere, enge Korridor beklemmend. Die schiefen Wände schienen auf uns zuzukommen, als wollten sie uns in ihrer Mitte erdrücken.
Gegenüber der Tür war eine schmale Leiter an der Wand befestigt. Die dunkle Luke an deren Ende führte gewiss auf ein anderes Deck. Von hier unten sah das pechschwarze Loch allerdings nicht sehr einladend aus. Neben der Leiter stand ein Holzfaß, auf dem eine weiße Stumpenkerze brannte. Sie war schon zur Hälfte heruntergebrannt und das helle Wachs hatte sich auf dem Deckel des Fasses fächerartig ausgebreitet und dicke Krusten gebildet. Ihr flackerndes Licht erhellte die schmalen Sprossen der steilen Leiter notdürftig. Die dunkle Luke erreichte es nicht. Linker- und rechterhand verlor sich der Gang in vollkommener Dunkelheit.
Wir zögerten noch, als sich aus den Schatten rechts von uns eine Gestalt löste. Lisa, die am weitesten rechts gestanden hatte, schrie vor Schreck auf und versteckte sich schnell hinter Eric.
Die Gestalt trat in den Lichtkegel der Kerze und mir stockte fast der Atem. Ein hochgewachsener, junger Mann stand vor uns. In seinem Erscheinungsbild nicht minder beeindruckend als der Kapitän.
Er trug eine elegant geschnittene schwarze Samtjacke mit silbernen Zier-Stickereien auf der Brust, an den Manschetten und auf den Schultern. Feine florale Elemente rankten sich über den schwarzen Samt und glitzerten wie kleine Perlen im Licht der Kerze.
Sein ausdrucksstarkes, längliches Gesicht trug asiatische Züge. Seine Haut war hell, die Nase pfeilgerade, die Augenbrauen dicht und dunkel. Seine glatten schwarzen Haare waren nach hinten gekämmt, was seine hohe makellose Stirn betonte. In seinem Nacken umspielten silbergraue Strähnen seinen hohen Kragen und harmonierten farblich perfekt mit den Stickereien auf seiner Jacke.
„Nach oben", sagte er knapp. Er wirkte ruhig und seine Stimme passte zur Dunkelheit, die ihn umgab.
Er näherte sich nicht. Wies aber mit einer geschmeidigen Armbewegung, die die florale Stickerei an seinem Handgelenk im Kerzenschein funkeln ließ, zur Leiter.
„Der Kapitän erwartet euch bereits."
Bevor irgendjemand etwas tun konnte, ging Noah auf ihn los. „Wir wollen runter von diesem Schiff verdammt!", brüllte er und stürmte auf den jungen Mann zu. Geschockt sah ich das Ganze wie einen Film vor meinen Augen. Der junge Mann blieb vollkommen gelassen. Er zuckte mit keiner Wimper und als Noah sich auf ihn stürzen wollte, blitzte etwas Silbernes in der Dunkelheit auf.
Ich biss mir auf die Zunge, als ich erkannte, dass der junge Mann einen Degen an Noahs Hals hielt. „Nach oben", wiederholte er ungerührt. Der Degen lag direkt an Noahs Kehle. „Es sei denn, du willst ohne deinen Kopf von Bord gehen", präzisierte er seelenruhig, als hätte er derartige Situationen schon hundertfach erlebt.
Ich begann zu zittern, denn ich hatte keinen Zweifel daran, dass dieser Typ meinte, was er sagte und auch bereit wäre, es binnen Sekunden umzusetzen.
Noah anscheinend auch nicht, denn er zog sich zurück.
„Na dann wollen wir mal." Eric räusperte sich verlegen und griff entschlossen nach der Leiter. Er stieg als Erstes nach oben, gefolgt von Lisa, Hannah, Bea, Christian und mir. Noah bildete den Abschluss.
Als wir oben ankamen, stellte ich erstaunt fest, dass der Degentyp schon oben war. Wie hatte er das gemacht? Gab es irgendwo eine zweite Leiter?
Er zeigte auf eine schmale, hölzerne Stiege, die ebenfalls nach oben führte „Weiter hoch", wies er uns an.
Noah und Eric warfen sich einen Blick zu. Ich konnte mir vorstellen, was sie dachten, wir waren zu siebt und der Typ war alleine. Trotzdem schrillten alle Alarmglocken in meinem Inneren, wenn ich den Degentyp nur ansah. Ich hoffte inständig, dass die Jungs nichts Törichtes versuchen würden.
Der Degentyp lehnte lässig an der getäfelten Holzwand. Er zeigte mit dem Kopf auf die schmale Stiege. „Der Kapitän wartet nicht gern", ließ er uns wissen.
Eric zögerte, zuckte dann aber mit den Schultern. „Nach oben geht's Freunde", murmelte er ergeben und griff nach dem Handlauf der Stiege.
Wir anderen folgten ihm wortlos. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, da die Stufen verdammt schmal waren. Als das Schiff heftiger schwankte, umklammerte ich den Handlauf fester, um nicht abzurutschen.
So erreichten wir einen weiteren holzgetäfelten Gang, der aber breiter und heller als der Erste war.
Der Degentyp erwartete uns und diesmal war ich nicht überrascht, dass er vor uns oben war. Er wies mit einer knappen Bewegung auf eine zweiflügelige Tür aus hell schimmernden Nussbaumholz. Filigrane Muschel- und Rankenmotive zogen sich in geschwungenen Linien über die Türblätter nach oben und vereinten sich mittig in einem beeindruckendem Ornament.
Diese Tür hätte genauso gut in ein Barockschloss gepasst, auf einem Schiff hätte ich sie nicht vermutet. Mein Hals wurde trocken. Hinter dieser Tür lag zweifelsfrei die Kapitänsmesse.
Arrgh, ich weiß, ich hatte versprochen, dass Hongjoong auftaucht, am Ende ist es San geworden, weil ich noch ein Kapitel eingebaut habe.
Ich hoffe ihr nehmt es mir nicht übel, San macht doch auch was her, oder ? ;)
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Der Ruf des Meeres (Ateez, Hongjoong)
Fanfiction"Willkommen auf meinem Schiff!" Die Worte, gesprochen von einer melodischen aber eiskalten Stimme, durchdrangen die Dunkelheit um mich herum und vermittelten mir das Gefühl, einsam in den tiefen Weiten des dunklen Ozeans zu treiben, mühelos, von d...