Nass und zitternd standen wir dicht beisammen gedrängt im Schiffsgang. Vor uns die imposante Tür zur Kapitänsmesse. Die vergoldete Klinke strahlte uns entgegen, doch keiner von uns griff nach ihr. Um uns her bildeten sich bereits Pfützen von dem Wasser, das noch immer von unserer Kleidung tropfte und aus unseren Schuhen lief.
Ich sah in die von Erschöpfung gezeichneten Gesichter meiner Freunde. Hannah war blass und ihre sonst so heiteren Sommersprossen erinnerten an Masern oder andere ansteckende Krankheiten. Lisa's Zopf hatte sich vollends aufgelöst und sie hatte sich die Mühe gespart, ihn neu zu richten. Stattdessen hatte sie ihr Haar zu einem schlichten Pferdeschwanz zusammengerafft .
Bea klapperte mit den Zähnen und zupfte an ihrem zu knappen T-Shirt, in dem hilflosen Versuch, es in den Bund ihrer Jeans zu stecken. Ihre äußeren Reize waren ihr im Moment zweitrangig.
Christian hatte seine Kapuze, in die er sich gern zurückzog, längst abgelegt. Seine Locken sprangen in alle Richtungen, ohne, dass es ihn zu stören schien. Eric und Noah, die sonst in allem so selbstsicher wirkten, zogen eine Miene, als hätten sie mit ihrem Fußballverein, dem PSV Röbel, die gesamte letzte Saison nur verloren. Sie waren nur noch Schatten ihrer selbst.
Und ich?
Ich warf einen vorsichtigen Blick in den goldgefassten, außergewöhnlich reich verzierten Spiegel, der gegenüber der imposanten Tür angebracht war. Oben mittig thronte eine große goldene Muschel. Sie sah wunderschön aus, doch dieser übertriebene Pomp an allen Ecken und Kanten schüchterte mich ein.
Ich sah im Spiegel ein blasses Mädchen, dessen widerspenstige Haare vom Salzwasser total verstrubbelt waren. Meine Wangen, auf denen sonst ein rosiger Hauch lag, wirkten eingefallen und grau und unter meinen Augen lagen dunkle Schatten, die nicht von verschmiertem Eyeliner oder Mascara kamen, sondern vom Schrecken des zuvor Erlebten zeugten.
Meine Klamotten klebten nass an mir und meine zierliche Gestalt wirkte regelrecht klapprig. Es hatte den Anschein, als könnten meine Beine jeden Moment unter mir zusammen brechen. Schnell wandte ich den Blick ab.
Ich war körperlich erschöpft. Keine Frage. Dazu brauchte ich keinen Spiegel, um das zu bemerken. Aber geistig, nervlich kribbelte es in mir vor Spannung. Es war ein Kribbeln, das aus meinem Bauch kam, meine Nervenbahnen entlanglief und mich innerlich unter Spannung setzte.
Es kribbelte an den Fußsohlen und auf der Kopfhaut, es kribbelte im Hals und in den Ohren. Es kribbelte vor Spannung und vor Abenteuerlust.
Mein Hirn verstand nichts, mein Bauch schien wesentlich schlauer zu sein. Er brauchte keine logischen Erklärungen. Er merkte, dass hier definitiv etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Und er kümmerte sich wenig darum, dass die Legende des verfluchten Piratenkönigs eine Geschichte war.
Es war die Lieblingsgeschichte meines Opas. Traurigkeit und Heimweh erfassten mich, als ich jetzt an ihn dachte. Mein Opa erzählte seine Geschichten immer lebhaft. Seine Stimme begleitete jede Wendung in einer angemessenen, von ihm eigens für das Geschichtenerzählen vorbehaltenen Tonlage. Er setzte kleine punktierte Pausen an genau den richtigen Stellen, um die Spannung zu steigern und seine blauen Augen funkelten dazu munter. Ich liebte es, wenn er so gewandt und lebhaft erzählte.
Aber das hier war mir zu lebhaft.
Ein Piratenkapitän, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und uns, aus welchen Gründen auch immer, auf sein Schiff entführt hatte und dort festhielt.
Ich fühlte mich verloren und ich bekam den Eindruck, dass wir hier nur verlieren konnten.
Verloren. Das passte.
Wir standen alle hier auf diesem mysteriösem Schiff, in diesem einsamen Gang, vor dieser imposanten Tür und waren vorallem dies: verloren.
„Wollt ihr hier Wurzeln schlagen?" Der Degentyp zog eine seiner dichten, akkuraten Augenbrauen nach oben und taxierte uns.
Offensichtlich hatte ihn unser erneutes Zögern verärgert. Der Blick, den er uns unter seinen dunklen Wimpern zuwarf, schüchterte mich mehr ein, als die Aktion mit dem Degen vorhin.
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Der Ruf des Meeres (Ateez, Hongjoong)
Fanfic"Willkommen auf meinem Schiff!" Die Worte, gesprochen von einer melodischen aber eiskalten Stimme, durchdrangen die Dunkelheit um mich herum und vermittelten mir das Gefühl, einsam in den tiefen Weiten des dunklen Ozeans zu treiben, mühelos, von d...