21. Oktober 2022: Zwei Vögel fliegen aus

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„Lisa muss zurück zu den anderen!"

In ihrem Zustand wäre sie mir bei der Suche keine Hilfe und sie brauchte jetzt Jemanden, der auf sie aufpasste. Nur schien mir der Pirat dafür auf keinen Fall der Richtige zu sein.

Meine Freundin sah  das wohl ähnlich, denn sie klammerte sich am Stoff meines T-Shirts fest wie ein Babyäffchen am Fell seiner Mama.

Seonghwa lehnte lässig an dem vollgeramschten Tisch und ließ das Steinschloss der Pistole schnappen. „Und was ist mit dir?"

Ich will diese vermaledeite Uhr finden! Doch stattdessen antwortete ich bedächtig: „Ich würde mich gern etwas umsehen." Mein Gefühl sagte mir, dass es besser wäre, dem ersten Maat gegenüber möglichst nah an der Wahrheit zu bleiben.

Er musterte mich, ohne das Interesse in seinem Blick zu verbergen, und schob die Pistole zurück an ihren Platz unter seiner Weste. „Nun, ich schlage vor, dass du das mit Hongjoong ausdiskutierst. Er ist in der Messe. Ich bringe euch hin."

„Bitte keine Umstände", versicherte ich höflich, wenngleich eine Spur zu hastig. „Wir finden den Weg allein. Eine Tür weiter den Gang hinter, richtig?"

„Aye." Der Pirat kräuselte verächtlich die Lippen und ich sah, wie er sich das Lachen verkniff. Ich rechnete fest mit Widerstand, doch zu meiner Überraschung stieß er sich vom Tisch ab und zeigte in einer Geste mit dem Unterarm Richtung Tür. „Bitte, die Damen!"

Lisa torkelte neben mir her, während ich sie unter Seonghwa's amüsiertem Blick am Arm aus der Kombüse führte.

Ich nahm an, dass der Pirat uns hinterherkäme, doch als ich über die Schulter zurücksah, wandte er sich ab und griff nach einem Degen auf dem Tisch.


In dem von Wandkerzen nur spärlich beleuchteten Schiffsgang war es entsetzlich kalt. Das Licht flackerte genauso hilflos in der kälteklirrenden Finsternis, wie ich mich im Innersten fühlte. Die Zeit verstrich und noch immer tappten wir völligst im Dunkeln.

Die Atemluft stieg in kleinen Wolken vor unseren Mündern auf und es hätte mich nicht überrascht, wenn sie dort direkt gefroren wäre. Meine Zähne klapperten lauter aufeinander, als die Schiffsdielen unter uns knarzten.

Na toll! So viel zu leise und unauffällig.

„Wenn du so weitermachst, holst du dir den Tod noch vor Sonnenaufgang!" Die plötzliche Ansprache von hinten ließ mich zusammenfahren und ich wirbelte herum.

Da stand Hongjoong. Sollte er nicht in der Messe sein? Der Piratenkapitän war stets für eine Überraschung gut und wie immer war er ein Schock für die Sinne.

Seine Haarfarbe war im Schummerlicht der Kerzen nicht auszumachen; es hätte zwischen Dunkelviolett bis Schwarz alles sein können. Doch einzelne Strähnen standen ihm über seiner glatten Stirn so umwerfend sexy zu Berge, dass ich am liebsten mit meinen Händen hindurchgefahren wäre.

Er trug ein elegantes Anthrazitgrau – von Kopf bis Fuß - und die Waffen und der Schmuck, die seine Uniform zierten, hoben sich silbern glänzend davon empor.

„Deine Freundin ist für mein Schiff angemessener gekleidet als du." Er schnalzte bei dieser Festellung mit der Zunge, während er uns einer weiteren Musterung unterzog.

„Ohne meinen Pulli sieht sie aus wie eine Sch...!" Dass er mit seinem Blick halb dabei war uns auszuziehen, machte mich wütend und unsicher zu gleich. Das Wort Schlampe blieb mir jedoch im Hals stecken, denn es passte nicht im Geringsten zu Lisa, die sich sonst eher zurückhaltend verspielt kleidete. 

Hongjoong zog grinsend eine Augenbraue nach oben. „Ach, du meinst, wie eine Dockschwalbe." Sein kurzes Kichern ging direkt in seine nächste Frage über und der Kapitän wurde sofort wieder ernst.
„Aber es ging ihr schonmal besser, oder?"

Ich nickte. „Deswegen will ich sie in die Messe zu den Anderen bringen."

„Soso." Unter seinem Blick schrumpfte ich locker um zehn Zentimeter. „Und warum tust du das dann nicht?"

Ich zögerte. „Ich möchte mich gern etwas umsehen!", gab ich schließlich offen zu.

Es hätte eh keinen Sinn, etwas vor ihm verbergen zu wollen. Nicht nur, dass er meine Gedanken las, wann immer ich in seiner Nähe war; auch sonst schien er mir stets einen Schritt voraus zu sein.

Sein Grinsen erhellte die Dunkelheit und das flackernde Licht der Kerzen verlieh ihm etwas Dämonisches. „Nur zu!", forderte er mich zu meiner Überraschung auf und mit einem Schritt war er bei uns. Mit einem gezielten Griff trennte er Lisa von mir und hakte sich bei mir ein, während er mit der anderen Hand Lisas Arm umfasste.

„Wir schaffen die Schwalbe jetzt zu den anderen schrägen Vögeln und dann zeige ich dir alles, was du sehen willst, mein Sperling!"

Sein Ton klang so beschwingt, als würde er sich tatsächlich darauf freuen. Doch sein kaltes Gelächter ließ mein Herz erfrieren.




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So, bevor ich dann gleich zur Spätschicht fahre; noch ein neues Kapitel für euch <3

Viele Grüße ^.^

Der Ruf des Meeres (Ateez, Hongjoong)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt