Wir starrten ihn an. Ein leises Schluchzen entkam Beas zitternden Lippen. Hannah versteckte sich hinter Christian und mir schwirrte der Kopf. Was um Himmels willen wollte er noch von uns wissen? Furcht und Widerwillen verwandelten sich zusehends in Verzweiflung. Auch wenn Dampier mein Vorfahr war, wusste ich nichts über Hongjoongs Schatz. Und selbst Christian würde mit seinem Latein sicher bald am Ende sein und könnte uns nicht ewig den Arsch retten.
Es sah nicht gut für uns aus.
Warum kann er uns nicht endlich in Frieden lassen?
Ich wünschte mir nichts sehnlicher. Ruhe. Frieden. Sicherheit.
Wir alle wären sofort geflüchtet, hätten wir nur den Hauch einer Chance gewittert. Hätten ihn mit der verdammten Flasche hier sitzen lassen und wären abgehauen. Ich wäre sogar über die Reling drei Meter tief ins Meer gehüpft und das, obwohl ich noch nicht mal das Seepferdchen habe. Zur Schwimmprüfung in der Grundschule war ich krank gewesen und meine Eltern hatten einen Schwimmkurs ohnehin nie für wichtig gehalten. Aber natürlich kann ich schwimmen, hattes es mir mit Fünf selbst beigebracht.
Hongjoong war unsere fehlende Begeisterung nicht entgangen:
„Weshalb so zurückhaltend, weshalb so ängstlich? Findet ihr kein Gefallen an unserem kleinen Spiel?" Seine Stimme triefte vor Spott und er schüttelte gespielt verstimmt den Kopf, während er sich zurücklehnte und mit den Fingern seiner rechten Hand aufs Holz tippte, als spiele er eine Melodie auf dem Klavier. „Ich nehme mir extra Zeit für euch, doch jeder will seine Geheimnisse für sich behalten. Schade."
„Geheimnisse?" Zu spät schlug ich mir die Hand vor den Mund.
Hongjoong lächelte. „So ist es. Deine Freunde ihre und du deine."
Sein Blick drückte es deutlicher aus als seine Worte. Er war uns um Welten überlegen. Mir kitzelte es unangenehm auf der Haut.
Meine Freunde haben Geheimnisse vor mir?
Hongjoongs Lächeln war bösartig. „Natürlich haben sie das." Diesmal hatte ich meine Gedanken für mich behalten und dennoch spielte er damit.
„Es gibt viele Wahrheiten, die darauf warten, ans Licht zu kommen."
Für einen kurzen Moment suchten seine Augen den nachtschwarzen Ozean. Der Anker an seinem Ohrläppchen zog mit seinem Glitzern meine Aufmerksamkeit auf sein Profil. Und da war sie wieder, die Melancholie in seinen feingeschnittenen Zügen, die ihn wirken ließ, wie ein Kunstwerk aus einer anderen Epoche. Ich musste schlucken, als mir bewusst wurde, wie dicht dran dieser Gedanke an der Wahrheit war. Gänsehaut bildete sich in meinem Nacken. Er kam aus einer anderen Zeit, aus einer Legende.
Und doch war er hier. Neben mir. Lebendig. Zum anfassen.
Wie als hätten sie ein Eigenleben tasteten sich meine Finger über den ungeschliffenen Holzboden näher an ihn heran.
Er war das größte Geheimnis auf diesem Schiff. Aber er vermied es, über sich zu reden.
Da ich ihn aufmerksam beobachtet hatte, entging mir die Veränderung in seiner Mimik nicht. Der Moment war vorbei. Der Ausdruck unter seinen seidigen Wimpern wurde klar aber frostig. Schnell zog ich meine Hand zurück.
Nicht nur sein Blick hatte sich verändert; seine Züge wirkten scharfkantiger und er griff zielgerichtet die Flasche und drehte sie auf Hannah. „Hat deine Freundin dir schonmal erzählt, dass sie dich zutiefst beneidet? Nein? Darüber solltet ihr mal sprechen. Lohnt sich." Über den ausgestreckten Arm, mit dem er die Flasche festhielt, behielt er mich genau im Blick. Sein Ton versprühte Gift. Seine Augen glichen denen einer Kobra und ich fühlte mich klein wie eine Maus. Ich weigerte mich, ihm Glauben zu schenken und dennoch; starrte ich Hannah unverwandt an, bis sie so rot wurde, dass ihre Sommersprossen kaum mehr zu sehen waren.
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Der Ruf des Meeres (Ateez, Hongjoong)
Fanfiction"Willkommen auf meinem Schiff!" Die Worte, gesprochen von einer melodischen aber eiskalten Stimme, durchdrangen die Dunkelheit um mich herum und vermittelten mir das Gefühl, einsam in den tiefen Weiten des dunklen Ozeans zu treiben, mühelos, von d...