Bevor ich es mir anders überlegen konnte, trat ich über die Schwelle.
Mondschein fiel durch zwei Fenster und lugte hier und dort durch die Ritzen der Planken; zeichnete silberne Vierecke und Striche auf den glatten Boden.
Die Wände waren geschmückt mit Seekarten, abgenutzten Büchern und verblassten Bildern. Neben der Tür hing ein Säbel, auf der Kommode und auf dem Nachttisch lagen Pistolen und Schreibfedern verstreut. Ein Hauch von Schwarztee und Teer hielt sich hartnäckig in der Luft. Trotzdem fühlte ich mich augenblicklich wohl, denn die Kajüte mit dem großen Bett und dem alten Teppich darunter war gemütlich und atmete dennoch die Abenteuer vergangener Tage – von Seeschlachten, gestohlenen Schätzen und verlorenen Seelen. Fast wie ein Roman, in den man hineinklettern konnte.
„Ist das nicht etwas kitschig?" Erst als ich Hongjoongs Glucksen hörte, wurde ich mir seiner Präsenz wieder bewusst. Er lehnte mit dem Rücken an der geschlossenen Tür und betrachtete mich. Um seine Augen herum blitzten kleine Lachfalten. Seine Arme hielt er locker vor der Brust verschränkt und einen Fuß rückwärts gegen das Türblatt gestemmt.
Doch auch wenn seine Haltung und Mimik jetzt unbeschwert wirkten, erinnerte ich mich an andere Momente...„Bist du denn keine verlorene Seele?" Ich überging den Fakt, dass er schon wieder meine Gedanken aufgeschnappt hatte und bevor sie sich erneut irgendwo verirrten, stellte ich die Frage, die mir im Herzen brannte. Ich weiß nicht wie, aber die Luft in diesem Zimmer flößte mir den Mut dazu ein.
Ein irritiertes Zwinkern, dann ein Lachen und schließlich rutschte sein Fuß von der Tür und er schüttelte den Kopf. „Iliana, verloren ist der, der nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht - der seine eigene Geschichte nicht kennt." Er sah mich so durchdringend an, dass ich annahm, er wolle mich wieder manipulieren. Doch dann zeigte er auf eines der Bücherregale. „Schau hier - meine Abenteuer füllen ganze Wände. Sogar du kennst sie – nach dreihundert Jahren. Wie könnte ich also verloren sein?"
Touché. Während ich fühlte, wie seine Argumentation mich ins Wanken brachte, steckte er seine Hände ungerührt in die Taschen seiner Uniform. Und doch; er war und blieb ein Meister im Säbelschwingen - und ich ermahnte mich, das nie mehr zu vergessen.
Die Hitze dieses Treffers schoss mir in die Wangen, doch um ihm die Genugtuung nicht zu gönnen, drehte ich mich weg und sah mich weiter um.
Dummerweise fiel mein Blick auf sein Bett.
Es stand an der Längswand. Ein schmales Holzgestell aus Nussbaumholz mit einer dicken Matratze und einer übergroßen Decke, auf der ein Mantel aus schwerem Samt lag. Die Kissen waren flach und sahen selbst aus der Entfernung hart aus. Und doch überraschte mich das nicht. Denn wer nachts herumspukt und wahllos Jugendliche entführt, hat schließlich keine Zeit zu schlafen. Vom Kopfende aus, erblickte ich die schwarze Linie des Horizonts. Und ich stellte mir automatisch vor, wie Hongjoong morgen Nacht von dort aus hinaussieht, auf der Suche nach neuen Opfern.
„Es gibt kein nächstes Opfer!" Seine Stimme war schneidend, doch meine Wut war es auch.
„Lügner!" Dass er mit einer Begeisterung meine Gedanken durchstöberte wie meine Mutter die Werbung, lockte mich aus der Reserve und ließ mich herumfahren. Erst als ich in seine Augen sah, wirkte die Schlagkraft dieses Geständnisses mit Wucht auf mich ein.
„Es geht nur um mich?" Meine Hand suchte Halt an meinem Herzen und fand ihn am Lederband des Astrolabiums, das mir noch immer um den Hals hing, obwohl es einmal ihm gehört hatte.
„Das sagte ich doch von Anfang an." Aller Spott war aus seinem Gesicht verschwunden. Und mit einem kleinen Klick, als hätte jemand in meinem Kopf einen Knopf gedrückt, spulte sich der Rückblick ab.
'Ich habe 313 Jahre auf dieses Ereignis gewartet.' Die Erinnerung formte seine Stimme zu einer eiskalten Welle, die mich mit voller Wucht erfasste.
"Iliana. Die Zeit verstreicht –unaufhörlich. Ich hatte dich gewarnt. Du weißt, was ich will und doch bist du keinen Schritt weiter gekommen." In der förmlichen Kleidung wirkte er ungewohnt distanziert und das Mondlicht lag wie eine zarte, matte Grundierung auf seinem Teint.
Und doch war ich es, die in diesem Moment leichenblass wurde.
„Ich bin Nachfahrin von William Dampier!" Verzweifelt wiederholte ich, was meine Freunde und ich in dieser Nacht herausgefunden hatten. Der Piratenkapitän nickte müde und sah mich lange an.
So lange, bis der Gong der Glasenuhr dazwischenfuhr. Ihre Schläge echoten wie ein Seebeben. Ich war außer Stande, sie zu zählen.
Und als sie endlich verebbten, setzte Hongjoong den letzten Schlag.
„Iliana, solange du nicht weißt, was das für deine Geschichte bedeutet, bist du die verlorene Seele!"
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Merci für eure Unterstützung ^.^
Und besonderen Dank an die Sternchen-Geber und Kommentare-Schreiber, denn das ist die beste Motivation um weiterzumachen, auch wenn es nicht immer einfach ist.
Ohne euch wäre ich vielleicht schon untergegangen mit diesem großen Projekt. Danke <3 <3 <3
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Der Ruf des Meeres (Ateez, Hongjoong)
Fanfiction"Willkommen auf meinem Schiff!" Die Worte, gesprochen von einer melodischen aber eiskalten Stimme, durchdrangen die Dunkelheit um mich herum und vermittelten mir das Gefühl, einsam in den tiefen Weiten des dunklen Ozeans zu treiben, mühelos, von d...