24: Ein ruhiger Abend

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Mein Blick schweifte unterbewusst zu meinem linken Arm, an dem sich die Schnitzereien meiner drei Entführer von der Lichtung tief in meiner Haut befanden. Gally hatte sie auf mich angesetzt - und nach all dem Streit und dem Hass in allerletzter Sekunde vor einem grausamen Tod durch Griever gerettet. Durch ihn war ich noch am Leben - Chuck nicht mehr. Gedankenverloren schlüpfte ich wieder aus der Jacke und legte sie neben mir auf einen leeren Tisch, bevor mir ein dunkler Pullover ins Auge fiel. Warum hatte Gally sich selbst gestochen, bevor er von Minho getötet worden war? Er hatte doch WCKD's Ansprache von der Zerstörung der Welt gehört. Hatte er sterben wollen? Alby war doch auch gestochen worden und trotzdem mit Newt und Thomas geflohen. Hatte die Spritze aus Teresas Hosentasche ihn tatsächlich geheilt? "Minho?", fragte ich nun laut und der Hüter der Läufer blickte kurz zu mir. "Hm?" "Hat das Heilmittel bei Alby gewirkt?" Er erstarrte mitten in der Bewegung, genauso wie Newt, der jetzt interessiert unserem Gespräch zu lauschen begann. "Ja" "Warum wart ihr alle bei ihm, bevor sich die drei Tore geöffnet haben?", wollte ich wissen, und zog mir den Pullover über den Kopf. Mein blaues Kleid aus dem WCKD-Compound war zu dünn und zu kurz, um mich warmzuhalten. "Er hat sich erinnert", antwortete mir Minho jetzt und drehte sich mit verschränkten Armen zu mir herum. "Erinnert an was? Was es zum Frühstück gab?", wollte ich, etwas genervt davon dass ich ihm alles aus der Nase ziehen musste, wissen und er rollte mit den Augen. "An sein Leben vor dem Labyrinth"

Ach.

Deshalb hatte Thomas im Labyrinth "Ich muss mich erinnern" gesagt, bevor er sich die Grieverspritze aus Chucks Händen ins Bein gerammt hatte. Teresas zweite Spritze hatte ihn geheilt. Deshalb hatte Gally sich gestochen- um sich an die Zeit vor seiner Gedächtnislöschung erinnern zu können. "Aber dann gibt es doch ein Heilmittel? Wofür haben sie immer noch Labyrinths wenn sie uns eh schon auf der Lichtung die Spritzen von Teresa gegeben haben?", fragte ich laut und bei der Erwähnung ihres Namens drehte sich das dunkelhaarige Mädchen zu uns. Mittlerweile lauschten alle meine Freunde Minhos und meinem Gespräch. Stille herrschte nach meinem Ausruf, in der alle versuchten, eine Antwort zu finden. "Weil das Heilmittel nur für ein paar Wochen heilt"Vince's ungewohnte Stimme lies mich erschrocken zusammenzucken. "Es gibt dem Infizierten etwas mehr Zeit, von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche haben mehrere Monate, manche nur Tage. Aber es gibt noch einen Haken" Gespannt lauschten wir dem Anführer, der jetzt beinahe trauernd den Blick auf den Boden vor ihm richtete. "Erstens Mal braucht man das Blut eines Immunen, damit das 'Heilmittel' wirkt. Und zweitens: sie werden immer mehr brauchen" Ich schluckte und sah in Jorges Gesicht, das nun zu einer erschrockenen Grimasse verzerrt war. Er wusste genauso gut wie jeder Andere hier, das Brenda an ihrer Brandinfizierung sterben würde - früher oder später. Wortlos griff er nach seinem Mantel und rauschte aus dem Zelt. Ich wusste, dass er nun nach seiner Tochter suchen würde. "Wie auch immer", durchbrach Harriet nun das Schweigen und warf mir ein Grinsen zu. "Wer hat Hunger?" Sie schien auf die Geschehnisse aus der Kantine anzuspielen, bewusst oder nicht. "Ich man", antwortete Pfanne und ich konnte das Knurren meines eigenen Magens hören. Rasch schnappte ich mir zwei paar Socken, etwas Unterwäsche und den dicken schwarzen Mantel von vorhin, in den ich nun schlüpfte. Als wir aus der Zelt traten, fiel mir auf, wie schnell die Dämmerung hier in den Bergen hereinbrach. Viele gelbe Lichter leuchteten gedämpft aus Zelten, man hörte die Rufe und Stimmen anderer Menschen und das leise Knistern entfernter Lagerfeuer. Kaum waren wir um die Ecke gebogen, schwebte mir auch schon ein Geruch nach geröstetem Fleisch um die Nase. "Hmm", hörte ich Aris hinter mir machen und schon erntete er damit belustigte Blicke seiner Freundinnen, die neben ihm liefen. Ich freute mich für ihn, dass er nicht mehr allein war. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie schrecklich es allein wäre. In Jorges Gewalt gewesen zu sein ohne meine Freunde hatte vollkommen ausgereicht. Als Minho vor einem Lagerfeuer innehielt, taten wir es ihm gleich. Die Menschen auf den Bänken machten bereitwillig Platz und wir ließen uns nieder. Sofort strömte die Wärme des Lagerfeuers wie in Wellen über mich hinweg, es war, als tauchte ich in ein heißes Bad. Kurz genoss ich die Hitze in meinem Gesicht. Als ich die Augen schloss, musste ich an die Lichtung denken. Die Abende an den Lagerfeuern, die Lichter, die ihren seltsamen Alkohol verteilten und die Stöcke, auf denen man das Fleisch im Feuer röstete. "Y/n?" Newts Stimme riss mich aus den Gedanken und rasch schlug ich die Augen auf. "Willst du auch was essen?" Rasch nickte ich und plötzlich wurde mir ein Pappteller mit geröstetem Fleisch und Brot in den Schoß gelegt. Gierig griff ich nach dem Essen und nach dem ersten Bissen schmeckte es wie das Köstlichste, das ich je gegessen hatte. Während ich den fröhlichen Stimmen meiner Freunde und dem Knistern des kleinen Feuers lauschte, entspannten sich meine Muskeln nach langer Zeit. Meine Schultern sanken, meine Beine wurden lockerer und tief atmete ich den rauchigen Geruch, der mich umhüllte, ein. Langsam lies ich den Blick durch die Runde schweifen und Daniel erfasste meine Neugier. "Daniel?" Der rothaarige Junge blickte wortlos von seinem Platz neben mir herab. "Wann gehst du zurück?", flüsterte ich und überrascht bemerkte ich, das ich ihn vermissen würde. "Hm-", machte er unschlüssig und blickte ins Feuer. Mir wurde klar, dass er sich darüber noch nicht wirklich Gedanken gemacht hatte. "Bei Sonnenaufgang", antwortete er nun und ich zögerte kurz. "Weißt du, du musst nicht gehen. Du kannst hier bei uns bleiben. Wir bringen dich in den sicheren Hafen", flüsterte ich und kurz erfasste sein Blick mein Gesicht. "Aber meine Familie- ich will sie nicht im Stich lassen", antwortete er leise. In seinen Augen stand Kummer und er musste schlucken, bevor er hinauf in den Himmel blickte. "Sie warten auf mich und machen sich bestimmt schon Sorgen" "Daniel, du wärst jetzt eigentlich bei WCKD. Wir haben dich gerettet" "Was zur Hölle ist WCKD?", wollte er jetzt leicht genervt wissen und ich atmete tief durch. Ich konnte ihm nun ohnehin erzählen, was es mit all den Geheimnissen auf sich hatte. Immerhin saß er inmitten von Immunen im rechten Arm, der diese Organisation mehrmals erfolgreich bekämpft hatte. "Welt-Chaos-Katastrophen-Département", erklärte ich schließlich und Daniel legte den Kopf schief. "Sie haben versucht, ein Heilmittel zu finden für den Brandvirus. Und dabei Labyrinths gebaut, wo sie gekidnappte Jugendliche reingesetzt haben um einen Ausgang zu finden. Viele Jugendliche die du hier siehst waren in einem" Daniel blickte sich überrascht um und dann starrten seine Augen mich an. "Du etwa auch?" Ich nickte. "Wir-", ich zeigte auf meine Freunde, "-auch" "Wahnsinn. Und warum seid ihr dann jetzt hier?" "Weil wir den Ausgang gefunden haben und dann wieder von WCKD aufgeschnappt wurden" "Hä?", machte er nur verwirrt und ich musste mir einen entnervten Seufzer verkneifen. "Ziemlich kompliziert. WCKD hat uns nur glauben lassen, wir wären ihnen entkommen. Aber trotzdem waren sie's immer noch" Daniels Augenbrauen schossen in die Höhe und ich fühlte mich kurz wie in einer Kindervorlesestunde. "Und dann?" "Wir sind ihnen entkommen. Aus der WCKD-Einrichtung. Aber dann hat mich in der Nacht ne Gruppe Leute mitgenommen und festgehalten. Sie haben zu Jorge gehört. Der große Mann der Auto gefahren ist", fügte ich rasch bei Daniels verwirrtem Blick zu. "Und dann haben die Lichter mich gefunden und wir sind von WCKD angegriffen worden. Da sind Thomas und Brenda von uns getrennt worden und wir haben uns im Club wieder getroffen, wo du warst" "Welche Lichter?" "So heißen diejenigen, die von der Lichtung übrig geblieben sind. Lichtung, Lichter?" Der rothaarige Junge nickte schließlich und ich lächelte, stolz auf meine gute Erinnerung. "Bei dem Rest warst du eh dabei" "Hmm was ist der sichere Hafen?", wollte er nun wissen und ich öffnete den Mund, als mir jemand zuvor kam. "Ein Ort, den du nicht zu Gesicht bekommen wirst"

Verloren im Feuer Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt