Kapitel 40: Brutale Rache

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Triggerwarnung Leute, wird graphisch

"Alle anschnallen da drin und dann geht's los!", klang Vince' Stimme gedämpft durch die Scheiben des Trucks in dem ich und meine Freunde saßen. Ich und Pfanne griffen bereits nach dem Gurt - aber es gab keinen. Wir warfen uns einen Blick zu. "War nur Spaß. Einfach festhalten", erklang Vince' Stimme erneut und mit einem amüsierten Grinsen klopfte er gegen die Scheibe. Als sein Kopf verschwand, zischte Newt: "So ein Spaßvogel" und stellte sicher, dass ich richtig auf dem Sitz saß. "Wir werden schon sicher ankommen, Newt", beruhigte ich den großen, blonden Jungen, der sich jetzt nervös umsah. "Sag was du willst aber ich hab mich mit Bertha sicherer gefühlt als in diesem-", er zog eine lose Schraube aus dem Boden,
"-Schrottwagen" In diesem Moment öffnete sich die Fahrertür und Jorge blickte zu uns in den Rückspiegel. "Hab ich gerade Bertha gehört?" Begeistert rieb er sich die Hände wie ein kleiner Kobold und rief: "Nicht mehr lange, dann geht's los!" "Du fährst?", fragte Thomas etwas säuerlich und erntete einen gefährlichen Blick von Brenda auf dem Beifahrersitz. "Schon gut, schon gut", wehrte er rasch ab und lehnte sich lieber vor, um aus dem Fenster sehen zu können. Ich tat es ihm gleich. Vince lief an jedem Truck vorbei und stellte sicher, dass alle sicher saßen und jeder einen Platz hatte. Ein unbeschreibliches Gefühl von Aufregung rumorte in meinem Bauch. Was erwartete uns im sicheren Hafen? Wie sahen die Unterkünfte aus? Würde Vince mit uns weiter an Minhos Rettung planen? Jetzt klopfte er im Vorbeigehen nochmal gegen die Scheibe und sprang schließlich in einen Truck vor uns. Wir waren der zweite Wagen in der Karawane und ich war mir noch nicht sicher, ob mir das gefiel. Etwas weiter mittig hätte ich mich vermutlich sicherer gefühlt, wissend, dass vor und hinter mir erfahrene Menschen mit Waffen saßen. Aber ich beschwerte mich nicht - solange ich mit meinen Freunden zusammen war, gab es nichts zu meckern. Mit einem lauten Rumpeln sprang der Motor an und schwarzer Rauch stieg kurz aus der Motorhaube auf. "Oh man", hörte ich Newt neben mir zischen und musste mir ein Grinsen verkneifen. "Jetzt wird alles besser, du wirst sehen" Sanft drückte ich einen Kuss auf seine Wange und erntete ein liebevolles Streicheln auf meinem Bein. "Wenn du das sagst" Als der Wagen sich schräg neigte, um aus der Senke herauszufahren, warf ich einen letzten Blick durch die Heckscheibe. Der Platz sah so leer vollkommen fremd aus. Hier hatten wir Minho zuletzt gesehen - hier war alles geschehen. Hier war unser treuer, rebellischer Freund gekidnappt worden. Kurz spürte ich einen Anflug von Trauer. Aber wir würden ihn wiedersehen - ich war mir sicher.

Die Fahrt verging schrecklich ereignislos und ich war mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen oder enttäuscht sein sollte. Vielleicht sollte ich die Stille einfach genießen nach dieser ganzen Hektik der letzten Wochen, es war schließlich eine willkommene Abwechslung. Tief seufzte ich und kuschelte mich eng an Newt neben mir. Sofort drückte er mir einen Kuss auf die Haare und schlang seinen Arm um mich. "Da vorn ist die letzte Stadt" Schnell riss ich den Kopf wieder hoch bei Jorges Worten und reckte den Hals, um etwas erkennen zu können. Die Stadt lag tatsächlich nicht mehr weit vor uns, schien still und verlassen. Doch ich wusste, dass das nur eine Illusion war. Harriett auf der Sitzbank vor uns drehte kurz ihren Kopf zu mir und ich wusste, dass wir beide an unsere Rettungsmission für Daniels Familie dachten. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und sie nickte wissend, bevor sie sich wieder herum drehte. Dieser verdammte Idiot hatte uns nur in diese Stadt gelockt, um uns an eine Bande Raufbolde zu verkaufen, welche uns wiederum an WCKD ausgeliefert hätte. Es war reines Glück gewesen, dass wir aus diesen grusligen Kellerschächten wieder lebendig herausgekommen waren. Die Stadt lag nur noch wenige hundert Meter vor uns. Ich war froh, dass Vince an ihr vorbei steuerte anstatt hindurch, er hatte gemeint, dass wir sie gekonnt umfahren würden. Wir hatten die ersten zerfallenen Straßen an der Stadt vorbei passiert, als der Wagen mit Vince vor uns plötzlich anhielt. "Sehr ihr was ich sehe?", erklang Vince' Stimme aus dem Funkgerät in Brendas Hand. Ich erkannte nicht, was geschah. "Diese verdammten Idioten", hörte ich Jorge murmeln und er kratzte sich am Hinterkopf. "Ist das nicht dieser- wie hieß er noch gleich?", fragte Vince, die Stimme immer wieder von rauschenden Signalen gestört. Ich hob mich rasch, um etwas durch die dreckige Scheibe erkennen zu können. Newt tat es mir gleich. Und das, was wir sahen, war beinahe absurd. Besser gesagt wen wir dort sahen. "Newt" Es war zu spät. Newt drückte mich reflexartig zurück in den Sitz, riss die Tür auf und rannte hinaus. Pfanne und Thomas folgten ihm sofort. Ich sprang auch aus dem Jeep und hörte Jorges "BLEIBT HIER" nicht mehr. Ich war nur wenige Meter hinter meinen Freunden, doch es war ohnehin zu spät. "Hey Leu-" Newt riss ihn zu Boden, kniete sich über seinen Körper und schlug brutal auf ihn ein.

Daniel.

Immer wieder und wieder sauste seine Faust in Daniels Gesicht. Blut folgte seiner Haut, schien ihn nur noch mehr zu erzürnen. Stumm hielt ich neben Pfanne und Thomas an, welche die Szene reglos beobachteten. Ich wollte ihnen sagen, dass sie Newt von Daniel hinunter reißen sollten, ihn festhalten- zurückhalten - aber er hatte es verdient. Und das schienen meine Freunde genauso zu sehen. Sie wussten, dass Daniel der Grund war, weshalb ich verschwunden gewesen war. Ich hörte Knochen knirschen, brechen - die Gestalt unter Newt regte sich schon lange nicht mehr. Aber der starke, blonde Junge hörte nicht auf. Wortlos hieb er auf das bereits unerkenntliche Gesicht ein, schien mit jedem Schlag mehr Kraft und Aggressivität zu verwenden. Er wusste genau, was beinahe mit mir geschehen war wegen Daniel. Und das würde er nicht so stehen lassen. Nun schlug er mit beiden Fäusten so stark, dass das Blut in alle Richtungen spritzte. Wortlos standen wir da und beobachteten den Jungen. Ihm schien die Kraft nicht auszugehen - jeder Hieb war kräftig und voller Aggressivität. In der Blutlache war kein Gesicht mehr zu erkennen: keine Augen, keine Nase - nicht einmal mehr der Umriss. Nur blutiges Fleisch. Schließlich erhob Newt sich blutüberströmt, taumelte kurz. Seine Brust hob und senkte sich rasch, gierig sog er die kalte Luft ein. Dann drehte sich herum. Die sonst lieben, haselnussbraunen Augen waren hasserfüllt. Sein Gesicht war verzerrt vor purer Verachtung und Ekel. Der zweite Anführer strahlte etwas so düsteres und angsteinflößendes aus, das es mir Schauer den Rücken hinab jagte. Es war unbeschreiblich: es schien, als wäre er vollkommen überlegt und sich seiner Handlung bewusst, jeder Schlag ging dort hin wo es problematisch war - aber gleichzeitig schien er von allen guten Geistern verlassen. Wahnsinnig, aber überlegt. Seine vom Adrenalin zitternden Hände griffen einen großen Stein neben sich. Mein Herz klopfte laut.
Newt würde doch nicht... er würde.
Mit einem markerschütternden Schrei, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, warf der zweite Anführer den Stein mit aller Kraft auf Daniels Gesicht. Ein unheilvolles Krachen schallte durch die Luft. Übelkeit stieg in mir auf. Pfanne neben mir würgte mehrmals. Als Newt auf uns zukam, verspürte ich einen starken Anflug von Furcht. Diese Seite von ihm hatte ich noch nicht oft gesehen - und noch nie so brutal. Sie machte mir tatsächlich Angst. Er hatte gerade jemanden umgebracht. Mein Kopf schien diese Nachricht nicht verarbeiten zu können. Alles in mir war so geschockt - und beeindruckt. So lieb, sanft und zart er sein konnte... so brutal, kaltblütig und gnadenlos war er zugleich. Wortlos, mit dem Blick unentwegt auf mir, riss sich Newt plötzlich das blutige Shirt über den Kopf und wischte seine Hände damit ab. Dann warf er es zu Boden, schob sich stumm an mir vorbei und kletterte ohne einen Blick zurück in den Jeep. Jorge und Brenda starrten mit hochgezogenen Augenbrauen hinüber zum leblosen Körper Daniels, auch sie schienen noch nicht verarbeitet zu haben was gerade geschehen war. Pfanne und Thomas warfen mir einen so finsteren Blick zu, dass ich meinte, ich hatte Daniel gerade angefallen. "Hier Kleiner" Wir beobachteten, wie Jorge Newt im Inneren des Jeeps einen Pullover reichte. Stumm starrten wir uns abwechselnd an, unsicher, wie wir mit dieser Situation umgehen sollten. Mir wurde immer klarer, dass auch Pfanne unseren Freund noch nie so gesehen hatte. Damals im Labyrinth hatten die Regeln die Lichter vor Angriffen wie diesem bewahrt - doch nun, weit weg von alten Sitten und Menschen, waren diese Regeln nichtiger denn je. Pfanne und ich starrten uns sprachlos an, teilten beängstigende Gedanken. Die Sorge um Newt war überwältigend.

Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.

"LEUTE REIN IN DEN TRUCK!", brüllte Jorge durch den Schleier meines Bewusstseins. Ich war so sehr in Gedanken versunken, dass ich plötzlich aufschrie vor Panik: Gellend laute Schüsse hallten über die karge Landschaft, prallten vom Metall des Jeeps ab. "REIN", brüllte Thomas, riss Pfanne mit und sprang in die Sicherheit des bleiernen Trucks. Ich war wie gelähmt. In ca 80 Metern Entfernung tauchten Gestalten auf, rannten in rasender Geschwindigkeit auf uns zu. Ihre Umrisse wurden von Sekunde zu Sekunde größer. Brüllende Stimmen vermischten sich zu einem ohrenbetäubend lauten Dröhnen. Kugeln prallten auf Metall, platzen neben mir zu Boden, schlugen die letzten Scheiben des Jeeps ein - doch ich konnte mich nicht regen. Meine Beine gehorchten mir nicht, kein Muskel bewegte sich. "Y/N", brüllte es hinter mir und kurz darauf spürte ich starke Arme, die mich zurück rissen. Motoren heulten auf, rumpelten durch das Gewirr aus Schüssen und Schreien. Unsanft schlug mein Körper auf dem zerfetzten Boden des Trucks auf, während die Landschaft nur knapp an meinen Füßen vorbeisauste. "Verdammtes Mädchen!", hörte ich Jorge knurren, während mich mehrere Hände nach Verletzungen abtasteten. "Hast du irgendwas? Tut dir was weh?!", wollte Newt laut wissen, seine Augen weit vor Panik. "N-nein", murmelte ich und schob Pfannes Hände von meinem Fuß. "Mir geht's-", ich brach ab und starrte entsetzt auf seinen Arm. Der blaue Ärmel wurde in Windeseile von Rot durchnässt. "PFANNE DEIN ARM!"

Verloren im Feuer Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt