Kapitel 33: Eigene Wege

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Harriet zog die Gewehre aus dem Fußraum und drückte mir eine Pistole in die Hand. "Weißt du, wie die funktioniert?", wollte sie wissen und ich riss ihr die Waffe aus der Hand. "Natürlich" Kurz blickten wir uns stumm an und ich wusste um die Spannung in der Luft genau. "Woah hey Mädels. Tief durchatmen und einen Gang runter" Daniel trat zwischen uns ich schob seine Hand von meiner Schulter. "Sag ihr das" Ich wusste nicht, warum ich so gereizt reagierte. Vermutlich war ich einfach nur nervös. Ich wartete auf eine Antwort und spürte, wie es mich regelrecht nach einem Streit mit ihr dürstete. Ich war gestresst und hatte kein Ventil, um den Frust der letzten Tage loszuwerden. Doch wortlos drückte das dunkelhaarige Mädchen mir einen Munitionsgürtel in die Hand. Rasch band ich ihn mir um die Schulter und schloss meine Jacke darüber. "Das hier wird ein Spaziergang, Leute. Rein, Familie holen, raus. Easy peasy. Daniel, du gehst voraus, wir werden dir Feuerschutz geben" Harriet und Daniel tauschten einen entschlossenen Blick und ich holte tief Luft, während der rothaarige Junge in die Büsche trat. In ein paar Metern Entfernung lagen die ersten Häuser, nach kurzer Zeit erreichten wir den Stacheldrahtzaun, der die Stadt von Prärie abgrenzte. Harriet hatte nicht riskieren wollen, mit dem Auto gesehen zu werden. "Sie sollten nicht wissen, dass wir von außerhalb sind" Jetzt gab es definitiv kein zurück mehr. Nach einem letzten Blick auf das Auto, das hinter uns in der Dämmerung langsam aber sicher verschwand, folgte ich meinen Freunden. Die Pistole an meinem Gürtel und die Munition in meinen Taschen und unter der Jacke gab mir einen Bruchteil von der Sicherheit, nach der ich mich so verzweifelt sehnte. Doch nichts könnte die großen, starken Körper der Lichter um mich herum ersetzen. Ihre Augen, die immer wieder abcheckten, ob es mir wirklich gut ging. Den Beschützerinstinkt, unter dem ich rund um die Uhr stand. Ich musste zugeben, dass ich mich wohl fühlte zwischen meinen Freunden, mit denen ich durch die Hölle und zurück gegangen war. Diese Sicherheit fehlte mir nun, anstatt ihrer waren zwei beinahe Fremde mit mir in einer Stadt aus lauter Irren, aus der wir froh waren geflohen zu sein. Meine Hand umklammerte die kleine Pistole in meiner Jackentasche, während wir auf die Straßen traten und uns langsam unter die Anwesenden mischten. Rasch zog ich mir die Kapuze über den Kopf, als ich den starrenden Blick eines alten Mannes von der anderen Straßenseite bemerkte. "Nicht erkennbar machen, Waffen und Munition in den Taschen lassen und NICHT auffallen. Egal was ihr macht, macht es unauffällig. Neuzugänge sind für diese Ratten eine große Bedrohung" Harriets Stimme hallte ununterbrochen durch meinen Kopf, vor und zurück. Ich spürte mein Herz bis zum Hals schlagen, während die fremden Stimmen aus allen Richtungen kamen. Knirschende Schritte auf dem Sand, ein Gestank von Müll und Rauch in der Luft und schäbige Lichter, die aus der ein oder anderen Ecke strahlten. Es war verdammt gruselig, hier tagsüber zu sein - aber nun Nachts? Man erkannte weder Gesichter, noch Waffen. Was, wenn ein Crank aus einer der Ruinen kroch und angriff? Wir waren in höchster Gefahr und ich wusste, dass die Lichter mich vierteilen würden, falls ich zurückkommen sollte. Mit dem Blick auf die Schuhe Daniels gerichtet strich ich durch die Straßen, immer weiter weg in ruhigere Gegenden und entlegene Gassen. Der Himmel war mittlerweile pechschwarz, Rauch drang aus vereinzelten Löchern in Häusern, ein Geruch nach Abfall und Essen lag in der Luft. Wortlos bog Daniel plötzlich in eine unscheinbare Öffnung der Mauer zu unserer Rechten ein und verschwand. Harriet und ich warfen uns einen Blick zu und traten hinter ihm durch die massive Mauer. Fest umklammerten meine schweißnassen Hände das kalte Metall der Pistole, während uns ein modriger Geruch nach altem Holz und nassem Beton einhüllte. Wir befanden uns in einem kleinen Vorraum, von dem aus der einzige Weg eine enge, bröckelnde Wendeltreppe aus Stein hinabführte. Daniel knipste seine Stirnlampe an und trat, ohne einen Blick zurück, den Weg hinab. Ich spürte, wie die Luft feuchter wurde, je tiefer wir die Treppen des engen Ganges hinabstiegen. Ein beklemmendes Gefühl beschlich mich, meine Haare stellten sich alarmiert auf und ich spürte mein Herz vor Panik rasen. Der Gang schien immer enger zu werden, die Wände rückten näher und drohten, uns zu zerquetschen. Mein Atem wurde schneller und heftiger, je weiter wir in die Dunkelheit hinabstiegen. Wie lange würden diese Treppen noch weitergehen? Ich fühlte mich gefangen und eingeengt und versuchte verzweifelt, meinen panischen Atem zu beruhigen. "Wie lange-" "Sh", wurde ich sofort von meinen Freunden unterbrochen und schloss den Mund mit mulmigem Gefühl wieder. Nichts war zu hören außer dem leisen Knirschen unserer Schuhsohlen. Es war ruhig, unnatürlich ruhig. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, warum mir dieses Gefühl so bekannt vorkam: das überrannte Einkaufszentrum. Auch dort war ich in der Nacht abgehauen und dieselbe, unheilvolle Stille hatte geherrscht. Mein Atem wurde immer schneller, meine Hände immer feuchter und ich spürte meinen Körper vor Panik zittern. Alles in mir schrie danach, die Treppen wieder hinauf zu rennen und nicht mehr zurück zu schauen. Ich hätte hier nicht herkommen sollen, ich war geliefert. Ich würde sterben, eingeengt und begraben von massivem, feuchten Stein. Fest krallten sich meine schwitzen Hände in die kleinen Nischen in der Mauer, während die Stufen zu unseren Füßen moosig und glatt wurden. Hier und da ragte ein kleines Büschel Gras aus den zerbrochenen Kanten und Ecken der schmalen Stufen. Nun hörten sie auf. Stattdessen liefen wir einen engen, niedrigen Gang entlang durch die Finsternis. Vermutlich waren wir nun hunderte von Metern unter der Erde. Wenn uns hier etwas geschah, würden wir es nicht mehr rechtzeitig rausschaffen und niemand würde uns je finden.

Der perfekte Ort,
um jemanden zu fangen.

"Nur noch ein paar Meter", wisperte Daniel und ich erstarrte. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er hatte uns hierher gelockt in ein dunkles Verlies, weit entfernt von den Lichtern und allen die uns helfen könnten. Das hier war keine Rettungsmission, es war etwas anderes. "Eine Falle- das- du hast uns in eine Falle gelockt!", sagte ich leise und riss reflexartig die Pistole aus der Tasche. Ein zu lautes Geräusch und seine Gehilfen würden alarmiert werden. "Was zur Hölle Y/n!", hörte ich Harriet murmeln, die kurz vor mir innehielt. "Er lockt uns in eine Falle", flüsterte ich erneut und richtete die Pistole auf Daniels Brust. Seine Augen waren geweitet und er hob langsam die Hände. "Y/n, nimm die Pistole runter" Seine Stimme war ruhig und beschwichtigend, doch ich schäumte vor Wut. "Du verdammter Verräter!", zischte ich und er schüttelte den Kopf. "Was stimmt denn nicht mit d-" "Halt den Mund. Wieviele sind es?!", unterbrach ich ihn leise und Harriet blickte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. "Y/n-" "Wie- Viele?", wiederholte ich mit verengten Augen. "Ich weiß nicht wovon du redest!" Blitzschnell drückte ich den Lauf gegen seine Stirn und es klickte leise, als ich nachlud. "Zum letzten Mal: Wieviele sind es?" Sekundenlang herrschte Stille und mein Finger auf dem Abzug begann zu zittern. Ich spürte bereits Harriets beschwichtigende Hand und hörte ihre leise Stimme. Sie sprach mit mir als wäre ich verrückt. Genervt schüttelte ich den Arm ab und endlich sanken Daniels Hände, der ernste, ängstliche Blick wurde finster. Ich kam mir vor wie in einem Albtraum, der zum Leben erwacht war. "10"

Verloren im Feuer Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt