Kapitel 38: Die Wahrheit

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Ich warf einen letzten Blick auf Newt und schloss die Augen. Dieser dumpfe Schmerz brannte unaufhörlich in meiner Brust und schrie danach, erstickt zu werden. Tief atmete ich ein und hob einen Fuss in die Luft. Plötzlich zerriss ein gellend lauter Schrei die Stille der Dunkelheit und wir zuckern zusammen. Eine Gestalt kam durch die Finsternis angerannt. Laute Schritte knirschten auf den stumpfen Steinen, kamen immer näher. "WAS VERDAMMT DENKT IHR EUCH?!" Vince' forsche Stimme riss mich aus meiner Trance. Seine Hände packten Newt und mich am Kragen und rissen uns vom Abgrund weg. "IHR VERDAMMTEN KINDER" Grob schubste er uns hinter sich und ich griff hilfesuchend nach Newts Hand. Eine grelle Taschenlampe blendete mich und ich musste die Augen zusammenkneifen. "Was geht in euren Köpfen vor?! Meint ihr, das macht alles einfacher?!", brüllte er laut über uns. Ich fühlte seine Worte wie einen harten Schlag ins Gesicht. Brutal schüttelte er mich am Kragen und lies von Newt ab. "MÄDCHEN GERADE WIEDER AUFGETAUCHT UND SCHON WIEDER ABHAUEN?!" Ich verspürte ehrliche Angst, als Vince' fremde, raue Stimme mich lehrte. "Lass sie los", hörte ich Newt neben mir knurren, seine Stimme heißer und kalt. "Ich denk ja gar nicht dran. Was fällt euch ein?! Meint ihr, eure Freunde fühlen sich besser, wenn sie morgen früh aufwachen und eure Körper zerschmettert in der Schlucht liegen?! Meint ihr, Minho hat eine bessere Chance auf Entkommen wenn ihr zwei Vögel tot vor euch hin schimmelt?! Meint ihr, wir haben bessere Chancen auf Freiheit, wenn zwei starke Immune fehlen?! Meint ihr, das alles hier ist einfacher, wenn ihr weg seit?!!" Vince' Brüllen erweckte das halbe Camp. Lichter in den Zelten erleuchteten und schon bald erklangen Stimmen nicht weit entfernt. "Welche Idioten sind um die Zeit noch wach?" "Shit. Bitte sag mir, dass das nicht unsere Idioten sind" Thomas und Pfanne. "Reißt euch gefälligst zusammen und zieht die Scheiße durch. Danach könnt ihr immer noch die Kurve kratzen aber bis dahin bleibt ihr verdammt nochmal am Leben! Beschissene Kinder!", knurrte Vince und schubste uns von sich. Unsanft landeten wir im Dreck. Mit wütenden Schritten stapfte er den Hand hinab und verschwand in einem der Zelte. In just diesem Moment stießen Thomas und Pfanne zu uns. "Was ist hier los?", wollte Thomas wissen und starrte uns mit großen Augen an. Newt und ich saßen noch immer reglos auf dem kalten Steinboden. Vince' Worte schienen immer noch von den massiven Felswänden zu hallen, uns zu schimpfen. "Newt? Was ist passiert?", fragte Thomas und griff nach Newts Arm, um ihn hinauf zu ziehen. Pfanne tat dasselbe mit mir und widerstandslos lies ich mich aufrichten. Ich blickte auf in das dunkle Gesicht und öffnete schon den Mund, als ich plötzlich den Ausdruck auf ihm erkennen konnte. Er war wissend. Traurig und wissend. Seine schwarzen Augen lagen auf Newt und ein kompletter Wandel ging in seinem Körper vor. "Newt- nicht im Ernst?", fragte er mit tiefer Stimme. Newt schüttelte den Kopf, um sich orientieren zu können. Dann stieß er Pfanne wortlos zur Seite und verschwand in Richtung Lager. Thomas warf uns einen irritierten Blick zu und folgte unserem zweiten Anführer. "Y/n was hast du dir dabei gedacht?", wollte Pfanne sofort wissen und ich blickte ihn ruhig an. "Was meinst du?" "Diese Finsternis in seinen Augen. Ich hab sie seit Monaten nicht mehr gesehen" Er kratzte sich am Hinterkopf und blickte in die Richtung, in der Newt und Thomas verschwunden waren. "Ich weiß, was ihr vorhattet. Ich bin nicht dumm, Y/n. Aber du solltest eine Sache wissen bevor du dich dafür entscheidest. Bevor du ihn mitziehst" Abwartend blickte ich Pfanne an. "Als wir noch wenige Leute waren auf der Lichtung, als wir jung und dumm waren, gerade an das raue Klima gewöhnt - da gab es einen Tag. Ich werde ihn niemals vergessen. Es war Mittag, haben uns grade zum Essen zusammengesetzt. Aber einer hat gefehlt. Wir haben gewartet, bis die Sonne an der alten Eiche stand. Jeden Tag haben wir uns zur gleichen Zeit getroffen, immer derselbe Ablauf. Nur er fehlte. Minho ist los und hat ihn gesucht - scheiße wir haben die ganze Lichtung abgesucht. Keine Spur. Minho ist ins Labyrinth, war für Stunden weg. Wir haben gedacht, ihn hat's erwischt oder hat sich verlaufen. Die Sonne war hinter den Mauern, alles still. Dann kam er wieder, trug ihn auf dem Rücken. Hat ihn hingelegt und Y/n, diesen Anblick werde ich niemals vergessen. Gesicht so zerkratzt, riesige Wunde von Brust bis Bauchnabel, ein Bein schief und fast komplett zerschmettert. Ist von ner Mauer gesprungen und hat sich gedacht, er ist dann alles los. Aber der Blick aus den Augen - der Blick. Als wäre alles leer, alles egal, alles zu spät. Diese Finsternis, Y/n, war von diesem Augenblick an da. Wie eine schwarze Wolke hat sie ihn umhüllt, Tage, Wochen, Monate, Jahre. Aber er hat es nicht nochmal versucht. War ständig miesepetrig und hat uns angefahren. Wenn er gelacht hat, dann nur halb. Alle Lichter haben es gemerkt, alle die hochgekommen sind. Wir hatten uns alle dran gewöhnt. Wenn man wen rum schnauzen gehört hat, war es zu 80% Newt. Und dann kamst du. Und plötzlich war der Pessimist nicht mehr wieder zu erkennen. War gut drauf, riss Witze, war wie ausgewechselt. Jeder dämliche Lichter hat das gecheckt. Nicht alle habens mir dir verbunden, aber Gally hat's gecheckt. Wollte dich loswerden, wusste wahrscheinlich, dass jetzt andere Winde wehen würden. Hast dich ganz schön tapfer gehalten, Newt war wahnsinnig als das mit dir und den Baumeistern passiert ist. Man durfte nicht mal über dich herziehen, dann ging's schon los" Pfanne lachte auf und wischte sich übers Gesicht. "Dachte ehrlich, das war's gewesen mit seiner Wolke. Hab sie nicht gesehen als die Griewer über die Lichtung kamen oder Alby starb, nicht bei Winston oder Chuck, kein einziges Mal wieder. Bis jetzt. Du hast hast ihn da rausgeholt - und wieder reingebracht. Jetzt schau zu, dass er da wieder rauskommt oder Minho reißt dir den Kopf runter wenn er da raus ist. Er hat ihn nicht umsonst im Labyrinth gefunden und den ganzen Weg zurückgetragen. Schau dass du ihn da rauskriegst, sonst werden das paar einsame Jahre für uns, Kleine" Pfanne klopfte mir auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. Reglos starrte ich an die Stelle, an der er bis gerade noch gestanden war.

Newt hatte versucht, sich umzubringen?

Und ich hatte ihn da raus geholt? Ich lies die Tränen weiter über meine Wangen laufen, der kalte Wind riss unbarmherzig an mir. Er war von einer der Mauern im Labyrinth gesprungen, hatte gehofft, das alles vorbei war? Seine Brust, die Narbe. Nun wusste ich, woher sie kam. Nun wusste ich, warum er manchmal humpelte. Nun wusste ich, warum er neben mir an den Abgrund getreten war. Nun wusste ich, warum er mich nicht abgehalten hatte sondern beigestanden war. Nun wusste ich, was er mir hatte sagen wollen. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Und ich schwor mir, dass ich so etwas nicht noch einmal geschehen lassen würde. Denn Pfanne hatte Recht: Minho würde mir niemals verzeihen, egal ob ich mit gesprungen war oder nicht.

Verloren im Feuer Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt