Kapitel 39: Bis zum Ende

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Leise huschte ich in das Zelt der Schlafenden hinein und visierte Newts Gestalt auf dem Bett in der Ecke an. Reglos lag er da, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Leise huschte ich neben ihn und wollte ihn an der Schulter tippen. Kaum hatte ich die Hand ausgestreckt, packte er sie blitzschnell und zog mich zu sich hinab. Wortlos schmiegte ich mich an ihn und rutschte hinauf, bis ich Nase an Nase mit ihm war. Tausend Worte wirbelten mir in jener Sekunde durch den Kopf, die ich zu ihm sagen wollte. Aber ich wusste, dass er wusste, das mir Pfanne von seinem Sprung im Labyrinth erzählt hatte. "Ich hab nicht mehr gewusst, was ich tun sollte. Es waren dunkle Zeiten. Hab keinen Ausweg gesehen, war alles egal", raunte er mit heißerer Stimme und ich spürte, wie sich seine Muskeln bereits wieder anspannten. "Ich verstehe", flüsterte ich und strich ihm sanft über die Wange. "Versprich mir, dass du mich niemals zurücklässt. Versprich es mir. Bitte" Newts verzweifeltes Flehen klang beinahe, als würde er mit sich selbst reden. Trotzdem nahm ich seine Hand und drückte sie fest. "Ich verspreche es" Sanft legte ich meine Lippen auf seine und spürte unter meinen Fingern, wie er begann, sich zu entspannen. "Ich verspreche es, Newt" "Ich werde dich niemals verlieren, Y/n. Und wenn ich dich anbinden muss" Kurz schimmerte ein irrer Glanz in den dunklen Augen und eine Gänsehaut wanderte über meinen Körper. "Niemals", wiederholte er leise und ich spürte seine kalten Finger an meinem Kiefer. Bestimmt zog er meinen Kopf zu seinem und presste mir einen Kuss auf die Lippen. Dann lehnte sich seine heiße Stirn gegen meine und unsere Augen schlossen sich. "Ich liebe dich", flüsterte Newt leise, sein Atem strich sanft über meine Wange.

"Bis zum Ende, Newt"
"Bis zum Ende, Y/n"

Dieses Versprechen gab mir ein so sicheres Gefühl, dass mich plötzlich die Müdigkeit traf wie ein Schlag. Newts warmen Körper neben mir zu spüren gab mir ein unausgesprochenes Gefühl von Trost und Sicherheit. Und wie seine Arme sich so an mich klammerten wusste ich, dass es andersrum genauso war.

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, durchströmten helle Sonnenstrahlen das leere Zelt. Es war tatsächlich leer. Keine Liegen, keine Kanister, nichts war zu sehen. Nur ein einzelner Socke lag beim Ausgang. Mein Kopf hob sich irritiert und eine warme Hand fiel auf meine Schulter. "Newt, sieh nur. Wo sind alle?", fragte ich ihn und erhielt als Antwort lediglich ein müdes Grummeln. Deshalb erhob ich mich und schüttelte seine Arme ab. Als ich durch den Vorhang nach draußen trat, beobachtete ich überrascht die Szene, welche sich mir bot. Große Militärlaster standen in der Senke verteilt, geschäftigt liefen die Mitglieder des rechten Arms hin und her. Manche trugen große Kisten, Andere Stoff oder Kochuntensilien. Ich verstand: heute war der Tag. Heute würden wir alle gemeinsam zum sicheren Hafen aufbrechen. "Steh da nicht so dämlich rum, schnapp dir was und trags zu den Campern", wurde ich plötzlich angeschnauzt und Vince lief mit mehreren Waffen unter den Armen an mir vorbei. Sofort erinnerte mich die raue, unbarmherzige Stimme an gestern Nacht. Er hatte mich und Newt vor einem schlimmen Schicksal bewahrt. Ich musste mich bedanken, auch wenn meine Wangen vor Scham heiß brannten. "Vince!", rief ich hinter ihm her, doch er drehte sich nicht herum. "Vergiss es einfach Kind und pack lieber an!" Dankbar, dass er meine Absicht erkannt hatte, stieß ich die angehaltene Luft aus.  Er wusste, was ich hatte sagen wollen. "Hier, Kleine", hörte ich eine vertraute Stimme und erblickte Pfanne neben mehreren gestapelten Kisten vor einem der Camper. Dankbar für eine bekannte Seele lief ich zu ihm hinüber und half ihm und noch zwei anderen Immunen dabei, die Sachen einzuräumen. Meine Arme vom Fall beim Angriff WCKD's heilten gut, die Kratzer waren beim Heben der schweren Kisten kaum mehr spürbar. Wenn wir am sicheren Hafen angekommen waren, könnte ich die Verbände bestimmt abnehmen. "Und- die letzte", keuchte ich und hob sie zu Pfanne hinauf, der im Wagen stapelte. "Perfekt" Er sprang zu mir hinab und gemeinsam suchten wir nach weiteren herumliegenden Sachen. Irgendwann tauchte auch Newt auf und half mit. Bis die Sonne hoch am Horizont stand, waren alle Wägen vollgeladen, die Senke beinahe leer und alle erschöpft. Gerade hatte Vince alle Verbliebenen in der Mitte der riesigen Fläche versammelt, drei kleine Feuer brannten um ihn herum. Große Töpfe mit brodelnder Suppe hingen über den hellen Flammen und ein leckerer Duft nach Kartoffeln wehte ab und zu vorbei. "Okay Leute, dann passt mal auf", rief Vince laut und sofort kehrte Stille ein. "WCKD hat uns vor ein paar Tagen richtig in den Arsch getreten, das lässt sich nicht leugnen" Zustimmendes Gemurmel ertönte. "Aber lassen wir uns davon aufhalten? Ich sage NEIN!" Der rechte Arm jubelte auf, Harriets Gesicht neben Vince freudig verzogen vor Rebellion. Ich musste kurz grinsen, denn endlich bekam sie, was sie wollte: Freiheit und Rache. "Sie haben uns unsere Familie genommen, unsere Freunde, Geliebte. Aber wir sind die Verbliebenen, wir haben die Chance auf ein neues Leben, einen frischen Start. Die wollen euch wie Laborratten einsperren und an euch experimentieren - ABER NICHT MIT MIR! Heute, wenn die Sonne am Gipfelhoch steht, brechen wir auf. Der sichere Hafen erwartet uns. Ihr werdet dort alles bekommen, was wir euch ermöglichen können- ein Bett, Essen und Trinken, ein Zuhause. Schluss mit dem Wegrennen, ihr seid im Hafen in der Sicherheit angekommen. Und jetzt haut rein!", schloss Vince ab und schon liefen ausgewählte Personen zu den Töpfen, um Essen an alle zu verteilen. Das Ende von Vince' Ansprache hatte einen bittersüßen Nachgeschmack. "Haut rein" kannte ich nur von Alby. Von den gemeinsamen Mahlzeiten mit all unseren Freunden, wenn wir an den Biertischen saßen und uns unterhielten was der Tag wohl brachte. Mit den meckernden Schafen und Ziegen im Hintergrund, dem Rauschen der alten Eiche am Weiher. Leises Zwitschern der Vögel aus den dichten Ästen der Wälder, während fröhliche Stimmen über das hohe Gras der Lichtung hallten. Kurz schloss ich die Augen und genoss die bittersüßen Erinnerungen an mein eigentliches Zuhause. Mit Chuck, Winston und all den Anderen, die genauso verdienten, hier zu sitzen und Vince' Ansprache auf ein sicheres Leben frei von WCKD und dem Brand zu lauschen. Als ich schon spürte, wie sich Tränen anbahnten, öffnete ich die Augen rasch wieder. Sofort fing ich Newts Blick auf. 'Alby', sagte er lautlos und ich nickte leicht, während er mir eine  Schale mit Suppe und Löffel in die Hand drückte. "Er wäre froh, wenn er wüsste, das es uns Allen gut geht", lächelte ich und Newt zischte. "Ja besonders Minho" Ich verstummte und nahm dafür ein Löffel der Suppe. "Wir kriegen ihn zurück, Newt. Ich weiß das. Wir werden es schaffen, ihn da raus zu holen- mach dir keine Sorgen. Wenigstens nicht heute", murmelte ich und seine braunen Augen rollten genervt. "Ja ja immer diese leeren Versprechungen. Ich bin es leid, ein 'Alles wird gut' zu hören, wenn nicht mal klar ist, wie es weitergeht. Ich hab's satt, Y/n" Er klang gereizt und ich verstand ihn. Die letzte Nacht war voller Stress und Angst gewesen, ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie schlimm es für ihn war, durch diese Gefühle erneut gehen zu müssen. "Im Moment sind diese leeren Versprechungen aber alles, was uns bleibt, um weiterzumachen. Und es ist nicht alles komplett verloren, wir kennen WCKD und ihre Waffen und Strategien. Wir wissen wie sie vorgehen - und das ist ein riesiger Vorteil. Fokussier dich lieber darauf. Wir kriegen Minho da raus" Bevor er antworten konnte, gab ich ihm schnell einen flüchtigen Kuss, um ihm verstummen zu lassen. Trotzdem öffnete er den Mund und ich drückte erneut meine Lippen auf seine. "Aber-" Schon küsste ich ihn erneut und als wir uns wieder lösten, lag ein angedeutetes Lächeln in seinem Gesicht. "Y/n" Noch ein Kuss. "W-" Weiterer Kuss. Endlich lachte der große Junge auf und es war Musik in meinen Ohren. Wie sehr hatte ich dieses Geräusch vermisst. Jetzt schlang sich seine Hand um meinen Nacken und er drückte mir einen langen Kuss auf. Schließlich lies er wieder von mir ab und begann, seine Suppe zu löffeln. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Thomas und Pfanne sich einen vielsagenden Blick zuwarfen. Meine Brust schwoll an vor Freude und ich drückte einen weiteren Kuss auf Newts Wange. "Ist ja ekelhaft", grinste Pfanne und erntete einen genervten Blick seitens Newt. Als sich alle wieder begannen zu unterhalten und Newt seine Suppe aß, versuchte ich krampfhaft, meinen eigenen Worten zu glauben. War es wirklich leichtsinnig zu denken, Minho aus den Fängen WCKD's zu befreien? Zumindest der andere Teil stimmte: im Moment waren diese Hoffnungen alles, was uns blieb.

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