Irritiert blickte ich auf ihn, auf seine Hand hinab und wusste nicht recht, was ich tun sollte. Der ganze Tag glich einer Achterbahnfahrt der Gefühle und wenn ich mich schon Jahre in seiner Gegenwart wohlgefühlt hatte, so war es plötzlich nicht genug, einfach nur mit ihm zu spielen. Je mehr er mich auf Abstand hielt, mich von ihm stieß, desto mehr wurde ich angezogen.
Zuerst war es die Musik, die Leidenschaft, mit der er spielte. Die Perfektion, die ich nie zu erreichen schien. Ähnlich wie mit ihm selbst. So kalt. So verschlossen. So einsam. Und doch konnte ich nicht anders. Hatte vom ersten Mal als ich ihn live spielen hörte, das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen. Ihm nahe zu sein. Gott, das war schon so lange her. Und er schon so lange ein Teil meiner Welt, meines Lebens, ohne es wirklich zu sein. Stattdessen, hatte uns das Schicksal immer wieder unsere Bahnen kreuzen lassen.
Ich hatte ihn die letzten Jahre beobachtet, nie aus den Augen verloren. Wusste, wann und wo er auf Tour ging, wann und wo er bei Wettbewerben angemeldet wurde. Sah mit an, wie er sich Jahr für Jahr immer mehr zurückzog. Die Mauern immer höher baute. Immer mehr unnahbar wurde. Hörte, was andere Musiker von ihm hielten und hinter vorgehaltener Hand über ihn sagten. Wie sie ihm ins Gesicht lächelten, logen, nur um ihn hintenrum zu verachten.
Ja, zuallererst war es tatsächlich die Musik, seine Liebe zu ihr, die mich anzog. Doch dann wuchs dieses Gefühl in mir, bei ihm zu sein, ihn zu beschützen, ihm ein wirklicher Freund zu sein, in dieser doch so kalten und einsamen Welt, in der er sich immer mehr zu verlieren schien. Und jetzt? Diese Tour, dass Heute. War es der richtige Weg? Hatte ich nicht bereits zu viel gesagt, zu tief blicken lassen? Hinter meine Mauer, die ich mir ebenfalls schützend um mich gebaut hatte. Warum war es nicht mehr genug, nur für ihn da zu sein? Stattdessen wollte ich mit ihm sein. Wollte, dass er mich auch mochte. Wenigstens ein bisschen. Mich mochte, statt nur mit mir zu spielen.
Seufzend griff ich nach dem Lederband in seiner Hand und ließ mich erneut schwerfällig neben ihm nieder. Ließ das weiche, braune, zu einem Zopf geflochtene Leder durch meine Finger gleiten. Nur, um bei einem silbernen Notenschlüssel anzukommen, der im Mondschein, so wie den gefühlt tausend Lichtern um uns herum, funkelte.
Ja, und jetzt? Innerlich hätte ich am liebsten aufgelacht. Ich wollte und wollte es nicht. Ganz gleich, was da zwischen uns geschah. Was sich gerade veränderte, oder vielleicht doch schon von Anfang an existiert hatte? Es fühlte sich an, als wäre ich in der Schwebe gefangen. Ganz gleich, was passieren würde, wie ich, wie er sich entschied, wäre wohl falsch. In jeglicher Hinsicht.
Deswegen, als ich das Gefühl hatte, mich in den letzten Monaten in Akira zu verknallen, war es mir tatsächlich wie ein Segen vorgekommen. Eine Flucht vor der Realität. Erst recht, als ich ihn am Set in Natura kennenlernen durfte. Er war toll! Noch schöner als auf dem Bildschirm und noch netter, als ich es mir je hätte vorstellen können. Das glatte Gegenteil von dem mürrischen Darius, der je mehr ich seine Aufmerksamkeit suchte, mich auf Abstand hielt. Aber dann begann die Tour und schon war Akira vergessen, mit allem, was ich mir versucht hatte einzureden. Denn, wenn Darius in meiner Nähe war, so gab es einfach keinen Anderen, der ihm das Wasser reichen konnte. Der meine Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Er schien alles um mich herum zu absorbieren. Da hatte nur noch er Platz. Er und die Musik, die wir beide liebten.
„Danke ...", murmelte ich leise und streichelte über das kühle Metall. „... es ist wunderschön.", setzte ich noch leiser hinzu. War es in der Tat und irgendwie konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass er das wirklich selbst für mich gemacht hatte. Dass er überhaupt wusste, wann ich Geburtstag hatte, und dass er dann auch noch etwas für mich hatte. Nicht, nachdem er mich diese Tour so auf Abstand gehalten hatte. Mich noch mehr geschimpft und gedrillt hatte, wie sonst. Mich ausschloss, außer wenn wir spielten. Ein klein wenig hatte sich die Tour wie ein Abschied angefühlt. Als wären die Mauern so hoch, so unüberwindbar, dass nicht mal mehr ich sie einreißen konnte.
Wo wir früher noch privat Zeit verbracht hatten, wenn auch nur um über Musik zu sprechen oder zusammenzuspielen, hatte er mich die letzten Tage alleine spielen lassen. Verschwand sofort und aß nicht einmal mehr mit mir zusammen.
Als die Jungs kamen, um mich abzuholen, hatte ich es nicht mehr ausgehalten. Ich wollte diesen Abend mit ihm. Wer wusste es schon, vielleicht war es ja tatsächlich das letzte Mal. Dann konnte ich vielleicht selbst abschließen. Ihn loslassen. Ihn wieder alleine seiner Musik überlassen. Ja, vielleicht ... Oder wenn ich ehrlich war, wollte ich ihn eben einfach noch nicht los, noch nicht gehen lassen. Nur noch ein bisschen seine Nähe genießen.
Das Schweigen breitete sich zunehmend zwischen uns aus und wurde schwerer. Erdrückte mich, ließ mich meine Hand mit dem Armband sinken, als würde es plötzlich Tonnen wiegen. Die Luft, die Energie, alles war raus. Und der Hoffnung, die hinterlistig um mich schlich, meine Gedanken verpestete, konnte ich einfach keinen Glauben schenken. Zu schön und zu schmerzhaft war die Verlockung.
Er war mir nachgereist. Er hatte mir was geschenkt. Er ... ja, er ... liebte es, mit mir zu spielen. Warum auch immer. Es gab so viele, die besser waren. So viele, die talentierter und perfekter waren. Dennoch wusste ich, dass er mein Spiel mochte. Mein Spiel, nicht mich! Sonst hätte er wohl nie vorgeschlagen, mit mir auf Tour zu gehen. Auch das hatte ich gewusst. Oder war es wirklich nur ein sentimentaler Abschied gewesen? Ich hatte ihn ja immerhin über fünf Jahre genervt, kaum, dass er in meiner Nähe war. Ach, wer wusste das schon ...
„Tut mir leid ...", murmelte ich in die Stille hinein, um sie endlich zu durchbrechen, weil ich sie nicht mehr ertrug. „Ich hätte, das vorhin nicht sagen sollen", setzte ich ein Weilchen später hinzu, immerhin schwieg Darius beharrlich. Wandte langsam den Kopf und beobachtete ihn im Seitenprofil, wie er hinaus aufs Meer blickte. Ob er mir zuhörte? Oder ob er seine Mauer noch höher zog, um mich gänzlich auszublenden. Ich hätte ihm wirklich nicht sagen sollen, dass ich ihn mochte. Wir hatten noch sechs Konzerte vor uns. Er ging mir ja jetzt schon aus dem Weg, wie würde es jetzt zwischen uns werden?
Langsam drehte auch er seinen Kopf, als würde er meinen Blick, trotz seiner Mauer, auf sich spüren. Kurz begegneten sich unsere Augen, als er auch schon seinen Kopf senkte und hinab auf meine Hände sah, die schon die ganze Zeit nervös mit dem Lederband, welches er mir geschenkt hatte, spielten.
„Darf ich?“, fragte er noch, da spürte ich schon seine Berührung an meinen Händen. Seine kühlen Finger, die mir das Band vorsichtig aus den Händen zogen und sich um mein Handgelenk schlossen, um es näher zu ihm hinzuziehen. Ohne ein weiteres Wort wickelte er es zweifach um mein Handgelenk und hackte anschließend den silbernen Verschluss ein. Sanft streichelten seine Fingerkuppen dabei meine Haut, als schien er zu prüfen, ob es passte, und hinterließ ein feines Prickeln, dass sich mir unwillkürlich die Härchen aufstellten. Er hatte so schöne Hände. Groß, schlank, mit sichtbaren Adern, die sich wie unterirdische Flüsse über seinen Handrücken schlängelten. Lange, anmutige Finger, denen ich stundenlang zuschauen konnte, wenn sie über die weißen und schwarzen Tasten des Flügels flogen.
Ich schluckte, hatte vergessen, was ich grade noch gedacht hatte, als ich meinen Kopf hob und seinem durchdringenden Blick begegnete. Er wirkte traurig, als er sanft den Kopf schüttelte und mein Herz zum Stillstand brachte. Um so mehr überraschten mich seine Worte.
„Ich mag dich auch ...“, flüsterte er tonlos, was ich mehr von seinen Lippen ablas, als dass ich es tatsächlich hörte. Dann, ohne unseren Blickkontakt zu durchbrechen, zog er meine Hand zu sich. Legte sie mit seiner umschlossen auf seine Brust.
Fassungslos öffnete ich den Mund. Wollte was sagen, doch im selben Augenblick spürte ich das Hämmern seines Herzens gegen meine Finger. Erneut schluckte ich schwer. Hatte vergessen, zu atmen. Drohte zu ersticken und gleichzeitig war es mir scheißegal. Stattdessen griff ich nach seiner freien Hand, presste sie mir selbst ans Herz und wusste zeitgleich, dass Worte überflüssig waren. Denn unsere Herzen spielten die gleiche Melodie.
Die Zeit schien endgültig stillzustehen. Sein Blick, der immer noch nicht wich, mir immer noch tief in die Seele zu sehen schien, bescherte mir Gänsehaut. Dann, plötzlich zuckten seine Mundwinkel nach oben, erneut schüttelte er leicht ungläubig den Kopf, bevor er sich vorbeugte und seine Stirn an die meine legte. Die Augen schloss und seufzte: „Selbst dein Herzschlag ist aus dem Takt ..."
***
Frohe Ostern!
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Luca & Akira - love me, if you dare
RomanceMein Leben verlief gut. Ich konnte mich eigentlich nicht beschweren. Immerhin erfüllte ich mir gerade meinen größten Wunsch. Nur leider hatte ich zuvor nicht bedacht, das genau dieser Wunsch, so dermaßen nach hinten los gehen würde. Vielleicht war...