#54 Erdbeeren

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Enrico

Kurz nach dem Alessandro gefahren war, setzte ich mich auch ins Auto. Wahrscheinlich hatte ich das dümmste beschlossen was ich je machen konnte.

„Wohin fahren wir?", fragte Tizian. „Weisst du noch wo wir am Samstag essen waren?", fragte ich ihn und ich sah sein nicken im Rückspiegel. „Genau dahin fahren", sagte ich.

Alessandro hatte mich indirekt dazu gebracht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war das sein Ziel. Vielleicht nicht, dass ich zu meinen Eltern fahre, aber das ich meinen Traum verfolgte. Am besten hätte ich ihm geschrieben, aber ich wollte es alleine schaffen. Notfalls wäre er bestimmt für mich da, wenn es schief laufen würde. Angekommen bei meinen Eltern klingelte ich mit zittrigen Händen. Fast wäre ich wieder umgedreht, da ich eigentlich noch nicht so weit war. Als mir nach einer halben Minute keiner aufmachte, wollte ich gehen, aber dann musste sich die Tür öffnen. Meine Mutter schaute mich abschätzenend an.

„Was möchtest du?", fragte sie. „Können wir das bitte drinnen klären", bat ich. „Wenn es sein muss", seufzte meine Mutter. „Ich weiß was ich machen möchte, aber ich brauche Geld", sagte ich, als wir drinnen standen. „Was möchtest du machen?", fragte sie spöttisch. „Kann ich bitte einfach Geld haben? Ich werde etwas daraus machen", meinte ich. „Ich will Ergebnisse sehen", grinste sie.

Dieses Griesen zeigte mir, dass ich direkt aufgeben sollte. Sie wusste, dass ich es nicht hinbekommen würde. Ihr Blick durchbohrte mich. Es machte mir wieder deutlich, dass ich der Schandfleck unserer Familie war. Ich atmete tief durch, denn vor ihr zusammenzubrechen wäre schon ein Sieg. Ein Sieg den ich ihr nicht geben wollte. Tizian zog an meinem Oberteil.

„Was möchtest du?", fragte ich ihn. „Hunger", sagte er. „Wir fahren gleich und dann koche ich etwas", meinte ich. „Wie lange passt du auf ihn auf?", fragte meine Mutter, als ihr Blick auf Tizian fiel.

Ihr Gesichtsausdruck wurde weich. So etwas hatte ich die letzten Jahre nicht mehr bei ihr gesehen. Könnte Tizian eventuell für einen Waffenstillstand zwischen uns sorgen, fragte ich mich. Der Blick meiner Mutter wechselte nun zwischen Tizian und mir. So wie es aussah schien sie eins und eins zusammenzuzählen. Ich hatte das Gefühl, dass ich die Wahrheit erzählen musste.

„Ich muss dir etwas sagen", zitterte meine Stimme. „Bitte nicht das was ich denke", seufzte sie. „Egal vergiss es", flüsterte ich und wollte schon gehen. „Wenn du meinst", provozierte sie mich.

Im Normalfall würde ich darauf reagieren, aber es war falsch in dem Moment. Ich sollte nicht und das war mir bewusst, wodurch ich mit Tizian wieder zum Auto ging. Auf meinem Handy sah ich, dass sie mir Geld überwiesen hatte. Eine Nachricht von Alessandro hatte ich ebenfalls.

Zimtzicke

Alles gut bei dir?

Ja alles super

Hoffe du lügst mich
nicht an

Nein, alles perfekt

~~~

Er wusste wahrscheinlich, dass nicht alles gut war. Ich hätte fast den Fehler begangen die Wahrheit über Tizian zu erzählen. Tizian sollte nicht in die Schussbahn meiner Eltern geraten. Er sollte nicht so kaputt gemacht werden wie ich. Als ich vorm Gebäude stehen blieb, erblickte ich ein auffälliges Motorrad. Es hatten neon Orange Akzente. Ein Kennzeichen welches schon seit Jahren nicht mehr gültig war. Vor meinem Apartment saß Alessandro.

„Was machst du denn hier?", fragte ich. „Ich wollte nach dir schauen. Du warst aufeinmal weg und deine Nachrichten waren nicht glaubhaft", erklärte er mir. „Wie gesagt, mir geht es gut", wiederholte ich. „Glaub ich dir nicht", ließ er mich wissen.

Genervt schloss ich meine Tür auf, wodurch Alessandro mit dem Rücken auf dem Boden landete. Tizian lachte bei dem Anblick der Schildkröte. Ich lachte auch kurz, aber untedrückte es dann. Am liebsten wäre ich in dem Moment alleine gewesen. Einfach nur meine Wand heruntergerutscht, aber nein ich musste stark bleiben. Alessandro stand mittlerweile mit mir in der Küche und beobachtete mich ganz genau. Ich stellte Tizian Frikadellen hin bevor ich mich auf meine Küchenplatte setzte. Sein Blick brannte schon fast auf mir. Im nächsten Moment stand er direkt vor mir. Noch immer versuchte ich seinen Blick auszuweichen, mittlerweile ohne Erfolg. Alessandros Hände wanderten an meine Hüfte.

„Wo warst du?", fragte San. „Mich um etwas kümmern", sagte ich. „Um was?", hinterfragte er nun. „Egal", meinte ich.

Er schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sein Blick wurde düster. Alessandro nahm seine Hände von mir und ging Richtung Tür.

„Wenn du so einen scheiß jetzt abziehen möchtest Rodriguez, kannst du mich mal", sagte er, bevor die Tür ins Schloss fiel.

Allein schon, dass er nur meinen Nachnamen sagte, ließ etwas in mir brechen. Ich dachte, dass wir schon lange darüber hinaus waren. Diese Veränderung in seinen Augen zeigte mir, dass er sauer war. Auf mich. Ich schaute zu Tizian, der am Gähnen war.

„Schlafen?", fragte ich und er nickte.

Ich begleite ihn in sein Zimmer und wartete bis er eingeschlafen. Nun war ich im Grunde alleine. Tizian am schlafen und Alessandro wahrscheinlich wieder zuhause. Warum konnte ich nicht einfach meine Klappe aufmachen? Sonst konnte ich das doch auch so gut. Langsam ließ ich mich dann die Flurwand herunter gleiten. Ich legte meine Stirn auf meine angezogenen Knie. Meine Augen wurden nass. Warum hasste das Leben mich manchmal so sehr, fragte ich mich. Ich hatte doch immer versucht alles richtig zu machen oder zumindest das meiste. Wieder schossen mir jegliche Erinnerungen in den Kopf.

Es war mein zehnter Geburtstag. Der Tag fing an wie jeder. Ich hatte mir eine Schokoladenkuchen gewünscht. Meine Freude war riesig, als ich diesen bekam. Was ich nicht wusste war, dass Sierra klein gehackte Erdbeeren untergemischt hatte. Am Ende des Tages lag ich mit Atemnot im Krankenhaus. Mein Hals war so angeschwollen, dass ich fast erstickt wäre.

Sie wusste ganz genau, dass ich allergisch war. Sie wollte mich tot sehen. Manchmal wünschte ich mir an dem Mittag meinen Eltern nicht Bescheid gegeben zu haben. Vielleicht wäre das besser für alle gewesen.

Mir gingen noch mehr Erinnerungen durch den Kopf. Am liebsten hätte ich diese einfach ausgeschaltet, aber ging ja schlecht. Noch nichtmal betrinken konnte ich mich. Mehrfach schlug ich meinen Kopf gegen meine Knie, aber die Erinnerungen blieben. Sie ließen mich nicht inruhe. Ein Klopfen gegen meine Tür nach einer Ewigkeit ließ mich zusammenzucken.

———

Wer wird wohl an der Tür sein?

Warum ist Alessandro so sauer?

Nur eine WetteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt