#10 Unser Ruf

414 21 1
                                    

Enrico

Ich merkte, dass Alessandro gereizter als sonst war. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen was auch fast funktioniert hätte. Ausnahmsweise war ich um Lorenzos Anwesenheit froh, denn so konnte ich eine Überweisung tätigen. Alessandro Laune war nicht auszuhalten, wodurch ich mich entschied es erstmal darauf beruhen zu lassen. Gerne hätte ich seine Reaktion gesehen, aber das konnte ich mir dann auch sparen. Ich überlegte wie ich meinen restlichen Samstag verbringen sollte, denn eigentlich hatte ich geplant länger zu bleiben. Dann kam mir wieder dieses elendige Familienessen in den Kopf. Wieder müsste ich meinen Eltern unter die Augen treten. Wieder müsste ich mir die Vorwürfe anhören. Wieder müsste ich mich runter machen lassen. Wieder würde ich an allem zweifeln. Ich malte mir schon jegliches Szenario aus und bei jedem würde es mir am Ende schlecht gehen. So wie immer. Schmerzlich zog sich meine Brust zusammen. Diese Gedanken machten mich  schon irre. Der Sohn von Milliarden Schwerer Eltern zu sein war nicht einfach. Sie erwarteten immer etwas von einem. Der Druck lastete einem immer auf den Schultern. Die eigenen Interessen waren egal. Ein Ruf musste von Generation zu Generation erhalten bleiben. Man wurde immer vergleicht.

„Mister Rodriguez könnten Sie mir einen Gefallen tun?", sprach mich eine ältere Dame an, als ich vor meinem Apartment stand. „Ja Miss Huosten?", fragte ich mit einem Lächeln. „Können Sie eventuell morgen früh meine Katze füttern, weil ich muss ganz dringend zu meiner Tochter", fragte sie. „Natürlich", antwortete ich ihr.

Sie reichte mir ihren Schlüssel und ging mit ihrem kleinem Koffer zum Aufzug. Seit einem Jahr war sie schon meine Nachbarin. Wenn sie über längeren Zeitraum nicht da war kümmerte ich mich normalerweise nur um ihre Pflanzen. Bei Notfällen kümmerte ich mich natürlich auch um ihre Katze, aber zum Glück kam das nicht so häufig vor. Notfälle waren schließlich auch nicht schön. Ich schmiss meine Schlüssel auf die Küchenablage und ließ mich auf meine Couch fallen. Mein Blick flog über die Stadt. Es sah alles so friedlich aus. In mir staute sich aber immer mehr Panik vor dem Abend. Es rückte immer näher. Ich wusste nicht ob ich Stunden oder Minuten rausschaute, aber ein vibrieren in meiner Hosentasche holte mich aus meiner Trance.

Zimtzicke
Online

Danke, reden wir morgen weiter?

Wofür?

Egal, kommst du morgen
wieder zu mir oder soll ich
zu dir kommen?

Ich hol dich ab, aber ich erwarte
dann morgen ein paar
mehr Antworten

Du kriegst so viele
wie ich für nötig halte

Arschloch

Dafür stehe ich mit
meinem Namen

~~~

Hatte Alessandro Moretti sich gerade etwa bei mir bedankt? Wollte er sich freiwillig mit mir treffen? Anscheinend hatte die kleine Finanzspritze geholfen. Mit einem Lächeln legte ich mein Handy weg und ging mich umziehen. Am liebsten wäre ich in meinem Apartment geblieben, abe ich hatte immer ein Funken Hoffnung, dass es mal anders wäre. Als ich am pompösen Anwesen ankam, wäre ich fast umgedreht, aber meine Schwester, Sierra, hatte mich schon gesehen.

„Das du dich noch hier hin traust nach dem letzten mal", sprach sie mich an.

Ich schwieg und ging weiter Richtung Eingang. Schweigen war meist das beste in dieser Familie. Natürlich erinnerte ich mich auch daran was das letzte mal vorgefallen war. Mein Vater und ich hatten eine hitzige Diskussion über meine Zukunft. Wie immer waren wir anderer Meinung.

„Wenigstens hast du dich dieses mal vernünftig gekleidet", warf Sierra mir vor. „Bin ich immer, aber vernünftig liegt immer im Auge des Betrachter", pampte ich sie an.

Ich grinste in mich hinein, denn ich hatte recht und das war ihr kläglich bewusst. Eins was sie hasste war eindeutig, wenn ihr kleiner Bruder recht hatte. Zusammen betraten wir das Esszimmer, sie wurde natürlich begrüßt und ich mal wieder nur angeschwiegen. Nach einer Viertelstunde musste dann aber natürlich etwas kommen. Mal wieder gegen mich gerichtet, obwohl es nur wie eine normale Frage klang.

„Hast du die Schlagzeilen gelesen?", kam es nämlich von meinem Vater. „Nein, warum sollte ich? Was interessiert mich die Meinung anderer Menschen?", fragte ich zurück. „Es geht um unseren Ruf Enrico", warf meine Mutter mir vor. „Unser Ruf ist ihm doch egal wie man an den Schlagzeilen erkennt", stieg Sierra mit ein. „Warum treibst du dich in der Southside rum", kam Dad zu seiner ersten Frage zurück. „Weil ich dort etwas klären musste. Geschäflich", versuchte ich mich gut darzustellen.

Alle drei brachen in einem Gelächter aus. Es schallte wie ein schlechtes Lied in meinem Kopf. Wie vermutet wurde ich nur runtergemacht. Ich versuchte still sitzen zu bleiben und nicht jeden Moment in Tränen auszubrechen. Meine Fassade musste aufrecht bleiben, zumindest bis ich wieder in meinem Apartment war.

„Dein Mist macht unseren Ruf kaputt, du schädigst uns nur", sagte meine Mutter zu mir. „Seit wann interessiert es dich was ich mache?", murmelte ich. „So lange es uns schadet interessiert es mich", meinte sie. „Und du denkst, wenn ich mich jetzt ändere bringt das noch etwas?", warf ich ihr vor. „Du solltest zumindest ein Statement abgeben und sagen, dass du selber alles verbockt hast und wir an nichts schuld sind also die Wahrheit. So wird zumindest nur dein Name in den Dreck gezogen und nicht mehr unseren", erklärte sie. „Du solltest nicht vergessen wessen Nachnamen ich trage", erinnerte ich sie.

Ich werde den Namen Rodriguez immer in den Dreck ziehen mit meinen Taten. Es war mir aber vollkommen egal, denn meine Eltern waren es selber schuld. Die beiden hatten mich zu dem gemacht was ich war. Immer war ich das ungeliebte Kind. Sierra bekam den ganzen Lob und Anerkennung. Ich bekam nur den Dreck. Sie war der Stolz der Familie. Das einzige was ich als kleines Kind wollte war meine Eltern stolz zu machen und Aufmerksamkeit zu erlangen. Schnell lernte ich, dass das niemals passieren würde. Ich war unwichtig.

———

Eure Meinung zu dem Einblick von Enricos Eltern?

Nur eine WetteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt