#23 Perfekt Unperfekt

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Alessandro

Als ich am Morgen runter kam, war Enrico nicht mehr da. Die Decke lag ordentlich gefaltet am Rand mit einem Zettel. Nur ein kurzes Danke stand drauf. Ich machte mir nicht weiter einen Kopf und ging in die Küche.

„Ich muss gleich ins Restaurant", seufzte Emilia. „Muss heute Abend auch arbeiten", sagte ich. „Ab  wann?", fragte Antonio. „19 Uhr", nannte ich die Uhrzeit. „Dann schaffen wir es wenigstens zusammen zu essen", meinte Emilia lächelnd. „Wir brauchen mal wieder einen Abend in der Woche wo wir alle hier sind", sagte Antonio. „Ansicht schon, aber du weisst, dass wir die Trinkgelder brauchen", erinnerte Emilia. „Freitag", schlug ich vor. „Ist ein Tag an dem wenig los ist, bringt meist nicht viel", erklärte ich auf die verwirrten Blicke.

Emilia stimmte mir zu. Antonio war auch mit meinem Vorschlag einverstanden. Früher hatten wir auch immer den Freitag als unseren Abend. Absolutes Arbeitsverbot untereinander. Durch die steigenden Kosten mussten wir es aber leider wieder auflösen. Die Miete wurde erhöht und ein Umzug war weniger möglich als mehr zu arbeiten. In unserer Situation etwas zu finden war eh schon schwer zumal alles andere in der Gegend noch teurer war.

„Ihr habt euch geküsst?", fragte Emilia aufeinmal verstört, als sie auf ihr Handy schaute. „Ja, gib mal her", sagte ich und griff schon nach ihrem Handy.

Wir wurden genau im perfekten unperfekten Momet fotografiert. Es war kurz bevor Enricos Vater gehustet hatte. Enricos Hand lag nämlich auf meiner Wange. Auf dem Bild sah er entspannt aus. Die Schlagzeile übertraf aber mal wieder alles.

Achtung Mädels! Enrico Rodriguez wieder in festen Fängen. Und dann auch noch ein Mann? Wer ist er wohl?

Bei der Schlagzeile musste ich mir auch noch den Artikel durchlesen. Eigentlich war ich nicht der Mensch dafür, aber ich wollte wissen was über mich geschrieben wurde.

Unser lieber Enrico befindet sich in einer Beziehung. Gesehen wurden die beiden bei einem Spenden Event im Rodriguez Anwesen.
Aber das Drama des Abends. Enricos Freund hat sich geprügelt.
Wen hat Enrico sich da angelächelt?

Angelächelt? Schlechter Witz. Ich gab Emilia ihr Handy wieder, da sie los musste. Irgendwie fand ich es witzig wie manche sich versuchten ihre Fresse zu zerreißen, aber musste jede Kleinigkeit in so einer Zeitschrift stehen? Bei so etwas hatte man echt kein Privatleben mehr. Antonio schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, aber der Gesichtsausdruck war auch wieder schnell verschwunden, als Loredana die Treppe runter kam.

„Dornröschen auch mal aus dem Schönheitsschlaf erwacht?", lachte er. „Schnauze", murmelte Loredana, aber ich konnte mir mein Lachen nicht verkneifen. „Kaffee?", fragte ich bevor ihr Blick mich noch umbrachte. „Bist du bescheuert? Sie ist zwölf", regte Antonio sich auf. „Nein, ich bin ein aufmerksamer großer Bruder", scherzte ich. „Ihr seit doof und nichts anderes. Ohne Kaffee würdet ihr beide bestimmt nicht mehr leben. Es ist für euch wie ein Lebenselixier", sagte Lori genervt. „Wo sie recht hat, hat sie recht", meinte ich zu Antonio.

Er gab sich geschlagen, denn er schüttete ihr eine Tasse ein. Das konnte nur sein Todesurteil bedeuten, denn den Fehler hatte ich auch schonmal gemacht. Loredana war den ganzen Tag aufgedreht, als ich ihr mal Kaffee gegeben hatte.

Enrico

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Als ich mich umschaute merkte ich, dass ich auf der Couch eingeschlafen war. Da ich nicht noch am Morgen da sein wollte, stand ich auf, faltete die Decke und legte noch einen Zettel drauf. Es stand nur ein einfaches Danke auf dem Zettel. Ich zog die Tür leise hinter mir zu und fuhr zum Apartment. Müde schleppte ich mich in mein Bett. Es war drei Uhr. Erst gegen Mittag wachte ich auf, denn ich konnte nicht direkt einschlafen. Zwei Stunden lag ich noch wach. Meine Gedanken waren noch immer bei dem Gespräch mit Alessandro vom Vortag. Er war wie ausgewechselt gewesen. Seine schützenden Mauer waren für kurze Zeit gefallen. Alessandro hatte mir mehr erzählt als ich jemals erwartet hätte. Das laute Geräusch meines Handy ließ mich fast an meinem heißen Kaffee verschlucken.

Emilia

Hast du schon die
neuen Schlagzeilen
gelesen?

Was für Schlagzeilen?
Woher hast du meine
Nummer?

Hier (Link), San hat
keinen Pin

Lese ich gleich

Mach das, wehe es
werden mehr

Ja ich schau, dass es bei
dem einem bleibt,
aber das wird schwer

Warum?

Weil du oft nicht
mit bekommst, wenn
Fotos gemacht werden

Dann reg nicht für
so viel Aufmerksamkeit,
muss jetzt weiter arbeiten

~~~

Ich klickte auf den Link. Wow, mal ein schönes Bild. Es war aus dem passenden Winkel im perfekten unperfekten Momemt geschossen. Die Schlagzeile und der Artikel selber waren nicht gut. Es frustrierte mich schließlich, denn es war halbwegs positiver Artikel. Alleine bekam ich so etwas nicht, aber mit ihm zusammen schon. Ich bekam das dringende Bedürfnis mich zu betrinken. Die Angst Alessandro zu sehen, unterdrückte das Bedürfnis dann. Es war mir so peinlich, dass ich weinend auf deren Treppen saß. Keiner sollte mich jemals so sehen. Es bestätigte nur, dass ich ein Loser war wie immer alle sagten. Es war aber zumindest schön, dass ich mal spürte wie es ist, wenn sich jemand um einen kümmert und anscheinend ehrliche Sorge hatte. Ohne große Worte hatte Alessandro es geschafft mich zu beruhigen bevor ich eine Panikattacke bekam. Einfaches Aufzählen von Dingen. Den Fokus auf das eigentliche Probleme kurzzeitig vergessen um es besser zu benennen. Sollte ich mir vielleicht auch angewöhnen, wenn ich alleine bin und nicht wie ein kaputtes Wrack die Wand runterzurutschen. Ich stellte meine Tasse in die Spüle um duschen gehen zu können. Wenn ich könnte, würde ich jedes Stück Erbärmlichkeit von mir runter waschen.

———

Was haltet ihr von der Schlagzeile?

Wie findet ihr die Weise wie Enrico über sich selber denkt?

Nur eine WetteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt