#57 Nachrichten

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Emilia

Es waren zwei Wochen vergangen. Enrico hatte sich bei keinem mehr von uns gemeldet. Alessandro versuchte sich normal wie möglich zu verhalten, aber es funktionierte nicht immer. Er gab sich die Schuld für Enricos Abschied. San hatte kein Wort darüber verloren was an jenem Abend vorgefallen war. Eigentlich war Familienabend, aber ich saß mit Lorenzo, Lucia und Alessandro in der Bar. Ich war als einzige noch Nüchtern und genau so sollte es auch bleiben.

„San, ich trink dich unter den Tisch", sagte Lorenzo. „Eno, bitte nicht", seufzte ich. „Das will ich sehen", lachte Alessandro. „Jungs ihr seit bescheuert", meinte Lucia. „Und die beiden sollen zwanzig sein", sagte ich. „Auf dem Papier vielleicht", murmelte Lucia.

Es war nicht das erste mal seit dem Enrico weg war, dass die beiden das taten. Mir war klar, dass Lorenzo versuchte Alessandro abzulenken, aber es war nicht die richtige Methode. Alessandro musste damit bewusst klar kommen und sollte es nicht nur zu unterdrücken. Aufeinmal fingen San und Lorenzo an zu singen, wenn man es so bezeichnen konnte. Lucia und ich warfen uns einen schockierten Blick zu. Es klang eher wie eine sterbende Katze.

„Mike, mach was", lachte Lucia. „Nein, der Anblick ist köstlich", meinte Mike. „So etwas erlebe ich auch nicht jeden Tag", fügte er noch hinzu. „Gib den beiden bitte einfach nichts mehr", bat Lucia. „Der nächste Drink geht sogar auf mich. Kann doch nicht riskieren, dass das Entertainment zu schnell ein Ende nimmt", verteidigte er sich.

Man konnte die beiden nicht von ihrem tun abhalten. Nach kurzer Zeit war Alessandro betrunken und Lorenzo lachte nur über ihn. San hing wie ein Schluck Wasser in der Kuhle.

„Jedes mal das gleiche mit dir", wuschelte Lorenzo ihm durch die Haare. „Du bist manchmal so ein Wichser", murmelte Alessandro. „Komm, wir fahren nach Hause", sagte ich. „Nein, ich will noch einen", lallte San. „Nein", bestimmte ich.

Nach einer kurzen Auseinandersetzung saß Alessandro im Auto und wir fuhren nach Hause. Die ganze Fahrt schaute er nur aus dem Fenster. Mit Antonios Hilfe schaffte ich es irgendwie Alessandro auf die Couch zu verfrachten. Seelenruhig schlief er ein. Sein Handy fiel auf den Boden, wodurch ich es aufhob und auf den Tisch legen wollte. Automatisch öffnete sich das Handy und der offene Chat zu Enrico war zu erkennen. Alessandro hatte ihm jeden Tag eine Nachricht geschrieben. Zwar nur kurze, aber es zeigte wie sehr er ihn vermisste. Enrico hatte aber keine einzige gelesen. Es war süß, aber so kam er nicht darüber hinweg. Ich war kurz davor seine Nummer zu löschen, aber das Recht hatte ich nicht. Wie geplant legte ich das Handy auf den Tisch und deckte Alessandro noch zu.

„Enrico hat ihn kaputt gemacht", sagte Antonio. „Wir wissen nicht was vorgefallen ist", erinnerte ich ihn. „Egal was war, es ist keine Begründung um ihn jetzt so leiden zu sehen", meinte er. „Klar, aber Enrico hat auch gesagt, dass er zurück kommt", informierte ich ihn. „Weiß San das?", fragte Antonio. „Nein, weil ich Angst hatte, dass das nicht so sein würde oder Monate oder sogar Jahre dauern würde", erklärte ich.

Antonio gab mir recht und schaute nochmal auf Alessandro. Seine Züge waren entspannt. Etwas was man derzeit so selten sah. Er versuchte sich mit allem möglichen abzulenken. Arbeit, Inliner, Haushalt oder wirklich Alkohol. Ich zuckte kurz zusammen, denn Alessandro fing an im Schlaf irgendwas zu murmeln. Es war kaum zu verstehen, aber ich versuchte es auch garnicht. Die Atmung wurde schneller, aber beruhigte sich nach mehreren Minuten. Wahrscheinlich nur ein Alptraum. Ich gab Alessandro einen leichten Kuss auf die Schläfe und ging dann auch hoch schlafen.

Alessandro

Als ich aufwachte, hatte ich das Gefühl, dass mein Kopf jeden Moment platzen würde. Ich schaute mich um und sah, dass ich auf der Couch lag. Meine Erinnerungen vom vorherigen Abend waren weg. Verschlafen griff ich nach meinem Handy welches auf dem Tisch lag. Enrico hatte meine Nachrichten noch immer nicht gelesen. Mit zittrigen Hände schrieb ich eine weitere Nachricht.

Arrogantes Arschloch

Ich hoffe, dass ich dich
bald wieder sehe

Ich würde so gerne
mit dir reden

~~~

Mir war schon klar, dass er die Nachricht wieder nicht lesen würde. Mittlerweile kam ich mir dumm vor ihm jeden Tag zu schreiben, aber es gab mir ein Gefühl ihm nah zu sein. Auch wenn er nicht antwortete. Frustriert steckte ich mein Handy weg und vergrub mein Gesicht in eins der Kissen auf der Couch. Fühlte sich so etwa ein gebrochenes Herz an, fragte ich mich. Ich bereute es, dass ich ihn so auf dem Parkplatz zurückgelassen hatte. Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn ich bei ihm geblieben wäre.

„Prinzessin ist auch mal wach", begrüßte Antonio mich. „Klappe", zischte ich. „Du musst über ihn hinweg kommen", sagte er. „Gott, Antonio, lass ihn doch mal trauern", mischte Emilia sich an. „Frühstück?", fragte Emilia mich schließlich und ich schüttelte mit dem Kopf. „Sag Bescheid, wenn du was brauchst", lächelte Emilia. „Ich will ihn wieder bei mir haben. Ich hätte ihn nicht alleine lassen dürfen", murmelte ich.

Emilia schaute mich Mitleidig an, denn es war nur Wunschdenken. Ich hatte nicht über den Vorfall geredet. Erschöpft schliff ich mich in die Küche und schüttete mir Kaffee ein. Mir war klar, dass ich mich wieder aufraffen musste. Antonio hatte Recht. Ich musste über Enrico wegkommen, denn ich würde ihn nie wieder sehen. Einmal war ich bei seinem Apartment. Mit dem Zweitschlüssel war ich reingekommen. Alles war so wie ich es das mal zuvor gesehen hatte. Bald stand Weihnachten vor der Tür. Das Fest der Familie.

———

Wird Enrico irgendwann zurück schreiben?

Nur eine WetteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt