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Die Möwen flogen kreischend über mich hinweg und der Geruch des Salzwassers stieg mir in die Nase. Überall drängten sich die Menschen, jeder wollte den bestmöglichsten Blick auf die Campania erhaschen. Reichere Familie posierten lächelnd für eine Kamera der Londoner Zeitung, andere waren dabei, sich von jenen Familienmitgliedern zu verabschieden, welche nicht mit aufs Schiff kommen konnten. Eine unangenehme Gänsehaut überkam mich, als ich daran dachte, dass es für viele der letzte Abschied überhaupt sein würde. Doch wissen konnte das schließlich keiner von ihnen. 

Meine rechte Hand schloss sich um den Griff des Koffers, welchen ich mir heute Morgen, als ich in London eingetroffen war, besorgt hatte. In ihm befanden sich eine Garnitur Wechselkleidung und ein Kleid für den Abend - Anpassung war der beste Freund eines Shinigamis. 
Es war überraschend leicht gewesen, eine Bordkarte zu erhalten. 

Gut, das war gelogen.

Jedoch wäre die Person, deren Karte ich jetzt hatte, eh auf der Campania gestorben. Also warum ihm den schmerzhaften Tod durch Ertrinken durchleben lassen, wenn es doch viel einfacher war, seinen Koffer und sein Ticket aus seiner Jackettasche zu stehlen? Ich konnte doch auch nichts dafür, wenn der Mann bereits am frühen Morgen betrunken war und nichts um sich herum mitbekam. Mir war bewusst, dass es uns Shinigami nicht gestattet war, einfach so in das Leben der Menschen einzugreifen, jedoch war mir das in diesem Moment egal, zumal ich so drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hatte. Erstens: ich hatte meinen Zugang auf die Campania. Zweitens: Es gab einen Trunkenbold weniger auf ihr und drittens: ich hatte kein Geld für einen eigenen Koffer ausgeben müssen. 

Ein letztes Mal atmete ich tief durch. War ich wirklich bereit dafür? Nach all den Jahren zurück zur Shinigami-Arbeit zurückkehren, als ob nie etwas gewesen wäre? 

Ich schüttelte die zweifelnden Gedanken so gut es ging ab. Genau diese Gedanken waren ein Hauptgrund für mein damaliges Scheitern gewesen, jetzt auf sie zu hören, würde nur noch mehr Chaos bedeuten!

Nur langsam konnte ich mir einen Weg durch die Menschenmassen zur Campania bahnen. Meine Sense gab ein dumpfes, doch gleichzeitig auch schallendes Geräusch von sich, wann immer sie auf dem Boden aufkam. 

Ich spürte, wie mir von den Seiten neidische Blicke zugeworfen worden, als ich auf die Rampe, die zur Campania hinaufführte, zusteuerte. Dort lichtete sich auch die Masse und ein Kontrolleur deutete mir, ihm mein Ticket zu zeigen. Stumm hielt ich es ihm hin und sah ihn mit steinerner Miene an. 

Ich erkannte den Mann - er stand relativ weit vorn auf der Todesliste. 

Er sah hinunter auf das Ticket, anschließend zu mir. 

"Einen angenehmen Aufenthalt." wünschte er mir schließlich und gab mir das Ticket zurück. Ich nickte und nahm jenes entgegen, bevor ich die Rampe hinauf aufs Deck trat. Dort wartete bereits ein weiterer Angestellter mit einem aufgesetzten übertrieben höflichen Lächeln.

"Willkommen auf der Campania, Miss. Wenn ich Ihr Ticket sehen dürfte?"

Am liebsten hätte ich beim Klang seiner vor falscher Freundlichkeit triefenden Stimme das Gesicht verzogen, jedoch würde ich dadurch negativ auffallen und genau das durfte mir unter keinen Umständen passieren. Also lächelte ich genauso falsch wie er zurück und überreichte ihm das Ticket. Für einen kurzen Moment studierte er es, bevor er nickte und nach meinem Koffer greifen wollte. Erst wollte ich zurück weichen, doch wusste ich, dass dies für ihn seltsam rüber kommen würde, weshalb ich ihn den Koffer nehmen ließ. 

"Folgen Sie mir, myLady. Ich bringe Sie zu Ihrer Kabine!"

"Vielen Dank."

Der Mann ging voran und mir blieb somit nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. 

Während wir liefen - ich hinter ihm - ging ich im Kopf fieberhaft die Todesliste durch. Jedoch konnte ich mich nicht daran erinnern, sein Gesicht in ihr gesehen zu haben, was mich fast frustriert und enttäuscht aufstöhnen ließ. Im letzten Moment konnte ich es mir jedoch verkneifen. 

"Da wären wir, myLady. Sollten Sie etwas brauchen, zögern Sie nicht, mich oder meine Kollegen... oder mich anzusprechen!", sagte er und verbeugte sich, bevor er zurück eilte. 

"Was für ein Widerling!", murmelte ich, bevor ich den Schlüssel, der in der Kabinentür steckte, umdrehte, die Tür öffnete und meine Kabine betrat. Drinnen schloss ich die Tür eilig und warf anschließend den Koffer auf das Bett.
Es war eine sehr niedliche Kabine. Durch zwei Bullaugen konnte ich hinaus aufs Wasser sehen. Vor dem einen Bullauge befand sich das Bett, vor dem anderen ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Eine weitere Tür führte in ein, wie ich vermutete, Badezimmer. 

"Nett.", murmelte ich, bevor ich ans Bett trat und den Koffer öffnete. Mal sehen, was ich da eigentlich gestohlen - ich meine natürlich ausgeborgt- hatte. Meine eigenen oben liegenden Kleidungsstücke legte ich vorsichtig neben den Koffer. 

"Was zum-?" 

Verwundert zog ich einen Stapel von weißen Kitteln aus dem Koffer hervor. Der Mann erschien mir nicht so, als wäre er ein Arzt im Dienst gewesen. Vor allem nicht für die Campania. Mit zusammengezogenen Augenbrauen legte ich die Kittel ab und nahm den Obersten, faltete ihn auseinander und hielt ihn auf armesbreite von mir weg. Dort fiel mir dann der kleine goldene Anstecker auf. Ein kleiner goldener Phönix. 

"Wer sind Sie nur?", fragte ich mich selbst.

Vielleicht war es nur ein Zufall, aber sollte ich noch mehr Passagiere antreffen, die entweder ebenfalls mit den Kitteln oder diesem goldenen Phönixanstecker herumliefen, war klar, dass da etwas im Gange war. Und wenn ich mich sogar soweit aus dem Fenster lehnen konnte, um diese Behauptung aufzustellen, würde ich vermuten, dass diese Personen etwas mit den vielen toten Menschen zu tun haben würden. 

❀☯︎❀

Die salzige Meerluft blies mir entgegen, als ich an der Reling stand und zusah, wie wir uns vom Ufer des Hafens entfernten. Noch immer kreischten die Möwen über mir und um mich herum standen viele Familien, die ebenfalls zurücksahen. 

Ich wandte mich von dem mir gegebenen Bild ab und trat mehr in die Mitte des Decks. Meine Hand hielt krampfhaft den Knauf meines Gehstockes. Ich fragte mich, ob Grell schon hier war. Oder-

Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als sich mein Blick auf ihn legte. Die blonden Haare, der beige Mantel mit passendem Hut; unverkennbar.

"Da fehlte nur noch einer, werter Kollege Knox!", murmelte ich zu mir selbst als ich beobachtete, wie sich der jüngere Shinigami unter die Massen mischte. 

✔︎|𝐤𝐨𝐬𝐚𝐦𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt